10/29/2004 Tansania / Dar es Salaam
Eigentum verpflichtet
Anlaesslich der Wahl in den USA
(Harald) Dar es Salaam hat eine grosse, indisch-staemmige Gemeinde, die sich deutlich von den Afrikanern absetzt (obwohl die hier geborenen Inder ja auch Afrikaner sind). Ich wohne am Rande eines Viertels in der Innenstadt, dass sehr vom Einfluss der Inder zeugt. Es gibt mehrere Tempel der Hindus und Sikhs, der beiden grossen Glaubensrichtungen und ueberall Geschaefte, Cafes und Restaurants, deren Inhaber Inder sind und deren Angebot und Speisekarten sich wohltuend vom tansanischen Einerlei aus Ugali, Chips und Shoarma abhebt. Seltsam ist, dass die wirklich leckeren Gerichte, wie ich sie in Meru/Kenia gegessen habe, auf keiner afrikanischen Speisekarte vorkommen. Stattdessen mampfen die Bueroangestellten hier Wuerstchen und Pommes mit Ketchup, wie ueberall auf der Welt. In vielen Restaurants gibt es zwar eine umfangreiche Speisekarte, aber bei Bestellung schrumpft sie dann doch wieder zusammen: "Spaghetti bitte." "Hammer nich." "O.K. Ich nehme Reiscurry." "Iss ausgegangen." "Nun gut, dann eben Huhn." Kopfschuetteln. "Mmh. Also dann nehme ich die Gemuesesuppe..." "Sorry. No soups." "Dann erstmal einen Mangosaft." Auch nicht?? Am Ende ist mehr als die Haelfte der Karte nicht verfuegbar und so geht das sogar in den grossen, modernen Imbissketten wie "Steers", wo es z.B., weder in Kenia, noch in Tansania, je die uebergross auf Postern beworbenen Salate gibt, obwohl sie das einzig Gesunde am ganzen Angebot waeren. Die meterlangen, indischen Auslagen dagegen quellen ueber von feinsten Suessigkeiten, kleinen, wenn auch teuren, Happen aus Gewuerzen mit schmackhaften Sossen, Koernern und Nuessen, die in ein frisches Blatt gewickelt werden, es gibt Eiscremes und frische Saefte, Milchshakes mit Cardamom und Zimt, Nudeln mit Ingwer und manches, fuer das mein Englisch nicht ausreicht, um es mir erklaren zu lassen- aber es schmeckt alles koestlich. Die Inder sitzen bis spaet draussen in den Cafes, anders als die Afrikaner. Sie besuchen um 22, 23 Uhr die Tempel, dass sind wahre Treffpunkte. Sie tragen traditionelle Kleidung, vorallem die Frauen knoechellange Sarongs in edlen Stoffen, reichlich mit Parfuems besprueht, Goldschmuck, die Maenner fahren grosse Gelaendewagen, Mercedes und BMW und geraeuschlose Lexus. Es gibt Kinos, die nur indische Filme aus "Bollywood" zeigen, auf den Strassen toent indische Musik. Unangenehm faellt mir auf, dass die jungen Maenner einen Hang zur Grosskotzigkeit haben, ihren Reichtum allzusehr heraushaengen lassen. Sie fahren vor die Cafes, hupen den Kellnern und lassen sich die Getraenke ans Wagenfenster bringen. Sie sind laut, ihre Fotohandys klingeln ununterbrochen, sie lassen die Motoren heulen, fahren mit ihren schweren Motorraedern roehrend auf und ab- wie ueberall auf der Welt Halbstarke nun mal sind- aber hier kommt der Protz noch unpassender rueber, angesichts der Poliokrueppel in den Rollstuehlen gleich nebenan, angesichts der Strassenkinder, der Elefantiasiskranken und Lepraamputierten an der naechsten Ecke. Was fuer eine Chance haben diese Bettler noch im Leben? Haben sie unser Mitleid nicht verdient, sind wir nicht geradezu verpflichtet ihnen zu helfen? Was macht uns denn sonst "human", wenn nicht genau das? Und sind die "Reichen" um sie herum, ihre Landsleute, Nachbarn, nicht genau die, die teilen muessten? Fuer einen Milchshake fuer die ganze Familie gibt der recht umfangreiche Geschaeftsmann da vor mir, in dem busgrossen Auto, in 5 Minuten 10 EU aus, waehrend der alte Mann da am Bauzaun gegenueber nur 50 Cent braucht, um den ganzen Tag klar zu kommen. Es gibt in Dar eine Menge sehr reiche Leute aller Hautfarben und Religionen. Wie die Inder, sind sie gebildet und geschickt. Sie sprechen mit ihren Kindern Englisch statt Kisuaheli, sie schicken sie auf Privatschulen und lassen sie nach Europa und in die USA reisen oder dort studieren. Sie koennen organisieren, Termine einhalten und Sauberkeit wahren. Aber was ist das alles wert, wenn sie, ohne mit der Wimper zu zucken, Abend fuer Abend keinem der Bettler 10 Meter weiter auf der Bordsteinkante ein paar Kroeten zustecken? In Deutschland sind ueber 10.000 Ferraris und Maseratis, 2300 Rolls Royce und Aston Martin, 133.000 Porsche, 2.800000 BMW und ueber 4 Millionen Mercedes zugelassen (Stand 9.03). Um von A nach B auf einem der besten Strassennetze der Welt zu kommen, wird da eine Menge Geld ausgegeben, mancher Haushalt hat mehr Vehikel als Familienmitglieder. Gleichzeitig leiden wir unter Bewegungsmangel, sterben mittlerweile vornehmlich an vermeidbaren Zivilisationskrankheiten. Unsere Lebensweise ist nicht das Vorbild fuer den Rest der Welt, auch wenn wir das glauben wollen. Wenn eines Tages alle Chinesen und Inder, immerhin mehr als ein Drittel der Weltbevoelkerung in nur zwei Staaten, soviele Autos fahren, soviel Oel, Strom, Gas, Holz etc. verbrauchen wollen, werden, wie die "westlichen Zivilisationen", dann wird diese Welt ein Disaster, eine Oednis sein, geschweige von den 800 Millionen Afrikanern, den Asiaten und Suedamerikanern, die auch gerne soviel Luxus haetten. Es wird fuer eine gleichmaessige Verteilung des uns selbstverstaendlichen Luxus nicht ansatzweise genug von Allem geben und selbst wenn, wohin mit den Resten, den Abgasen und Abfaellen, der Hitze und den Staeuben? Was wird aus den letzten Waeldern, wenn alle soviel Papier verbrauchen wie wir, was aus den Tieren? Und wer will diesen Konsum den anderen Voelkern verbieten? Wir treten ja an mit Demokratie und Freiheit und Individualitaet und "Alles fuer Alle", dass ist unser Exportschlager und in Afrika hoert man das gerne, diese Verheissungen, die nie wahr werden koennen. Unsere Loesung ist keine Loesung fuer die Zukunft, so sehr wir das auch glauben moechten. Gentechnik fuer Korrekturen von Krankheiten, die wir bei richtiger Lebensweise selbst vermeiden koennten, und fuer mehr Lebensmittel, ins Weltall fliegen und eine neue Erde suchen...Wir hoffen immer noch-irgendwie- auf einen Weg nach vorn, hinauf, vorwaerts in dieselbe Richtung. Vielleicht verpassen wir dabei den Zeitpunkt der Erkenntnis, dass uns am Ende wieder mal nur die besseren Waffen helfen werden und dann wollen wir uns glauben machen, dass wir nur deshalb die besseren Waffen haben, weil wir die hoeherentwickelte Spezies oder Lebensform sind? Gerechte Verteilung ist der Schluessel zum Frieden, nicht das Jagen imaginaerer Drachen aus boesen Staaten, deren Hydrakoepfe wir eh nie abschlagen werden. Wir Deutschen sind jetzt wieder geachtet in der Welt, weil wir gelernt haben zuzuhoeren und zur Selbstkritik faehig sind. Die arabische Welt und die Afrikaner wollen mit uns, der EU sprechen. Wir haben eine friedliche Wiedervereinigung geschafft, wir unterstuetzen ueberall Projekte. Wir poltern nicht los, sondern sind diplomatisch, zeigen Verstaendnis fuer fremde Kulturen und Werte. Das macht uns zum Hoffnungstraeger, dass ist unsere Chance, aber auch Verpflichtung. Auffanglager fuer verzweifelte Afrikaner in Nordafrika sind die Vorboten von dem, was in den naechsten Jahrzehnten geballt auf uns zukommen wird. Ich bin fest davon ueberzeugt, dass die Loesung des Konfliktes zwischen Islam und Christentum, die Terrorismusfrage, letztlich eine Frage des Aufeinanderzugehens ist, nicht des Besiegens. Das Staaten wie Syrien, Libyen, Jordanien und Aegypten uns jetzt die Hand reichen, duerfen wir nicht verspielen, indem wir sie zwingen, gegen grosse Teile der eigenen Bevoelkerung zu handeln. Bis jetzt sieht Globalisierung fuer die 3.und 4. Welt eher wie eine Amerikanisierung aus, und statt Kolonisation sagen wir jetzt "Demokratisierung". Aber unsere Konzepte sind nicht nahtlos uebertragbar. Die Kongolesen nennen die Globalisierung "le male american"- die amerikanische Krankheit, Helmut Schmidt, Kanzler a.d. praegte mal den Begriff "Raubtierkapitalismus"- wild, auswuchernd, skrupellos. Die ueberall in Afrika zu beobachtende Neigung zum Personenkult wird nicht zu aendern sein. Totalitarismus passt irgendwie besser zu Afrika, als Demokratie, Aufklaerung, grenzenlose Freiheit und Stimmzettelfetischismus. Wir sollten uns damit arrangieren, es als notwendige Uebergangsform ansehen. Henry Kissinger sagte 1991: "Leider gibt es in den Entwicklungslaendern nur wenige Beispiele fuer eine Entwicklung zu demokratischen Regierungsformen. Die Entwicklungslaender sind fuer den Marxismus so anfaellig, weil sich in diesem Rahmen die absolute Macht des Staates, sowie starre Strukturen der Disziplin und Autoritaet begruenden lassen, waehrend die ueberlieferten Lebensformen sich aufloesen." Ich glaube, dass nach dem Scheitern des Marxismus jetzt der Islam, die Religion, deren eine von 5 Grundsaeulen die Pflicht zur Spende an die Armen ist, zum neuen Hoffnungstraeger der Benachteiligten und Schwachen geworden ist. Es geht nicht eigentlich um Glauben, es geht eher um gerechte Verteilung und Toleranz. Berthold Brecht dazu: "Die Armen sind auf Gerechtigkeit angewiesen, die Reichen auf Ungerechtigkeit." Sven Lindqvist (Durch das Herz der Finsterniss) dazu: "Noch scheint der Druck der Milliarden hungernder und verzweifelter Menschen die Machthaber der Welt nicht dazu gebracht zu haben, Kurtz Entschluss als die einzig menschliche, die einzig moegliche und die einzig vernueftige Loesung zu betrachten. (Anm. : "SCHLAGT DIE BESTIEN ALLE TOT!"- aus der Novelle von Joseph Conrad: Herz der Finsterniss) Der Tag allerdings, an dem das der Fall sein wird, scheint mir nicht mehr allzu fern. Ich sehe ihn kommen. Eben deshalb beschaeftige ich mich mit der Geschichte... Nicht an Wissen mangelt es uns. Was fehlt, ist der Mut, begreifen zu wollen, was wir wissen, und daraus die Konsequenzen zu ziehen." Dem schliesse ich mich an. geschrieben am 30.9. in Dar es Salaam
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