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Reisetagebuch

11/12/2004   Tansania / Mbeya

Lang lebe Koenig Kunde

Ein anderer Blickwinkel

(Harald) Ich habe meine Waesche einer Angestellten zum Waschen gegeben, die auch die Bettwaesche des Hostels waescht. Aber die gute Frau hat die Waesche an einen Mann weitergegeben, der vom Waeschewaschen offensichtlich so viel Ahnung hat, wie eine Kuh vom Schlittschuhlaufen. Jedenfalls waescht er mit Seife, so dass die Sachen wie ein Parfuemladen riechen und nicht richtig sauber sind. Und zudem hat er meine schwarzen Fahrradhandschuhe mit den weissen Hemden gewaschen und alles ist jetzt grau oder mit schwarzen Flecken verunreinigt.

Am schmlimmsten wiegt, das ein Handschuh fehlt, als ich abends die Leine inspiziere.

Am Morgen zeigt der Mann keinerlei Interesse, das Problem zu loesen. Ich frage ihn nach dem Verbleib des Handschuhs. Achselzucken. Ob er nicht nachsehen wolle, die Handschuhe seien teuer und in Tansania nicht erhaeltlich. Er blickt auf den Boden der kleinen Hofflaeche, als laegen die Handschuhe dort frei herum. Ich frage ihn, wo er das Waschwasser hinkippe. "Yes." So kommen wir nicht weiter. Ich spreche einen anderen Mitarbeiter an, der holt den Manager. Ich meine, wer haengt schon einen einzelnen Handschuh auf, ohne sich zu fragen, wo denn der andere sei?

Das Abwasser fliesst durch mehrere Rohre und die naechsten drei Stunden verbringe ich mit dem Armen in schwarzem Schlamm und mit Eimertragen, um die Rohe durchzuspuelen- ohne Erfolg.

Der Manager faehrt mit mir zum Markt vor der Stadt, wir laufen eine halbe Stunde sinnlos von Stand zu Stand. Selbst in Dar es Salaam waeren solche Handschuhe schwerlich zu bekommen.

Der Tag ist fast herum, ich gebe auf- keine Handschuhe mehr. Sie haben lange und viel mitgemacht.

Wie meist in den Staedten, habe ich mir sofort ein Lieblingslokal ausgeguckt, ein indischstaemmiges Ehepaar fuehrt es.

Heute gibt es Milchkaffee mit einer Stange Pommes Frites drin. Ich gebe die Tasse zurueck. Der neu georderte Kaffee wird allerdings vergessen, nach 15 Minuten frage ich nach, man bringt mir den Kaffee- es ist meine alte Tasse, wie man leicht erkennen kann, in der Mikrowelle aufgewaermt. Das ist kein Betrugsversuch, sondern ernst gemeint, wie ich gewahr werde. Dafuer bringt mir die Kellnerin noch einen zweiten Satz Zuckertopf und Nescafebuechse.

Der Chef ordert eine neue Tasse, die kommt, wieder, zum dritten Mal, von der gleichen Kellnerin, mit Zucker und einer Buechse Nescafe...

Das hat wenig mit fehlender Ausbildung zu tun. Hier macht jeder einfach einen Job, ob er ihn beherrscht, oder dafuer geeignet ist, zaehlt weniger. Und es niemand boese, wenn der Kellner so langsam schlurft, dass man ihm beim Laufen die Schuhe besohlen koennte, oder wenn er Bestellungen vergisst oder erst nach einer halben Stunde, nach Nachfrage meinerseits, erklaert, das Bestellte sei garnicht erhaeltlich.

Die Servilitaet einer deutschen Bedienungen geht der in tansanischen Lokalen voellig ab. Die schaut fern unter den Gaesten, flaezt sich lang hin, liest Zeitung, unterhaelt sich mit Freunden, schlaeft eine Runde neben der Kuechentuere an einem der Tische etc.

Ein Angestellter, sei es Kellner, Verkaeufer oder Handwerker, ist hier kein Diener. Seine Arbeit ist kein ausgeklammerter Teil seines Lebens, sondern integriert. Waehrend der Arbeit telefoniert er ungeniert, er isst im Angesicht seiner Gaeste und Kunden, er geht waehrend der Arbeitszeit Einkaufen.

Unsere Dienstleistungsgesellschaft wird oft mit einer "Wueste" verglichen und es werden amerikanische oder japanische Verhaeltnisse gefordert, wo der Kunde wirklich Koenig ist.

In Afrika ist man da, abgesehen von nach internationalen Standards ausgebildeten Leuten in den teuren Hotels, auf einem ganz anderen Standpunkt.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich die servile, Interesse und Sympathie heuchelnde Bedienung vorziehen soll, Menschen, die vor mir dienern und wieseln. Freundlichkeit, Konzentration und Effektivitaet sind ja notwendig und lobenswert, aber der vielzitierte Anspruch, man muesse "seine Kunden lieben", geht mir dann doch zu weit.

Wenn man sich in Ostafrika als Kunde wie ein Schofel auffuehrt, blaest einem entweder ein scharfer Wind ins Gesicht, oder man wird schlichtweg ignoriert. Und da das ueberall so gehandhabt wird, lernt man als Kunde wohl schnell Bescheidenheit. Das ist dann ehrlicher, menschlicher, als der kaspernde Verkaeufer, der mir in den Mantel helfen will und "Jawohl" sagt, oder die Reihen von laechelnden Verkaeufern, die sich vor mir verbeugen, wenn ich ein japanisches Kaufhaus betrete.

Ich sage nicht, dass das Eine oder das Andere besser ist. Was ich meine ist, dass beide "Seiten" etwas voneinander lernen koennen. Einen Kunden, der sich nicht wie ein Koenig benimmt, wird ein Afrikaner nie wie einen behandeln. Bei uns ist das anders und die Folge sind "verzogene" Kunden, die Ansprueche stellen, denen sie selbst nie nachkommen wuerden. Die groessten Ekel als Kunden sind oft die, deren Beruf sie selbst staendig zum Kuschen und Dienern zwingt und die dann, endlich selber Kunde, auftrumpfen und sich zu Drangsalierern entwickeln. So ein Kunde haette hier in Tansania keine Chance, der wuerde nach ein paar Wochen die Fluegel strecken, weil er nirgendwo bedient wuerde. Man liesse ihn warten, umsonst wiederkommen, man gaebe ihm falsche Auskuenfte etc.

Wir Europaeer kennen beim Konsum, bei den Speisekarten z.B., die "Qual der Wahl". Darueber koennen wahrscheinlich 99 % der Afrikaner nur lachen. Auch ein Lebensweg wird hier i.d.R. von Notwendigkeiten vorgezeichnet, nicht von Wahlmoeglichkeiten.

Waehrend es z.B. in Amerika selbstverstaendlich ist, einen regelmaessigen Besuch beim Psychologen zu buchen (Motto: Was, sie haben keine Seelencouch? Dann stimmt bei ihnen etwas nicht!), gibt es in ganz Tansania wohl weniger Psychiater, als in einer beliebigen deutschen Kleinstadt. Und das ist weniger eine Frage des Geldes, sondern des Beduerfnisses.

Erst unsere Zivilation neurotisiert und den Prozess dahin kann man in ostafrikanischen Grossstaedten wie Nairobi oder Dar im Zeitraffer betrachten: Kontaktanzeigen ueberall, Abmagerungskuren, Schoenheitswettbewerbe, duemmliche Werbesprueche, das Erzeugen kuenstlicher Beduerfnisse und die Fehlleitung echter. Man koennte das auch mit Dekadenz umschreiben, wobei wir, von unserer Wohlstandsebene aus, eher Sodom und Gomorrha als dekadent ansehen, anstatt Nuernberg oder Wevelinghoven. Alles eine Frage des Standpunktes.

Jassir Arafat ist tot, die Nachrichten sind voll davon. Ich denke an meine Zeit in Israel und ich bezweifle, ob der Mauerbau im Westjordanland, oder das Bomben und das Erschiessen von steinewerfenden Kindern aufhoeren werden. Aber in diesem festgefahrenen Konflikt erscheint selbst der Tod eines Fuehrers als Hoffnungslicht.

geschrieben am 13.11. in Mbeya


 


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