11/15/2004 Tansania / Tukuyu
Nastarowje!
Anfahrt auf die Grenze
(Harald) Der Manager des Hostels hat mir die Haelfte des Neuwertes meiner Handschuhe ersetzt, etwas, womit ich nicht ernstlich gerechnet habe. Nun habe ich zwar geldlichen Ersatz, aber keine Handschuhe, aber es wird auch so gehen. Da ich mich z.Zt. um einen Heimflug ueber Weihnachten bemuehe und dies aus der tansanischen Provinz unmoeglich ist, verbringe ich mehrere Tage damit, dies ueber Deutschland zu organisieren. In dem indischen Lokal lerne ich u.a. Sergej kennen, einen Kasachen aus Alma Ata, einen Geologe, der seit fuenf Jahren in Tansania erfolgreich nach Gold fuer eine russische Firma sucht. Mit der unkomplizierten, herzlichen Gastfreundschaft laedt er mich sogleich zum Essen ein, wir fahren zu seinem Hotel, wo ich seine tansanische Frau kennenlerne, mit der er seit fuenf Jahren verheiratet ist. Wie erstaunt bin ich, als er mir offenbart, dass er in Kasachstan ebenfalls eine Frau und zwei erwachsene Soehne hat. Wir gehen in ein Gartenlokal, es wird reichlich gegessen und getrunken, Sergej moechte, dass ich, mangels Wodka, tansanischen Schnaps mittrinke. Wir kommen auf Woodoo zu sprechen, ein Thema, bei dem Sergej ernst wird. Im Laufe der Jahre, sagt er, habe er begonnen, zu glauben, dass es Mystik und dunkle Macht gibt, dass koenne Einer, der nicht laengere Zeit in Afrika an einem Ort bleibt, lebt, nicht verstehen. Und als ich eine Anekdote ueber einen Laibon, einen Samburu-Zauberer, erzaehlen will, unterbricht er mich abrupt: Nein, darueber will er nicht reden, dass will er nicht wissen. Er nimmt beschwichtigend meine Hand, laechelt mich an, nicht boese sein Charald (so klingt mein Name aus seinem Mund). Und dann erhebt er wieder sein Glas: Nastarowje! Wir verabschieden uns und als ich ihn am Abend, im Kreise seiner Ingenieur-Kollegen wiedertreffe, ist er schwer angeheitert. Im Hostel ist mir ein junger Mann auf einem dicken Stecken aufgefallen, der von seiner Mutter gestuetzt werden muss, um sich fortzubewegen. Ich besuche ihn auf seinem Zimmer, die Mutter cremt ihn gerade ein. Der Junge heisst Ephato Chaula, ist 23 Jahre alt und fast voellig gelaehmt. Das Geld fuer einen Rollstuhl hat er nicht und so hat er sich von Tukuyu aus nach Mbeya begeben, weil hier fuenf Tage lang ein amerikanischer Prediger auf dem Sportplatz angeblich Heilungen vornimnmt und Rollstuehle verschenkt. Jeden Tag ist Ephato nun auf dem Sportplatz, auch im Regen, steht er auf seiner Kruecke jeweils dreieinhalb Stunden und hofft, dass er auf die Buehne kann, wo sich Versehrte einfinden, denen dann wundersame Heilung wiederfaehrt. Die Hoffenden agieren ganz im Sinne der Organisatoren, sie tun alles, was der blonde Amerikaner ihnen befiehlt, sie kippen ruecklings um, sie ruehren sich nicht, sie werden wieder aktiv, zucken, schreien, wimmern, waelzen sich auf dem Buehnenboden- irgendwie hilft ihnen der innige Glaube manchmal zu Verbesserungen ihrer Krankheit, holt sie so eine Veranstaltung heraus aus ihrer Lethargie und mobilisiert sie und dann denke ich: hat sichs, trotz allem Tamtam, nicht wenigstens fuer diese paar Menschen gelohnt? Ich verlasse am 15.11. gegen Mittag Mbeya und fahre Richtung Sueden und malawische Grenze. Zunaechst fuehrt die Strasse zurueck Richtung Dar, dann zweigt in Uyole die Asphaltstrasse nach Malawi ab und es geht steil bergauf in die Poroto Berge. Von oben habe ich einen schoenen Blick auf den grossen Talkessel von Mbeya, ich stehe mitten in fruchtbaren Feldern, jetzt, zur Kleinen Regenzeit, die von November bis Dezember dauert, ist alles gruen. Nach 30 km erreiche ich in ca. 2300 Metern Hoehe den Pass. Ich kaufe mir ein Schaelchen runde, rote Pflaumen, die ich im Stehen verzehre, der Verkauefer holt mir gleich eine kalte Pepsi. Die Leute sind hier ausgesprochen freundlich, wenngleich auch viel gebettelt wird. Es beginnt etwas zu regnen. Und es geht wunderbar bergab, ich sause nur so dahin, winkend, gruessend. Ich bin jetzt im Rungwe Valley, hier waechst alles, was das Herz begehrt und die Menschen scheinen dies durch ihre gelassene Freundlichkeit auch zu vermitteln- hier gibt es keine Not. Ich erreiche am Abend, nach insgesamt etwa 70 km Tukuyu, die letzte Stadt vor der Grenze und kehre in der Langboss Lodge ein, wo ich drei deutsche Urlauberinnen kennenlerne, mit denen ich Doppelkopf spiele. geschrieben am 16.11. in Tukuyu
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