11/16/2004 Malawi / Karonga
Wo Milch und Honig fliessen
Waehrung? Quatsch!
(Harald) Tukuyu liegt auf 1600 m Hoehe, umgeben von Kaffee- und Teeplantagen. Das Klima ist mild, hier regnet es viel. Der Ort wurde von der Deutschen Kolonialverwaltung 1899 gegruendet und hiess seinerzeit Neu-Langenburg. 1916 marschierten im Zuge des 1. Weltkrieges die Briten von Malawi aus ohne Gegenwehr in Neu-Langenburg ein. Morgens noch eine schnelle Tasse Tee mit den drei Deutschen Maedchen. Wir haben rumgealbert, ich habe seit langem mal wieder Traenen gelacht. In der oertlichen Post gebe ich ein Paket per Seeweg nach Deutschland auf. Bin mal gespannt, wie lange das unterwegs sein wird, man spricht hier von 3-6 Monaten. Im einzigen Netcafe Mails checken: Eine Reisebestaetigung liegt vor, heisst, ich fliege ueber Weihnachten und Neujahr von Johannesburg aus nach Hause und setze anschliessend meine Reise auch von dort aus nach Kapstadt fort. Dann gehts los, ich rausche bergab aus dem Staedtchen hinaus. Zum ersten Mal seit Aethiopien sehe ich wieder Schweine, ein Zeichen, dass der muslimische Einfluss hier abnimmt. Es sind kleine, schlanke Tiere, die frei herumlaufen wie Hunde. Und auch die gibt es vermehrt und sie sind zutraulicher als ihre Brueder in Nord- und Osttansania, was bedeutet, sie werden nicht misshandelt. Die Fruchtbarkeit der Landschaft ist unueberbietbar. Ich weiss, dass mir dieser Begriff schon oft aus der Feder sprang, aber dies ist ein Garten Eden, noch einer von vielen in Afrika. Wenn wir dereinst als erste Menschen hier auswanderten, so mag das hier dem verlorenen Paradies nahe kommen. Hier brauchten die paar tausend Vormenschen nicht zu jagen, zu arbeiten. Die Bananen, Mangos, Papaya, Yams, Nuesse, Ananas usw. fielen ihnen vor die Fuesse. Wasser, klar und kuehl, fliesst hier ueberall aus den Bergen, ueberall Blueten an Baeumen und Bueschen. Bienen kommen hier so reichlich vor, dass sie sogar auf der Strasse in Trauben sitzen und Ziegen und Kuehe finden hier soviel Gruenzeug, dass sie nicht herumgetrieben werden muessen, sondern an Stoeckchen gebunden einfach einen Kreis um sich herum abfressen koennen. So kann man sagen: dies ist das Land, wo Milch und Honig fliessen. Das hysterische Geschrei der vielen Kinder reisst mich aus meinen Tagtraeumen: "Musungu! Money! Give money!" Das erinnert mich daran, dass sich unsere Vorstellung vom Paradies doch sehr geaendert hat. Heute wuerden moeglicherweise 50 % der Tansanier ohne zu zoegern nach Deutschland auswandern, so man sie denn liesse. Heute liegt das Paradies in Deutschland, in Europa oder Nordamerika. Fuer mich sieht, mit genug Geld in der Tasche, Afrika halt doch noch schoener aus. Das Unverkrampfte der Leute hier entspannt ungemein. Und diese Einstellung zeigt sich in ihrer ganzen Koerperhaltung: sie schlurfen, wenns relaxt zugehen soll, tragen Lasten so, wie es am bequemsten ist, die Frauen vorallem auf dem Kopf, selbst die Sichelmesser, mit denen sie das Gras schneiden oder die Geldboerse wird da oben balanciert. Dabei strecken Maennlein und Weiblein ihren Unterbauch heraus, sie atmen aus dem Bauch heraus, nicht wie wir, aus der Brust. Dieses "Bauch-rein-Brust-raus-Atmen" verkrampft uns noch mehr, als wir ohnehin schon sind unter dem Druck der vielen Verhaltensregeln sind. Wer duerfte z.B. schon seinen Einkauf in einer deutschen Innenstadt auf dem Kopf tragen, dass lassen selbst afrikanische Frauen bei uns schnell sein, egal wie richtig das fuer die Koerperhaltung, egal wie bequem es auch sein mag, 10 kg Einkauf auf einem Tuchballen auf dem Kopf zu balancieren, anstatt sich von Plastiktuetengriffen ins Fleisch schneiden zu lassen, oder einseitig zu tragen, schief gebogen daherzuwatscheln. Afrikas Kinder werden im Tuch getragen- wir schieben die unsrigen in Kinder- oder "Sportwagen" vor uns her. Wir setzen andere Prioritaeten. Anstatt den Kindern den notwendigen, staendigen Koerperkontakt zu gewaehren und ihnen so die Welt aus als beschuetzt empfundener Lage zu zeigen, distanzieren wir sie von uns, um der eigenen Bequemlichkeit willen. Eine afrikanische Mutter traegt ihr Kind am Koerper, an sich durch ein Tragetuch gepresst, trotz Hitze und Schweiss und schwerer Arbeit. Das Kind sieht nicht nur alles, was die Mutter sieht, sondern wird stundenlang geschuettelt, geruettelt, es ist in Bewegung, spuert die Atmung der Mutter, ihren Puls, riecht ihre Haut und hoert ihre Stimme nicht nur mit den Ohren, sondern, wie als Foetus, durch ihren Koerper. Diese Kinder plaerren nicht, kreischen nicht endlos, wenn sie sich z.B. wehtun. Sie bekommen jederzeit die Mutterbrust, einfach ein Griff auf den Ruecken, ein Zug am Tuch und das Baby ist vorne am Koerper, dort wo die Labsal ist. Ein Unding bei uns. Ich glaube, dass ein solchermassen aufgezogenes Kind mehr Sicherheit verspuert und Verbundenheit mit der Mutter oder dem tragenden Vater. Und was ein Kind in fruehen Jahren genug hatte, erzeugt kein Nachholbeduerfnis in spaeteren Jahren. Wer weiss, vielleicht ist dieses Grundbeduerfnis des sich anklammernden Aeffchens in unserer Gesellschaft so verpoent, dass uns etwas an Waerme verloren geht? Vielleicht sind wir schon so auf Distanz und Regeln geeicht, dass dies auch Ursache fuer unsere Vereinzelung ist? Seit ich darauf achte, faellt mir jedenfalls auf, dass ich mir das falsche Atmen derart angewoehnt habe, dass es automatisch geschieht und ich nur bewusst zur Bauchatmung uebergehen kann. Bei den Maennern hier, auch wenn sie drahtig und schlank sind, verlaeuft die Guertellinie nicht kreisrund, wie bei uns, sondern oft nach vorne gewoelbt, als haetten sie einen Schmerbauch- den sie ja nicht haben. Und ich sehe auch mal wieder eine Frau mit gebleichter Haut. Was in den Strassen Nairobis haeufig zu sehen ist, ist hier Ausnahme. Die Frauen verwenden Hautbleichmittel, die ueber die zahlreichen Apotheken frei erhaeltlich sind, aber der Haut schaden. Aber helle Haut gilt als schoen und erstrebenswert. Die Rendille sagen: "Schoen wie ein Musungu", wg. der hellen Haut. Es geht bergab, dass Rad surrt, ich geniesse den Fahrtwind und beginne eine Grussorgie, die ich bis zum Abend fortsetze, ich fuelle meinen Seelentank mit dem Laecheln der Menschen die ich gruesse und anlache. Die Kinder kreischen manchmal vor Freude, wenn Baba Musungu ihnen winkt und sie anlaechelt und wenn ich vorbeigefahren bin und mich umdrehe, kann ich sehen, wie sie sich aufgeregt zurufen, was ihnen gerade widerfahren ist: "Hast du gesehen? Der Musungu hat gewunken, der hat mich gemeint, mich angeschaut." Es wird eine Umstellung sein, in Deutschland nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen, da wird kein Kind winken und sich ueber ein Laecheln derart freuen. Essen mit den Fingern- auch so ein Thema. Wir koennten ja meist garnicht ein deutsches Mittagessen mit den Fingern essen, selbst wenn wir wollten, denn aus unerfindlichen Gruenden wird bei uns alles derart heiss serviert, dass man pusten muss, um es in den Mund nehmen zu koennen. Da sitze ich dann hungrig vor einer gusseisernen Schuessel, in der die Lasagne noch Blasen wirft und warte 10-15 Minuten, bis ich sie essen kann. So ergeht mir das mit Pizzen und Suppen usw. Hier wird warm serviert, handwarm eben. Warum nicht im Restaurant eine, mit einem Wiegemesser vorgeschnittene, Pizza mit der Hand essen? Wieso nicht einen Pfannkuchen rollen und von Hand verspeisen? Oder einen Reibekuchen? Viele essen ja selbst Brotscheiben mit Messer und Gabel. Und ein viel praktischerer Loeffel gilt bei uns irgendwie als primitiv, denn warum sonst essen wir Erbsen, Reis, Puerees etc. mit Gabeln? Auf den abgespreizten, kleinen Finger will ich garnicht eingehen. Mir ist zunehmend klar geworden, dass wir unseren Zivilisationsgrad auch an ueberdenkenswuerdigen Verkuenstelungen festmachen: je ferner den echten Beduerfnissen, je weniger einfach-praktisch, desto zivilisierter, scheint die Regel zu lauten. Nicht das Schmatzen Musik in meinen Ohren waere, aber ich bin ja auch ein Produkt meiner Gesellschaft. Aber heute achte ich weniger darauf, ob jemand feine Benimmregeln drauf hat. Mir ist wichtiger, dass jemand hoeflich, freundlich und hilfsbereit ist, dass ist mir diesbzgl. Krone der Zivilisation. Auf der Strecke sind die Ausblicke einfach toll. Linker Hand erhebt sich ein im 18. Jh. erloschener Vulkan, der Mt. Rundwe fast 3000 m empor. Rechter Hand staffeln sich Bergketten, mit Wald und Feldern ueberzogen im blauen Dunst. Die Luftfeuchtigkeit steigt weiter, mit sinkender Hoehe wird es waermer. Am Strassenrand bewegen sich Scharen von Radfahrern mit Maissaecken, Sodaflaschen in Holzkistchen oder mit Flechtkoerben voller Obst und Tomaten. Kinder strecken mir goldgelbe Mangos entgegen, ich halte zweimal und verzehre auf der Stelle ein Dutzend, geschaelt mit einem Stueck Bambus oder einem Stueck zum Messer geformten Autoteil. Sogleich bin ich wieder umringt. Warum ich diese Reise mache? Zum Beispiel um euch kennen zu lernen! Ein letztes Mal schaue ich auf die vielen roten Kreuze, die man ueberall in Kenia und Tansania neben den Strassen auf Schildern und Gebaeuden sieht. Mit Lack sind so die Bauteile gekennzeichnet, die zu nahe an der Strasse stehen und entfernt werden muessen. Angesehen davon, was fuer ein gewaltiger volkswirtschaftlicher Schaden durch diese Abrisse entsteht, muss man sich fragen, warum Jahrzehnte lang niemand einschritt und somit das Problem erst aufkam. Und wieso selbst Schilder, die auf Krankenhaeuser oder staatliche Einrichtungen hinweisen, abgerissen werden muessen, bleibt im Dunkeln. Mehr als 10 Meter der Strasse saehe sie ja kein Mensch mehr! Die Grenze. Alles geht ganz schnell, einfach. Ich brauche als Deutscher kein Visum fuer Malawi, anders als z.B. ein Pole oder Grieche. Warum da zwischen Europaeern ein Unterschied gemacht wird, weiss ich auch nicht. Die Geldwechsler umringen mich von der Strasse bis ins Lokal und dann weiter bis zum Schlagbaum in einer Traube von einem Dutzend. Sie schubsen sich, fast bricht eine Pruegelei aus. Aus einem urspruenglich angebotenen Kurs von 1:15 (... das ist der offizielle Kurs, glauben sie uns!" oder " Ich bin ein Rasta-Mann, ein Christ, mir koennen sie vertrauen"), wird nach und nach 1:12, dann 1:10 und am Schlagbaum 1:9,5. Ich misstraue der Mischpoke, die zupfen mir von hinten aus der Hemdtasche ueber die Schulter mein Geld weg. In der winzigen Wechselstube auf malawischer Seite zeigt sich die Richtigkeit meiner Annahme. Der Kurs liegt bei 1:9,2 und ein Deal mit den gierigen Wechselhyaenen haette mich mal eben 10 Dollar gekostet, abgesehen vom Falschgeld, dass sie einem unterschieben. Die malawische Waehrung ist der Kwacha (sprich Quatsch- das letzte "A" wird verschluckt) und sein Wert entspricht grob dem kenianischen Schilling. Weil ich jetzt ohne Handschuhe fahre, habe ich bald Sonnenbrand auf den Haenden, da bliebe nur Socken drueberziehen... In Malawi herrscht Linksverkehr, wie in Kenia und Tansania. Kisuaheli wird nur hier im Grenzbereich gesprochen, ansonsten ist die Hauptsprache Chichewa (sprich Tschitsche-ua), neben anderen lokalen Sprachen. Mit "Dschmabo" ist jetzt Schluss, jetzt heisst es "Moni" und die Kinder rufen einfach "Hallo!". Ich bin jetzt auf Seeniveau, in 500 m Hoehe, also liegen rund 1000 Meter Abfahrt hinter mir. In einem kleineren Ort mache ich kurz Halt, unter mir findet ein Markt statt, ein Fahrradflicker, der seinen Einmannbetrieb unter einem Baum aufgeschlagen hat, ruft mir penetrant zu, gruessend, dann auffordernd, ich solle ihn fotografieren. Sein linkes Bein ist unfoermig angeschwollen: Elefantiasis. Ich frage ihn, ob er Geld wolle, wenn er mich zum Fotografieren auffordere. Nein, ich solle sein Bein den Deutschen zeigen. Ich erreiche nach etwa 100 km mein Etappenziel Karonga am Malawi-See, der sich tuerkisfarben ausbreitet. Ich steuere eine der besseren Lodges an, die direkt am See liegen. Das Zimmer ist zu teuer, aber fuer 2 Dollar kann ich mein Zelt zwischen 2 Booten im Sand aufschlagen, im Ruecken ein namenloses Doppelgrab des deutschen Ehepaares, die diesen Platz gebaut haben und beide an Aids starben, wie man mir erzaehlt. Die Wellen des Sees rauschen, ein starker Wind erfrischt mich, als ich unter einem Sonnenschirm direkt am kleinen Strand sitze und esse (endlich Pommes MIT MAYONNAISE!). Bei einem Glas Weisswein schreibe ich Tagebuch- Kinder, was gehts mir gut! geschrieben am 19.11. in Mzuzu
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