11/29/2004 Malawi / Dedza
Gelegenheit macht Diebe
Noch ein Albtraum
(Harald) Dedza liegt auf ueber 2000 m und so ist es angenehm kuehl, als wir morgens den Minubus nach Lilongwe nehmen. Nach anderthalb Stunden sind wir dort und Ole gibt als Erstes sein Rad in Reparatur. Diesmal wird er vom indischstaemmigen Besitzer selbst bedient und wie gross ist sein Erstaunen, als dieser eine kostenlose Reparatur erstmal mit dem Hinweis verweigert, er selbst habe ihm das Rad ja nicht verkauft, sondern sein Sohn und er gewaehre keine Garantie. Da ist er bei Ole gerade richtig, der aus der Haut faehrt- und so letztlich dann doch neue Pedale bekommt. Dann fahren wir zur mosambikanischen Botschaft im City Center District. Das klingt nach Stadtzentrum, ist aber eine Rasenlandschaft mit hohen, locker stehenden Baeumen, zwischen denen einzeln moderne Hochhaeuser und Villen stehen. In der Botschaft treffen wir ein deutsches Paerchen, das mit dem Auto das suedliche und oestliche Afrika bereist. Die Frau fragt mich, ob ich denke, dass man eine laengere Reise mit einem oder zwei Kindern unternehmen koenne. Ja, ich denke das ist gut moeglich. Technisch ist dies sowieso kein Problem. Millionen von afrikanischen Kindern aller Altersstufen machen das staendig, wobei es ihnen meist verwehrt ist, die geraeumigeren Touristenbusse mit Klimaanlage, kalten Getraenken und Tv zu benutzen. Mit einem Auto duerfte es am einfachsten sein, mit einem Motorrad braucht man einen Beiwagen. Mit dem Fahrrad wird es fuer den Vater anstrengender, denn man braucht einen Anhaenger, wie ich ihn samt Kari gezogen habe. Das waren ueber 40 kg zusaetzlich und es ging. Allerdings empfiehlt sich dann ein Rad mit festem Rahmen und stabilerer Konstruktion, auch bei den Felgen. Bei zwei Kindern braucht auch die Mutter starke Oberschenkel, was die Tageskilometerleistung auf 50-70 km beschraenkt, wenn man faehrt und im Durchschnitt einer mehrmonatigen Tour, Ruhetage eingeschlossen, etwa 30-40 Tageskilometer ausmacht. Ist man z.B. 6 Monate unterwegs, kann man dergestalt ca. 6000-7000 km zuruecklegen, wobei sich Horrorstrecken, wie meine Abschnitte im Nordsudan, in Teilen Aethiopiens und Nordkenia, verbieten- das Geschaukel, der Sand, die Hitze sind fuer Kind und Fahrer eine Tortur. Abgesehen von notwendigen Impfungen und vermehrter Sorgfalt bei Hygiene und Nahrungsauswahl, sehe ich wenig Probleme. Kinder sind nicht Ziel von Taschendieben oder Raeubern, daher sehe ich auch kein erhoehtes Sicherheitsrisiko. Als Lebenserfahrung sind Lang-Fernreisen in meinen Augen unersetzlich und hervorragend fuer Kinder geeignet. Ein weitgereistes Kind lernt, unter Schutz und Begleitung der Eltern, dass die Welt gross und bunt ist, es verliert die Scheu vor anderen Hautfarben und Gesichtern, vor unbekannten Verhaltensweisen. Kinder managen die Kontakte mit anderen Kindern schnell und auf eigene Art, sie sind noch nicht mit Vorurteilen ueberladen und suchen nicht nach deren Bestaetigung, sondern einfach nach Wegen, wie sie es sich angenehm unter Fremden machen koennen. Hat ein Kind die Erfahrung gemacht, dass es fremde Sprachen lernen kann, ohne zur Schule zu gehen, dass es in fremder Umgebung ueberall zurecht kommt, wird es selbstbewusster, selbstaendiger sein und weniger empfindlich fuer Wehwehchen. Ich erzaehle dem Paerchen von Julia, einer Suedafrikanerin, die mit ihren drei kleinen Soehnen jahrelang durch das suedliche Afrika gereist ist und ihre Kinder selber unterrichtet hat. Alle drei sind heute beruflich erfolgreich. Ich hole Geld bei Western Union ab, checke nochmals Mails. Wir essen gemeinsam in “Ali Babas” eine Pizza, dann wird es Zeit zurueck zu fahren. An der Busstation am Markt grosses Gedraenge, Geschrei, Gehupe, reinstes Chaos wie immer. Das europaeische Beduerfniss nach ordentlichen Reihen, Uebersichtlichkeit, moeglichst ruhigem Gehabe ist hier fremd. Kreuz und quer stehen die Wagen, wer bald losfaehrt, hupt halt haeufiger, dann laesst er den Motor mehrfach aufheulen und schliesslich- letzte Warnung und Aufforderung- faehrt man mehrfach andeutungsweise ab, ruehrt sich im Ruecken des Fahrers kein lautstarker Widerstand, faehrt er ab. In Malawi kennt man die Loesung, das Rad von aussen auf die Heckklappen der Busse zu binden seltsamerweise nicht, sondern bindet es zwischen Klappe und Sitze fest, was zur Folge hat, dass die Abgase die hinten Sitzendes einnebelt. Ole und ich schauen zu, als direkt neben mir zwei Urinstrahle prasseln. Ich springe erschrocken, angeekelt zur Seite, zwei lachende Busfahrer erleichtern sich vor aller Augen. Mich stoesst diese Rohheit immer wieder ab, daran kann, will ich mich nicht gewoehnen und ich sage den Kerlen, dass sie um die Ecke gehen oder sich wenigstens umdrehen sollen. Ein ca. 15-jaehriger Zuschauer will noch nachlegen, auch Ursache einer neuerlichen Lachsalve sein und fragt mich provozierend, ob ich noch nie einen malawischen Penis gesehen haette, dass ich so erschrocken sei, worauf ich auf ihn zugehe und ihm ein paar passende Worte sage und er aengstlich zurueckweicht. Da war es wieder, dieses Ueberlegenheitsgefuehl einem Weissen gegenueber, weil der mit den rauhen Umstaenden nicht klar kommt. Endlich ist das Rad verstaut, aber als wir einsteigen wollen, ist der Bus voll. Kassierer, Fahrer, Helfer, Insassen- niemand hat uns Platz verschafft, obwohl jeder wusste, dass wir mitfahren wollten. Und anstatt nun die beiden zuletzt Zugestiegenen wieder hinaus zu komplimentieren, laedt der Fahrer das Rad wieder ab. Der Schnellere, Gewitztere bekommt den Platz, hier geht es nicht gesittet nach Ankunftszeit. Das war der letzte Minibus fuer heute, es geht nur noch ein Public-Bus, auf den wir lange warten muessen. Binnen Minuten ist der voll, etwa 130 Menschen quetschen sich in jeden freien Kubikdezimeter, man weiss kaum noch, wo man seinen Fuss hinstellen soll. Ueberall Gepaeck, Arme, mein Kopf unter einer Achselhoehle, zwischen meinen Knien steht ein Mann. Ich sage ihm, dass mir an dieser Stelle eine huebsche Lady lieber waere als er, aber der Mann lacht nicht, wie die Umstehenden. Seltsamer Vogel, denke ich. Beim naechsten Stop, nach 40 Minuten, verlaesst er mit vielen anderen den Bus, auch Ole und ich verschaffen uns etwas Bewegung. Nach 2 Minuten stelle ich fest, dass mein Geld aus der Reissverschlusstasche meiner Hose gestohlen wurde und es ist bald klar, wer das war, aber der Dieb ist in der Dunkelheit verschwunden. Die Polizei durchsucht alle Passagiere, aber das ist reiner Aktionismus und Zeitverschwendung. Ich bin geschockt. Der Dieb muss mir entweder schon seit Stunden seit dem Verlassen der Geldtransferfiliale gefolgt sein, oder er hat das Geld durch die Tasche hindurch an der Form erkannt. Er hat geduldig auf seine Chance gewartet und sich im Bus neben mich arrangiert, mir den Reissverschluss stueckchenweise aufgezogen und ich habe nichts bemerkt. Ich hadere mit mir, weil ich meine Bemuehungen in Nairobi einen Bauchgurt zu kaufen, nicht intensiviert habe. Und ich spuere einmal mehr, dass mich Afrika nicht nur viel lehrt, sondern auch, dass dies schmerzhaft ist. In solchen Augenblicken wunesche ich mich in eine sichere Umgebung, in gewohnte Umstaende, dorthin, wo ich nicht jeden Augenblick aufpassen muss, wo ich was tue. Immer wieder muss ich dagegen ankaempfen, nicht alle ueber einen Kamm zu scheren, sondern trotz allem eine positive Sicht beizubehalten. Es sind immer wieder die Hauptstaedte, die Zentren des Tourimus, wo solche Dinge geschehen. Wir erreichen Dedza in der Nacht. geschrieben am 19.12. in Pretorai
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