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Reisetagebuch

12/14/2004   Suedafrika / Pretoria

Homo homini lupus IV

Fortsetzung

(Frankfurt) Ich packe gerade die restlichen Nuesse in meine Gepaecktasche am Rad, als sich mir von hinten mit eiserner Kraft eine Armbeuge um meine Kehle legt und mich in ein Hohlkreuz zwingt. Instinktiv greife ich an den Unterarm um Luft zu bekommen, ich werde fast hochgehoben, ich hoere mich roecheln, neben mir sehe ich schemenhaft mehrere Gestalten, ich blicke in Gesichter von umstehenden Spaziergaengern, suche die Maennergesichter, man sieht mich an, niemand ruehrt sich, ich versuche etwas zu rufen, sehe diese unbeteiligten Gesichter. Jeder Gedanke an Widerstand erlischt in dem kurzen Versuch Luft zu holen, binnen Sekunden verliere ich die Besinnung.

Auf dem Ruecken liegend, wache ich Sekunden spaeter wieder auf, neben mir faellt mein Reisepass gerade auf den Boden, ich sehe verschwommen mehrere Maenner, einer steckt sich mein Geld in die Tasche, ich registriere, dass auch meine Digitalkamera, die ich am Guertel trug, weg ist, selbst meinen Pullover haben sie mir hochgezogen, um einen evtl. vorhandenen Bauchgurt zu rauben.

Ich sehe die Gruppe der Raeuber rechts von mir langsam weggehen, erhebe mich, taumle, ich kann kaum atmen, ich huste, ringe nach Luft. Ich beginne um Hilfe zu rufen: "Da sind sie doch, helft mir, da, da gehen sie doch!" Ich sehe die Raeuber 10 Meter vor mir. Und ich sehe die Ausfluegler, Maenner, Dutzende, Hunderte sind im Park um mich und alles steht und schaut sich die Show an, aber niemand kommt auch nur zu mir hin.

Es sind vier junge Gangster, die nebeneinander geradezu provokativ langsam wegschlendern, immer wieder Kontrollblicke ueber die Schultern in meine Richtung werfend.

Ich reagiere so, wie ich es auch in Nairobi und auch schon mal in Holland vor Jahren getan habe: ich greife die Gangster an. Mit einem Blick auf mein Fahrrad- es stehen mehrere Paare und Familien darum herum- gehe ich los. Als ich, weiter um Hilfe schreiend, auf die Gruppe losrenne, splitten sie sich auf und ich nehme den aussen links aufs Korn. Der junge Kerl beginnt zu rennen, nicht aus dem Park heraus, sondern im Bogen um den zweiten Brunnen herum, ich muss nach wenigen Metern anhalten, bekomme keine Luft, hustend ringe ich um Atem, dann wieder Hilferufe, ich beschimpfe mittlerweile die Menge, diese Maenner, die keinen Finger ruehren, um wenigstens dieses eine Gangmitglied festzuhalten.

Wieder sehe ich zu meinem Rad, es lehnt am Brunnen, dann renne ich erneut los und diesmal habe ich den Mann, der erneut in einen Tarn-Spazierschritt verfallen ist, fast eingeholt, als endlich ein Passant nach dessen T-Shirt greift, zaghaft, aber es reicht, um mich heranzulassen. Meine Angst, meine Wut ueber den Angriff, den Raub, alles macht sich jetzt Luft und ich packe das Shirt des Mannes und druecke ihn vor mir her an einen Baum, schaffe es aber nicht, zuzuschlagen, wieder dies Hemmung. Der Kerl hat Angst, er stammelt: "Ich habe deine Sachen nicht. Ich bin nicht der Anfuehrer", das wiederholt er, aber jetzt hat sich eine Menschentraube um uns gesammelt und es hagelt Schlaege und Tritte auf den Raeuber. Mancher springt hoch, um den Kopf zu treffen, Faeuste klatschen auf den Koerper, sofort spritzt Blut, wieder und wieder Tritte zum Kopf. Es hat in Ost- und Suedafrika schon tausende von Faellen gegeben, in denen der Mob Raeuber und Diebe erschlagen, ja lebendig verbrannt hat. Ich lasse den Taeter, der gerade zum Opfer wird, los, damit er sich wehren kann, entsetzt sehe ich, wie Maenner immer wieder mit voller Wucht in das Gesicht des jetzt zu Boden Gehenden treten, der sich in Todesangst durch die Menge zu draengeln versucht, ueber den Rand des Brunnens stolpert und ins Wasser faellt. Auf der anderen Seite des Brunnens sollte mein Rad stehen, aber es ist weg! Ich stuerze dorthin, befrage die Umstehenden, alle schuetteln den Kopf, niemand habe etwas gesehen, ich renne aus dem nahen Parkausgang, es geht ja nur um ein, zwei Minuten, aber weit und breit nichts zu sehen. Ich bin voellig schockiert, schlage die Haende ueber dem Kopf zusammen, bin wie gelaehmt: alles weg, alles weg...

Dann hoere ich Schreie, der Gangster stuerzt gerade durch die Menge auf den Boden, blutueberstroemt, Maenner springen ihm auf den Kopf, treten in seine Rippen, Frauen schlagen mit Schuhen auf ihn ein. Mir ist klar: die bringen den um! Ich renne hin, der junge Mann ist jetzt besinnungslos und wieder tritt einer auf seinen Kopf, in seine Brust, Schuhe klatschen. Ich schreie die Menschen an: "Hoert auf! Ihr bringt ihn doch um!" Wo ist nur die Polizei? Eine Frau sagt ganz ruhig zu mir: "Die muessen das lernen." Schreie, "we want to finish him" (wir wollen ihn fertigmachen).

Ich beuge mich ueber den Mann, schuetze seinen Kopf mit beiden Haenden vor weiteren Tritten, der Bewusstlose erwacht, will aufstehen, sofort hagelt es wieder Tritte, ich schreie ihn an, er solle ruhig liegen bleiben, sonst braechte man ihn um und er legt sich wieder zu Boden.

Wieder und wieder rufe ich nach der Polizei, aber stattdessen tauchen zwei Fotoreporter auf und machen Bilder. Am naechsten Tag bin ich in den Tageszeitungen als der Mann, der dem das Leben rettete, der ihn beraubt hat.

Endlich taucht Polizei auf, mit Pfefferspray drohend, treibt sie die Menge auseinander, ein, zwei Schlaege bekommt der Taeter noch, dann geht es zur Polizeistation, die sich nur wenige hundert Meter nebenan befindet.

Dies ist einer von drei Polizeiposten in der Innenstadt. Bald stellt sich heraus, dass ich Fall 1186 eines "Unbewaffneten Raubueberfalls" im Dezember bin- und es ist erst der 14. des Monats! Zu den mtl. rund 2000 bis 2500 Faellen dieser Art allein in dieser Station, kommen die "Bewaffneten Ueberfaelle", Totschlaege, Morde und Vergewaltigungen. Von letzteren gibt es hier ca. 100 pro Monat!

Vor mir steht ein solches Opfer. Die junge Frau blutet zwischen den Beinen derart stark, dass die ganze Hose bis zu den Knoecheln nass ist und das Blut auf den Boden tropft. Die Frau ist voellig am Ende, schluchzt, niemand hat eine Decke fuer sie, niemand bietet ihr eine Liegestatt und Sichtschutz an. Sie weiss, dass diese Vergewaltigung sie mit grosser Wahrscheinlichkeit zum Tode verurteilt, denn es sind meist aidskranke Taeter, die sich an den Maedchen vergehen. Suedafrika hat mit mehr als 20 % eine der hoechsten Aidsraten der Welt und ein Aberglaube sagt, dass durch eine Entjungferung der Fluch der HIV-Infektion auf die Jungfrau uebergeht und der kranke Mann so geheilt wird. Deshalb werden immer mehr Kleinkinder und sogar Babys vergewaltigt, die Opfer oft sogar ermordet.

Johannesburg hat eine der hoechsten Verbrechensraten der Welt und diese Polizeistation ist der Hotspot der Stadt. Es ist den Beamten anzumerken, dass sie laengst resigniert haben. Sie verwalten das Chaos, von Praevention ist keine Rede mehr.

Die Beamten sagen mir immer wieder, dass ich froh sein soll, noch am Leben zu sein. Haette ich mich gewehrt, haette man mir wohl ein Messer in den Bauch gesteckt oder mich erschossen, meinen sie.

Wenn der Park fuer Weisse so gefaehrlich sei, warum sie dann dort nicht patrollieren, frage ich den Captain.

Dies sei nur einer von vielen Brennpunkten, man koenne nicht ueberall sein. Vor wenigen Wochen ist eine Streife aus diesem Park heraus beschossen worden. Ob ich nicht bemerkt haette, dass ich der einzige Weisse dort gewesen sei, fragt er mich. Nein, wie sollte mir das auch auffallen, wenn ich mich seit einem Jahr in Afrika unter Schwarzen aufhalte?

Der Captain ist freundlich und ruhig, aber er laechelt auch angesichts des Vergewaltigungsopfers- nicht ueber dieses, aber trotzdem. Anders ist dieses Elend wohl auch nicht zu ertragen.

Man fragt mich widerwillig mehrmals, ob ich eine Anzeige erstatten will. In Deutschland klagt der Staat bei einem Raubueberfall an, hier bleibt das meine Entscheidung und man macht keinen Hehl daraus, dass man das fuer sinnlos haelt. Ich sei ja nicht da, wenn in einem halben Jahr der Taeter vor Gericht erscheinen muesse und dann muesse man ihn laufen lassen.

Ich bestehe darauf, den Taeter selbst noch mal zu befragen. Der sitzt frierend, zitternd vor mir. Ich frage ihn, ob er sich erinnere, dass ich ihn beschuetzt habe. Ja, daran erinnere er sich. Ich biete ihm an, die Anklage jetzt sofort fallen zu lassen, wenn er mir einen Namen nennt, damit ich wenigstens einen Teil meiner Sachen zurueckbekomme. Aber er sagt nur, er sei ein Spaziergaenger und durch Zufall da hineingeraten. Nichts zu machen.

Ich bekomme in der Kantine etwas zu Essen und zu Trinken, kostenlos. Ich habe nichts mehr, lediglich mein Pass und meine Spiegelreflexkamera sind mir geblieben, weil die Taeter daran nicht interessiert waren, oder es ihnen zu laestig war, den engen Riemen von meinen Schultern zu loesen.

Ich telefoniere mit der Deutschen Botschaft. Ein Anrufbeantworter nennt eine Handynummer fuer Notfaelle, aber die ist falsch. Erneuter Versuch, im englischen Text verbirgt sich die richtige Nr., aber dort wieder ein Anrufbeantworter.

Irgendwann ein Rueckruf. Man raet mir, in einer der Gefaengnisszellen die Nacht zu verbringen. Ich frage die Mitarbeiterin der Botschaft, ob sie sich vorstellen koenne, wie ich mich fuehle und ob sie meine, dass eine Gefaengnisszelle ein angemessener Ort sei.

Nach mehreren Stunden hat die Dame mir ein Hotelzimmer in Pretoria gebucht und die Polizei bringt mich die rund 50 Kilometer dorthin. Alle drei Beamten tragen schusssichere Westen und Pumpguns, Schrotgewehre, liegen im Wagen.

In einem parkaehnlichen Vorort in Pretoria empfaengt mich ein freundliches, weisses Ehepaar das Afrikaans spricht und ich fuehle mich hier sicher und komme zur Ruhe. Als ich das Geschehene erstmals erzaehle, bricht der Schock durch und ich friere.

In diesem Gaestehaus verbringe ich dann die letzte Woche bis zu meinem Abflug nach Deutschland.

geschrieben am 6.1. in Krefeld


 


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