Home Page english version deutsche Version

  Worum es geht...
  Highlights der Reise
  Ueber Harald Radtke
  Zeitungsartikel

  Tagebuch (952 Eintr.)
  Lesermeinungen
  Leseproben
  Reiseroute
  News Archiv

  Pamphlet zur Faulheit

  Laenderinformationen
  Literatur

  Kontaktformular
  Mediainfo/Fotos
  Impressum


Reisetagebuch

2/13/2005   Suedafrika / Ubombo

Aids in Suedafrika

Ziehen wir uns diesen Schuh an?

(Harald) Eine herrlich ruhsame Nacht. Abends hab ich noch Kroeten eingesammelt, damit ich nicht auf sie drauftrete- ansonsten koennten sie gerne bleiben, denn sie verspeisen, genauso wie die stets in allen Zimmern anwesenden Hausgeckos, alles was mehr als vier Beine hat: Muecken, Schaben, Kaefer etc., bis auf den schwarzen Skorpion, den ich neben meinen Sandalen finde. Grosse, kraeftige Scheren und langer, duenner Schanz. Die Gifte dieser artenreichen Spezies wirken unterschiedlich, dieser gehoert zu den weniger problematischen. Mich wundert eigentlich eher, dass ich trotz meiner vielen Fussmaersche und dem Fakt, dass ich nur Sandalen trage, noch nie gestochen wurde.

Ich zertrete den Skorpion und werfe ihn den Huehnern in den Kaefig.

Fruehstueck- wie schon zuvor zuvor bei meinen anderen Missionarsgastgebern, soll ich mich auch hier selbststaendig am Kuehlschrank bedienen. Ich fuehle mich auch hier sofort willkommen und wohl.

Mein Gastgeber heisst Joaachim und seine Muttersprache ist Deutsch, obwohl er in Suedafrika geboren wurde, seine Frau Nicole ist Deutsche.

Joachim hat 1992 selbst eine Fahrradtour von Kairo nach Joburg gemacht. Es geht in unseren angeregten Gespraechen jedoch weniger um unsere Reisen, als um die Missionsarbeit und die suedafrikanischen Realien: Kriminalitaet, Bildungswesen, Politik, Aids.

Joachim sagt, dass er mittlerweile zu 70 % Leute unter 35 beerdigt. Auf Thabo Mbeki ist er ebensowenig gut zu sprechen, wie fast jeder andere, mit dem ich ueber den Praesidenten gesprochen habe. Mbeki leugnet den Zusammenhang von HIV und Aids. Diese Haltung hat nicht nur eine verheerende Wirkung auf die oeffentliche Meinung (denn seine dunkelhaeutigen Landsleute glauben nur allzu gerne an andere Versionen), sondern behindert, verhindert auch die Ausgabe der lebensverlaengernden Medikamente. Mbeki unterstellt, dass Aids als Folge einer HIV-Infektion nur deshalb vom Norden und den USA propagiert wird, damit die Pharmamultis ihre teuren (und s.E. nutzlosen) Medikamente verkaufen koennen.

Immer wieder ist mir auch die Version zu Ohren gekommen, dass das HI-Virus in amerikanischen Militaerlaboratorien kreiert worden sei und von dort absichtlich oder durch einen Unfall freigesetzt worden sei. Die Untersuchung von Gewebeproben von Toten, die schon in den 60er Jahren an einer mysterioesen Imunschwaechekrankheit gestorben waren, belegen allerdings, dass der Virus bereits wesentlich laenger existierte, moeglicherweise schon seit den 50er Jahren.

Trotzdem fallen solche Verschwoerungstheorien auf fruchtbaren Grund, wenn man Schuldige im Ausland sucht. Hier in Suedafrika gibt es kaum jemanden, der keinen Aidsfall in der Verwandtschaft oder im Bekanntenkreis hat. Taeglich sterben etwa 600 Menschen in S.A. an Aids, manche Gemeinden haben keinen Platz mehr fuer die Toten. Es wuerde rund 30 Millionen Euro jaehrlich kosten, alle infizierten Suedafrikaner mit antiretroviralen Medikamenten zu versorgen. Das ist wenig gegen die 22 Milliarden Dollar, die es kosten wird, wenn man jetzt nichts unternimmt.

Es wird Arbeitskraeftemangel geben (z.Zt. jedoch liegt die Arbeitslosenquote bei rd. 30 %), die Wirtschaft wird schrumpfen, die durchschnittliche Lebenserwartung deutlich sinken. Korruption und Kriminalitaet wuerden dann umsomehr ueberhand nehmen.

Seit der Welthandelskonferenz von Doha duerfen Drittewelt- und Schwellenlaender trotz Patentschutz billige Kopie-Medikamente der teuren Originale produzieren, wenn eine nationale Krise droht. Suedafrika nutzt diese Chance wegen des verbohrten ANCs und seines Fuehrers Mbeki nicht. Seine Gesundheitsministerin propagiert statt dessen gesundes Essen zur Staerkung des Imunsysems, wie hier in Prospekten selber lesen kann. Da bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Bio-Kost gegen Aids...Mandelas Sohn ist vor kurzem an Aids gestorben, die Regierung wollte die Todesursache verschleiern, aber Mandela ist selbst an die Presse getreten und hat den Anlass zu einem Aufruf an die Nation genutzt, etwas zu unternehmen.

Dazu kommen Priester der in die tausenden gehenden Privat-"Kirchen", die ihren Anhaengern predigen, dass Kondome nicht helfen, denn man sehe ja: die jungen Maenner benutzten ja Kondome und erkrankten trotzdem. Und Promiskuitaet habe es ja schon seit Menschengedenken und trotzdem habe es kein Aids gegeben- also sei Enthaltsamkeit auch keine Loesung.

Gleichzeitig bieten diese Leute sich als "Heiler" an, verkaufen eigenkreierte Tinkturen, wie bei uns dereinst die Quacksalber, die Haarwuchsmittel anboten und machen mit den Wunderglaeubigen ihr eintraegliches Geschaeft.

Erkrankt ein an Aidsinfizierter an Cholera, Malaria oder Tuberkolose, dem deutlich wahrnehmbaren Hauptindikator einer Aidsinfektion, so kann er aufgrund seines bereits geschaechten Imunsystems der Krankheit kaum noch widerstehen. In Europa sterben 9 % der an TB Erkrankten, in Afrika dagegen 40 %. Jeden Tag sterben in Afrika rd. 3000 Kinder an Malaria. 3000. Dreiviertel aller Malariatoten sind juenger als 5 Jahre. 90 % der mehr als eine Millionen Malariatoten weltweit sterben nach UN-Angaben suedlich der Sahara. In Afrika, hier.

In Swasiland haben Traditionalisten und einflussreiche Dorfaelteste die Verwendung von Moskitonetzen fuer Schwangere verboten, weil sie durch die Verwendung eines "Zeltes" im Haus eine Fehlgeburt erlitten. 4000 Netze, die die UN gespendet hat, verrotten deshalb in Lagern in Swasiland.

Nach unterschiedlichen Befragungsergebnissen glauben zwischen 9 und ueber 30 % aller Maenner in S.A., dass Beischlaf oder sogar nur die Vergewaltigung einer Jungfrau vom HI-Virus befreit. Aufklaerung tut not.

Eine grosse Reisegruppe aus Westfalen ist zu Gast in Joachims Kirche. Ich fahre mit ihm am Morgen zu dem kleinen Stein-Holzbau mit Wellblechdach. Einfache Holzsitze, ein ebensolcher Altar, hinter dem auf der Mauerkante zum Dachstuhl ein grosser Waran umherschleicht.

Der Gottesdienst dauert drei Stunden, am Anfang etwas verkrampft, so fremd sind sich alle. Die feingekleideten Deutschen, die dicken Mamas in ihrem besten Kittel. Joe zelebriert in der Zulusprache. Es wird vielstimmig gesungen, geklatscht, es gibt getanzte Umzuege, dann geben die Besucher mit Gitarrenbegleitung etwas zum Besten, die Stimmung ist geloester. Gemeinsames Gebet, jeder in seiner Sprache, das Vaterunser. Ich werde kurz vorgestellt ("... mit dem Fahrrad von dort bis hierher in mehr als zwei Jahren..!) und dann wird gemeinsam auf einer Terrasse gegessen, die Frauen haben gekocht und Salate zubereitet und dann sprechen mich noch viele an und erfragen meine Website und dann Abschied und der Alltag kehrt wieder ein auf dem Berg. Gegenueber liegt ein verlassener Schulbau und gibt mir Fantasien von halbleeren Klassenraeumen ein.

Mein Blick schweift ueber die gruene Ebene unter uns, 60-Kilometersicht heute. Mittendrin verstreute Siedlungen, braune Felderflecke, das Blitzen eines Autofensters.

Am Abend schaue ich mir auf Video "Der Schuh des Manitou" ("..ich hab dich lieb, Winnetou") an, damit ich auf andere Gedanken komme.

geschrieben am 1.3. in Durban


 


  Team Login

© biketour4goodhope