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Reisetagebuch

2/14/2005   Suedafrika / Hluhluwe

Ein blaues Schweinchen

Traumbett

(Harald) Morgens lasse ich den gestrigen Tag noch mal revue passieren. Joachim hat einen Fernsehbericht auf Video aufgezeichnet, den ich mir angeschaut habe. Es ging um die “Wahrheitskommission”, vier Faelle als Beispiele fuer die Arbeit dieser Institution, einmalig in der Welt.

Nach dem Ende der Apartheid 1994 war klar, dass es nicht moeglich war, die Vergangenheit einfach zu vergessen. Zu viele Verbrechen waren geschehen, zuviel Leid war angetan worden. Aehnlich den Nuernberger Prozessen nach Ende des Zweiten Weltkrieges, wurde in Suedafrika eine Kommission ernannt, deren Mitglieder nun seit ueber 10 Jahren versuchen, die Verbrechen der Apartheidzeit aufzuarbeiten, indem sie den Taetern Strafmilderung oder –befreiung anbietet, wenn diese sich freiwillig der Kommission stellen und gestehen. Sie muessen dort die volle Wahrheit sagen, d.h. auch alle Mittaeter und Zeugen nennen.

Es geht fast ausschliesslich um Morde. Ein junger Schwarzer aus einem Township hat im Zuge einer Protestkundgebung, die sich zum Mob auswuchs, ein weisses Maedchen, 18 Jahre alt, erstochen. Als Grund gab er an, dass er glaubte dies tun zu muessen, damit die Weissen auf das Unrecht des Apartheidregimes aufmerksam wuerden. Seine Mittaeter sitzen neben ihm, sie sind betroffen, als sie den Kummer der amerikanischen Eltern sehen, hoeren. Hoeren, dass gerade dieses Maedchen eine erklaerte Gegnerin des Unrechtssystems war, eine Petition an die damalige Regierung geschrieben hatte. Der Haupttaeter kann nicht verstehen, wie die Eltern jetzt bereit sein koennen, ihm und den anderen Taetern zu vergeben, sogar die Eltern einer der Taeter besuchen.

Anderer Fall: Mehrere weisse Polizisten des Geheindienstes sitzen da, sichtlich geschockt, weil sie erwartet haben freigesprochen zu werden oder mit Bewaehrungsstrafen davon zu kommen. Sie haben im Dienst drei junge Maenner, die sich fuer den ANC engagiert haben, in deren Auto angehalten und hinterruecks erschlagen. Einer der braven Familienvaeter wurde von seinem Gewissen gequaelt und ueberredete seine Kollegen, vor die Kommission zu treten. Aber sie sagten nicht die ganze Wahrheit, versuchten wichtige Dinge zu vertuschen, um die Tat in einem besseren Licht erscheinen zu lassen, worauf die Kommission einen weitgehenden Busserlass verweigerte.

Es ist scmerzlich, oft unertraeglich fuer mich, die Berichte, Gestaendisse anzuhoeren, Menschen, die zugeben, ueberlegt getoetet zu haben. Die beschreiben, mit welcher Kaelte, Berechnung und Brutalitaet sie handelten, Studenten, Vaeter, auf die Verfassung verschworene Beamte. Wie unertraeglich muss es fuer die Hinterbliebenen sein, die Taeter vor sich zu sehen. Bischof Tutu merkt in einem Interview an, dass es auch fuer die Taeter schwer ist zu gestehen und den Hinterbliebenen ins Gesicht zu schauen.

Durch die Arbeit der Kommission soll eine Aufarbeitung stattfinden, auch Dampf aus dem Kessel gelassen werden, der in S.A. unter so grossem Druck steht und sich auch in der Kriminalitaet der Schwarzen gegen die Weissen widerspiegelt. Da werden alte Rechnungen beglichen, ueber 1500 Farmer und ihre Familien haben z.B. in S.A. seit 1994 bei Ueberfaellen auf ihre Farmen ihr Leben gelassen.

Ich stehe auf, wir fruehstuecken gemeinsam. Ich rufe mal wieder bei der Travellerscheckgesellschaft an. Heute dauert das Telefonat geschlagene drei Stunden am Stueck. Ich fuehle mich genoetigt zwischendurch zu bemerken, dass ich nicht der Taeter, sondern das Opfer bin. Man glaubt nicht, dass ich von Maputo aus die verschiedenen Telefonnummern nicht anwaehlen konnte, dass meine Faxe unbeantwortet blieben, dass meine Bank in Krefeld die Hilfe mehrfach verweigerte, dass die Polizei mir keine Kopie meiner Anzeige aushaendigen wollte, obwohl ich schon Schmiergeld bezahlt hatte. Sechs Seiten Fax-Formulare treffen ein, alles nochmal von vorne.

Dann reisen wir ab. Joachim und Nicole mit Kind im Auto, ich auf dem Rad. Ich werde auch den Spaziergang mit Joachim nicht vergessen, vor Sonnenuntergang, im heftigen Wind, oben auf dem Berg, sein Lachen, seinen freundlich-wohlwollenden, respektvollen Umgang mit den Leuten hier. Unser Gespraech mit Aussicht ueber die umgebenden Ebenen, Blicke bis nach Mosambik hinueber.

Eine Weile versuche ich noch mit dem Auto mitzuhalten, dann bin ich alleine. Die Sonne brezelt, ich schwitze. Bergab durch Buschland, tote Schlangen auf der Strasse: eine zwei Meter lange Python, eine gruene Mamba, braune, stiftduenne Exemplare. Eidechsen huschen vom Aspahlt ins Gras, eine Agame nickt mir drohend zu, grosse Kaefer surren wie Helikopter mit haengendem Hinterleib taumelnd in die Fieberbaeume, Akazien mit gruengelber Rinde, von denen die Zulus glaubten, dass sie die Malaria ausloesten.

Es ist eine schwere, dunstige Hitze, der Aspahlt spiegelt, flirrt.

Ich erreiche Mkuze, esse im “Wimpy” (Aircondition).

55 km bis Hluhluwe (sprich “Schluschluwe”, wobei das SCH wie ein Sprachfehler gesprochen wird, mit breitem Mund und nach oben an den Gaumen gebogener Zunge).

Die spektakulaere Bergkette linker Hand wird immer niedriger, flacher, verschwindet schliesslich ganz. Adler kreisen, einer sitzt auf einem der Strommasten, er hat eine Sturmfrisur, seine unibraunen Haubenfedern wippen wie Indianerfedern im Wind.

Auch in Hluhluwe ein “Wimpy”. Die Kellnerin wieder ganz hilflos beim Abstellen der Teller, da der vorgesehene Platz direkt vor mir durch mein Tagebuch und Notizen belegt ist. Ich nehme mein Buch zur Seite, sie stellt ihn ab, ist erloest, geht, ich stelle den Teller zur Seite und lege das Buch wieder vor mich. Ich denke, der starre Umgang mit der Buerokratie hat die gleiche Ursache. Es ist Unbeholfenheit, es fehlt an der Sicherheit, sich im vorgegebenen Rahmen frei zu bewegen, weil keine breitere Grundlage vorhanden ist, die ein Gefuehl fuer moegliche Varianten zulaesst. Also folgt man sklavisch vermeintlich unveraenderlichen Gewissheiten. Ein lesender, schreibender Gast bei “Wimpy” ist wahrscheinlich so selten, wie ein blaues Schweinchen, dafuer gibt es keine Tellerabstellregeln. Ich mag diese Unsicherheit, sie macht die Leute symphatisch. Aber mich nerven die Muehlen der Buerokratie.

Im Spar-Supermarkt (derselbe wie bei uns, gruenes Baeumchen, rote Schrift etc.) Einkauf. Am Ausgang stets ein Bon-Kontrolleur, oft von einer Sicherheitsfirma ageheuert, der nochmals nachprueft, ob jeder alles bezahlt hat. Er hakt den Bon ab, schaut in die Tueten. Gestohlen wird so haeufig, dass sich die zusaetzlichen Personalausgaben lohnen.

Der junge Schwarze, der die Tankstelle nebenan managt, ruft ueber ein Handy den Besitzer eines B+B an (Bed and Breakfast=Bett und Fruehstueck), dessen Inhabe holt mich in seinem weissen Pick-Up-4x4 ab.

Etwas ausserhalb, inmitten eines Einfamilienhausidylls der “Vakasha BednBreakfast”. Ein schoenes Zimmer, Ventilator, nur die Dusche versagt den Dienst. Draussen Palmen, kurzgeschorener Rasen, Sprenger. Und was fuer ein Traumbett!

geschrieben am 2.3. in Durban

15.2. Hluhluwe

Der besitzer heisst Mike, ist sichtbare 70 Jahre alt, dick wie ein Elefant, schweratmig, auf seiner linken Wange ein blutiger Verband, man hat gerade zum zweiten Mal einen Hautkrebs operiert, nachdem er schon Prostatakrebs hatte. Seine Frau heisst Sibongile, ein hier gelaeufiger Zulu-Name. Sie ist klein, dunkelhaeutig, gut im Futter und 35. Die beiden sind seit 5 Jahren verheiratet und Mike ist ganz dankbar und voll des Lobes ueber Sibongile. Die beiden scheinen gluecklich. Aber Mike bedauert, dass er keinen Konakt mehr zu seiner frueheren Famlie hat. Seine Kinder kommen ihn seit der Heirat mit einer Schwarzen nicht mehr besuchen, Verwandte gruessen ihn auf der Strasse nicht mehr. Fuer diese Verbindung hat man keine Toleranz uebrig und ich denke unwillkuerlich an “Angst essen Seele auf”. Was fuer einen Mut dieser Mann hatte, dass alles, voraussehbar, auf sich zu nehmen.

Ich telefoniere wieder mit der Travellerscheckagentur. ErfolgloseVersuche zu Faxen, Rueckrufe. Himmel, was geht mir das auf den Zwirn! Wann endlich, bekomme ich meine Rueckerstattung?

Als ich mit allem fertig bin, kann ich nicht glauben, dass es schon 16 Uhr ist. Noch loszufahren macht keinen Sinn mehr.

Ich sitze draussen, lese, meine Gedanken verlieren sich in der gruenen Ebene hinter den Palmen. Zwei Jahre Afrika jetzt. Hab ich was verstanden, gelernt? Ja. Z.B., das Afrika gross ist. Ich meine wirklich gross. Riesig. Gigantisch. In fast jeder Hinsicht. Hoch. Weit. Hell. Arm. Reich. Gerissen. Voller Energie. Tod und Lebensgier. Alt und modern. Tradition und rasende Wucherung. Ich werde immer dieses Weisse-Zaehne-Lachen vor Augen sehen, die lauten Stimmen, das Falsett des “Hhhuuiiii!” der Frauen hoeren, die ins Kicksende sich verlierenden Lautbeschreibungen der Maenner, wenn sie wiedergeben, was sie gefuehlt haben in irgendeinem Moment, ihr Haendchenhalten. Ich werde das Schlurfen der Badelatschen vor mir sehen, hoeren wie es auf die rissigen Fusssohlen klatscht. Das fahle Gruen des Buschlandes, die rot-braune Erde, das Schreien der Busbegleiter hoeren, Eselwiehern, Grillen und Froesche bei Nacht, Zikaden und Voegel bei Tag, Stimmen in nie gekannter Vielfalt. Ich bin ja noch hier, mehr denn je. Und trrotzdem denke ich, wie am Anfang immer wieder: Ich bin in Afrika! Und kann es nicht glauben.

Ob es einen Harald-Rip-Van-Winkel-Effekt geben wird, wenn ich zurueck komme?

“Felix qui potuit rerum cognoscere causas.” (Gluecklich, wer die Ursachen begreifen kann)

“Wir werden nicht nachlassen in unserem Forschen. Und das Ende des Forschens ist, an den Ausgangspunkt zu kommen und zum erstenmal den Ort zu erkennen.”

T.S. Elliot, “Little Gidding”

“Aber die Moewe Jonathan…war kein gewoehnlicher Vogel…er wollte fliegen, wollte es mehr als alles andere auf der Welt.

Richard Bach, “Die Moewe Jonathan”

“Ich glaube, die einzige Bedeutung all dieser Umtriebigkeit…liegt darin, dass wir …,wenn man es genau betrachtet, in die Schoenheit verliebt sind…Und ich meine, die Zivilisation, so wie sie zur Zeit verstanden wird, sollte verdammt noch mal die Schnauze halten und sich eingehender die Frage stellen, was diese Sorge um die Schoenheit wohl bedeuten koennte. Moeglichst noch, bevor es zu spaet ist, wenn sie verstehen, was ich meine.” Der Baer in Rafi Zabors: “Der Baer kommt heim”

Die Welt braucht Schoenheit, Afrikas Schoenheit. Wir brauchen Pflanzen, Tiere, Landschaften nicht nur als Filme und Fotos, als Genpool oder Ressourcen fuer Medikamente und Industrie. Wir brauchen die wilde Natur im sprituellen Sinne, wir brauchen Herausforderung, Gefahr, Unbegreiflichkeit um Menschen zu bleiben, die sich ihrer Koerperlichkeit, der Quellen des Daseins bewusst zu bleiben. Hier sind wir fern des kuenstlichen Ersatzes fuer all das. Hier sind wir hergekommen, entstanden, hier wurden wir geformt, zu dem, was wir heute sind. Wir brauchen Afrika um uns zu erinnern, was wir sind.

Harald

geschrieben am 2.3. in Durban


 


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