2/21/2005 Suedafrika / Mtubatuba
Quo Vadis?
Die neue Rolle der Frauen in Afrika
(Harald) Zwei Zimmerleute auf der Walze sind im Backpacker eingekehrt. Sie tragen ihre Zunft-Uniform aus schwarzen Cordhosen mit weitem Schlag, weissen Hemden und Westen und schwarzen Hueten, sowie auf der Brust die Abzeichen ihres Handwerkerbundes. Drei Jahre dauert die Walze, waehrend der sie ihrem Wohnort nicht naeher als 50 km kommen duerfen, um so andere Handwerktechniken kennen zu lernen, selbstaendig zu werden und mit fremden Menschen und Arbeitern zurecht zu kommen. Eine der beiden Haushaltshilfen heisst Sibongile, sie ist Zulu, Ende Zwanzig und hat einen Sohn, aber keinen Mann. Ihr letzter Boyfriend ist zuletzt mit einer Pistole im Backpacker aufgetaucht. Sibongile hat sich aufs Essen verlegt, ich sehe sie schon morgens das Essen vom Vorabend freudlos in sich hineinschaufeln, kalt, aus der Plastikschuessel, im Stehen, wie automatisch. Sie ist in sich gekehrt, ihre Antworten sind kurz und leise. Ihr Kind wird von einer anderen Frau betreut, damit sie Geld verdienen kann. Wir denken, dass afrikanische Familien aus einem Patriarchen und mehreren Frauen und vielen Kindern bestehen. Aber das ist, vor allem in SSA (Sub-Sahara-Afrika) laengst eine Ausnahme geworden. Immer mehr Muetter ziehen ihre Kinder alleine auf, wobei sie nicht auf staatliche Unterstuetzung hoffen koennen, d.h. arbeiten muessen, weil die Vaeter sich nach der Trennung von der Mutter nicht mehr um den Unterhalt kuemmern. Dies z.T. auch, weil sie neue Partnerinnen und neue Kinder versorgen muessen und nicht genug verdienen, um zwei Familien zu unterstuetzen. Die “Moderne” hat in Afrika laengst Einzug gehalten. Die Mehrgenerationenfamilie gibt es nur noch selten, man ist auch in dieser Hinsicht auf bestem Wege, unseren Lebensstil nachzuleben. Die Muetter ziehen aus beruflichen Gruenden aus ihren Heimatorten weg, dahin, wo sich Chancen bieten Geld zu verdienen. Somit sind sie von ihren Verwandten getrennt und muessen andere Kontakte nutzen, um ihre Kinder waehrend ihrer Arbeitszeit beaufsichtigen zu lassen, denn Kindergaerten gibt es nicht (die sind eine deutsche Erfindung und heissen daher auch im ganzen englischsprachigen Raum „kindergarden“). Von Familien im herkoemmlichen Sinne kann immer seltener gesprochen werden. Das widerspricht dem klassischen Rollenverstaendnis in Afrika. Die Maenner definieren sich zunehmend ueber Geld, fuer das sie Statussymbole kaufen, wie z.B. Handys, Autos und Kleidung. Heute kann man keine Loewen mehr toeten, oder zum Mann werden, indem man den ersten Feind toetet. In Suedafrika wurden viele Maenner zwangslaeufig zu Wanderarbeitern, weil sie ihres Landes enteignet wurden. Andere arbeiteten in den Minen des Landes, weit entfernt von ihren Familien. Heute sind die LKW-Fahrer eine weitere Gruppe “Entfamilisierter”. All das foerderte die Prostitution, was wiederum zur Verbreitung von Aids beitraegt. Die Vereinsamung, die harte Arbeit, der Verlust des Eigentums an Land und Vieh und der alten Maennlichkeitsbilder foerdert den Alkoholkonsum. In Afrika war das Trinken ein Vorrecht der alten Maenner, der Weisen und Raete, die mittels Alkoholtrinkens als Ritual, freier zu Sprechen vermochten, ihre Gefuehle zeigen konnten und tranceaehnliche Eingebungen hatten. Maenner alleine zusammen neigen zum Bierkonsum als Maennlichkeitsritual. So versaufen die Maenner oft ihr Einkommen und geben es fuer Freundinnen und Prostituierte aus, anstatt es zur Unterstuetzung der Familien aufzuwenden. Alleinstehende Muetter halten ihre Kinder umso mehr zur Selbstaendigkeit, auch gewerblichen Arbeit an, was diese in der Folge oft vom Schulbesuch abhaelt. Schulgelder und Kosten im Krankheitsfall verschlingen einen Teil des Einkommens, so dass die Frauen wenige Chancen haben, sozial aufzusteigen. Und trotzdem schaffen es viele Muetter, kleine Marktstaende oder Laeden zu betreiben, was in Afrika als wohlhabend gilt. Dass solche Frauen es ablehnen, den Maennern ihr altes Kontrollrecht zuzugestehen, liegt auf der Hand, was zu Konflikten fuehrt. Auch nehmen die Frauen zunehmend nicht mehr hin, dass die Maenner Freundinnen haben, was afrikanischen Maennern als Vorrecht gilt und als Beweis fuer ihre Potenz und Maennlichkeit gilt. Traditionell ist es in Afrika weitgehend ueblich gewesen, dass die Kinder die Mutter im Alter unterstuetzen. Ein weiterer Verfall der alten Sitten wird vermehrt dazu fuehren, dass die Alten verarmen, denn die Staaten zahlen keine, oder unzureichende Renten. Maenner erhalten bevorzugt Jobs, weil sie als Versorger der Familien gelten, obwohl dies meist gar nicht mehr der Realitaet entspricht, sondern den Frauen obliegt. Auf Frauen lastet bei der Jobsuche auch der “Makel” von Schwangerschaft und Kinderversorgung- man kennt das Problem zur Genuege aus Deutschland. Flexibilitaet und Pragmatismus ist die Antwort von Afrikas Frauen. Immer haeufiger wenden sich Programme fuer Verbesserungen der Lebenssituation direkt an die Frauen und nicht mehr an die Maenner. Ich fahre mit dem Bus nach Richardsbay, einer Kleinstadt mit dem gleichwohl groessten Kohleverladehafen der Welt und hole mir bei “Rennies” ueberwiesenes Geld ab. Das Zentrum besteht weitgehend aus den altbekannten Malls, den Einkaufszentren, zwischen denen sich Strassenhaendler einfache Holzstaende aufgebaut haben, um ihre Handy-Cover, Batterien, Sonnenbrillen, Gemuese und Obst anzubieten. Bananen kosten hier, 20 Stk., nur 4 Rand, also 50 EU-Cent. Rueckfahrt. Die Fahrer rasen hier haltlos. Statt der erlaubten 80 km/h bergab 120. Keine Chance im Ernstfall zu Bremsen oder Auszuweichen, volles Risiko. Da ist man in Kenia weiter. Dazu ohrenbetaeubende Musik aus mehreren Lautsprechern, unglaublich, aber niemand beschwert sich. Als eine besonders schrille Tirade ertoent, klatsche ich enthusiastisch Beifall und alles lacht- Ironie scheint man hier zu verstehen - was den Fahrer aber nicht weiter stoert. In diesen Taxis bin ich grundsaetzlich der einzige Weisse. Am Abend frage ich Sibongile, ob die Zulus die weibliche Beschneidung praktizieren. Ja, antwortet sie etwas schuechtern, nicht mehr so oft, aber ja, es komme vor. Vor allem die Xhosas hielten noch an dieser Tradition fest. Die Fachliteratur behauptet hingegen, dass in Suedafrika nicht beschnitten werde. Eine Argentinierin ist an– und abgereist, ein deutsches Paerchen erzaehlt mir von ihren Erfahrungen in Nigeria, sicherlich einem der anstrengendsten Staaten des Kontinents. Sie nehmen meine Diafilme im Handgepaeck mit nach Deutschland. Dieser Backpacker ist definitiv der Beste. Schwer, hier wegzukommen. geschrieben am 3.3. in Durban
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