3/15/2005 Suedafrika / Bizana
Transkei
Mal wieder richtig Afrika
(Harald) Aufbruch gg. 10.30 Uhr nach einem ausgiebigen Fruehstueck aus 3 Crepes, Toast und dem Ueblichen, waehrend dem ich mich mit der gestern angereisten Hollaenderin aus Amsterdam unterhalte. Die Alleinreisende ist 42 und arbeitet fuer eine private Fluechtlingsorganisation, fuerchtet aber derzeit um ihren Job, weil die Zahl der Fluchtlinge, die in die Niederlande einreisen wollen, abnimmt. Heute wird sie eine viertaegige Wanderung machen, ein von der EU gefoerdertes Projekt namens “Amadiba”, bei dem die Dorfbewohner entlang der Kueste zwischen Port Edward und Port St. Johns, wo kein motorisiertes Vehikel fahren kann, direkt am Erloes der Touren durch ihre Heimat beteiligt sind. Dies ist die Idealform von Tourismus, wobei auch auf oeklogische Aspekte geachtet wird, z.B. keinen Abfall entlang der Route zu hinterlassen, Waldbraende durch Lagerfeuer zu vermeiden etc. Die Fuehrer sind aus dieser Gegend und erklaeren auch Pflanzen und deren Verwendung fuer medizinische Zwecke, heilige Staetten der Xhosas und das Dorfleben. Jeany bittet mich, mit ihr in Kontakt zu bleiben, was mir aufgrund der vielen Mails und der Internetkosten kaum moeglich sein wird. Michael verabschiedet mich mit einem neuerlich sueffisant-anzueglichem, wenngleich freundlichen Laecheln:” Du bist mehr als willkommen wiederzukommen.” Alter Schlemihl. Sonne, Rueckenwind. Hinter Port Edward ein breiter, brauner Fluss, eine Bruecke. Ich mache Fotos, da stehen Leute im braunen Wasser, ich denke an die Haie. Entlang der Ufer wird gefischt, ein Event mit grossen 4x4, Braais, der suedafrikanischen Variante des Grillens mit Unmengen von Fleisch in Form von Wuersten und riesigen Steaks, mit Musik aus offenen Autotueren, Bier-Sixpacks und Kuehlboxen, auf denen man sitzt. Die Strasse macht eine Rechtskurve, das Meer entschwindet, es geht aufwaerts. Ein Schild zeigt: Hier ist die Porvinz KwaZulu-Natal zu Ende und die Provinz Eastern Cape und die Transkei beginnen. Ein anderes Schild warnt vor Kuehen “auf den naechsten 280 km.” Wie ich das weahrend der ganzen Reise erlebt habe: die Weissen in Natal haben mir gesagt, dass die Xhosas nicht so freundlich waeren wie die Zulus, waere ich in umgekehrter Richtung gefahren, haette man mir vielleicht die umgekehrte Auskunft gegeben. Tatsaechlich aber sind die Leute ausserordentlich freundlich. Ein Reisender, der langsam genug faehrt, dass man ihn gruessen kann, kommt hier nur sehr selten vorbei. Ich bin ja fuer die Hiesigen nicht von einem Suedafrikaner zu unterscheiden und trotzdem winken sehr viele Leute, pfeifen, rufen, um auf sich aufmerksam zu machen, oft 50 und mehr Meter entfernt von der Strasse, Hauptsache ich schaue hin und rufe zurueck oder winke, dann ists gut: “Schau mich an, nimm mich wahr, vergess mich nicht, ich bin hier, fahr nicht einfach so vorbei,” sagt Afrika und ist freundlich, interessiert. Manchmal folgt dann Betteln, eine Geste zum Mund, eine offene Hand, ein “some Rand…” Mir geht das Herz auf, gute Laune stellt sich ein, ich grinse mal wieder dauernd vor mich hin. Kinder in Schuluniformen die zur Schule gehen, das ist immer ein grosses Hallo, viel Neues bekommt man hier ja nicht zu sehen, schon garnicht einen Radfahrer, der sich hechelnd hier den Berg raufmueht. Die Jungs zeigen den OK-Daumen, manche machen auch auf 2-Pac, den schwarzen Raphelden aus USA, indem sie nur drei ausgestreckte Finger zeigen, wie sie es auf den Postern gesehen haben, oder in der Bar bei MTV. Weiter hoch. Dicke Mamas sitzen im Gras neben der Strasse in bunten Tuechern, unter Sonnenschirmen verkaufen sie Bananen, Aepfel, Kekse. Ich setze mich zu ihnen, sie waschen mir die Aepfel mit Wasser aus kleinen Kanistern, wir unterhalten uns. Das ich so weit auf dem Rad gefahren bin, scheinen sie nicht wirklich zu glauben, vielleicht denken sie, dass es ein Missverstaendnis ist. Ich krache mich durch zwei Aepfel durch, geniesse diese neue Freiheit etwas fuer mich foermlich Ungeniessbares wieder essen zu koennen. Aufwaerts durch die gruenen Huegel. Es wird kuehler. Ca. 6,5 Grad pro tausend Hoehenmeter sinkt die Temperatur im Mittel und am Nachmittag bin ich auf ueber 500, 600 Meter. Kurz vor Bizana habe ich einen Platten am Hinterrad. Die Slicks, schmal und fast ohne Profil, sind einfach empfindlich. Ich pumpe dreimal auf, bevor ich die Kleinstadt erreiche. 60 km liegen hinter mir und die waren anstrengend. Im “Spar-Markt” kaufe ich ein, will ein Brathaehnchen haben, soll 10 Minuten warten. Der Manager, ein Weisser, gibt meine Order nochmals ab. Ich warte, aber als ich zurueckkomme, sind alle Broiler verkauft- sowas klappt nie, es sei denn, man steht daneben. Im KFC schiebe ich das Rad, wie fast ueberall auch, in den Laden. Ich sehe keinen Weissen in der Stadt, nur eine miniberockte Chinesin laeuft am Fenster vorbei und die Namen der Laeden verweisen auf chinesische, vor allem indischstaemmige Inhaber. Es gibt drei Hotels, aber hier im Binnenland keine Backpacker. Das erste Hotel ist komplett belegt, die Inhaberin laesst ihre Tochter mit mir gehen, um mir bei der Zimmersuche zu helfen. Die kleine, pummelige Dame ist 18 und traegt Schuluniform- weisse Bluse, gruener Rock und weisse Kniestruempfe- und spricht gut Englisch. Erst muss ich meinen Platten reparieren. An einer Tankstelle findet sich ein Schraubenschluessel, um das Rad zu loesen, die praktischen Schnellspanner hat das billige Rad nicht. Fahrradgeschaefte gibt es hier nicht, die Stadt ist fahrradfrei. Dreimal haelt der Flicken nicht, ich habe nur noch einen uebrig. Mit einem Schneidbrenner flammt der Monteur das Gummi trocken, denn es ist kuehl und feucht hier. Dann brennt der Kleber kurz, Flicken drauf- haelt! Ich setze das Rad zusammen, staendig umringt von mehreren Neugierigen. Der Mann, der mir den Schluessel geholt hat, nimmt das Rad pruefend in die Hand und ehe ich mich versehe, schwingt er sich mit einem gemurmelten “ausprobieren” drauf und faehrt davon, ich rufe im Halt zu, renne hinterher, es gibt nichts auszuprobieren, der will nur auf dem Rad fahren und mein “Nein” vermeiden, die Vorderradbremse ist ja ausgehaengt und der Reifen hinten kaum aufgepumpt, alles lacht, der Bursche faehrt um die Tankstelle herum, natuerlich full-power und es kommt was kommen muss, ein Abflusskanal aus Beton, rund aber tief, seine Hand greift zur Vorderradbremse (die ueblichen Raeder haben nur diese), die Bremse ist ausgehaengt, der Ruecktritt geht auch ins Leere, er kracht durch den Kanal, will noch eine Runde an mir vorbei weiterfahren, ich reisse ihn am Arm fast vom Rad und meine Hinterradfelge hat ein Ei, wie ich noch keines hatte. Herzlichen Glueckwunsch! Hier kann das niemand reparieren, erst in East London wird das wieder moeglich sein. Und ausserdem klemmt jetzt auch noch die Hinterradbremse- damit werde ich mich morgen beschaeftigen! Es ist schon dunkel. Wir suchen ein Hotel. Das Zweite vermietet fuer 250 Rand, also etwa 35 Euro und es ist weit von einem Stern entfernt. Man kann auch fuer 35 Rand die Stunde mieten und die Frau fragt mich, ob ich diese Alternative nicht bevorzuge. Eilig versichert das Maedchen, dass wir hier nicht zu Zweit ins Zimmer wollen und ich muss lachen, weil die Situation angesichts der Uniform meiner Helferin nach “Schulmaedchensex” aussieht. Schliesslich gibt es fuer weniger Geld ein muffiges Zimmer in einem anderen Hotel. Wenn ich bedenke, dass ich fuer 75 Rand in einem Backpacker nicht nur ein erstklassiges Dormbett mit Ventilator oder Klimanlage incl. Fruehstueck haben kann, sondern auch Swimmingpool, Fernseher, Musik etc., erscheinen einem die Preise der von Schwarzen gefuehrten Hotels unglaublich. Ich bringe mein Gepaeck ins Zimmer und im Tuerrahmen erscheint die Matrone vom Eingang und verlangt jetzt einen Aufpreis, weil ich ohne zu bezahlen ins Zimmer gegangen sei. Da sie mir die Schluessel in die Hand gedrueckt und die Tuere offen gelassen hat, frage ich nur, ob das ihr Ernst sei. Das Maedchen nickt: ”Es ist ein Gesetz.” Diese Formulierung ist mir in Afrika oft begegnet. Ich sage, dass eine Regel kein Gesetz sei, sie zuckt die Schultern, man ist gewohnt sowas nicht zu hinterfragen. Ich lache erst noch, aber die Frau besteht darauf. Ich sage der Frau, dass ich erstens bleibe und sie, wenn sie so weitermacht, gar kein Geld bekommt. Dann muss sie den Inhaber rufen und der wird nicht erfreut sein, dass seine Angestellte sich etwas extra in die Tasche stecken will, indem sie die Gaeste veraergert. Die Frau gibt klein bei und ein Trinkgeld kann sie jetzt eh vergessen. Als ich das Maedchen zum Hotel der Eltern zurueckbegleite, ist die Mutter inkommod und hat wohl gemutmasst, dass ich ihre Tochter verfuehre. Theatralisch zieht sie die Mundwinkel weit nach unten, mit zurueckgeworfenem Kopf schaut sie mich wie den Satan persoenlich an. Ich entschuldige mich, erklaere den Ablauf, aber schliesslich ist mir die junge Dame ja aus freien Stuecken und mit Segnung der Mutter hilfreich gewesen, die jetzt ueberhaupt nicht mehr mit mir spricht. Ja Heiligs Blechle! Der Vater sitzt an der Rezeption, angetrunken und versucht seiner Frau beizubringen, dass die Tochter kein Kind mehr sei und verantwortungsbewusst. Ich gehe in die Bar des Hotels um etwas zu trinken, aber auch nach langem Warten mit anderen Gaesten erscheint niemand, der den Tresen bedient. Im Restaurant esse ich etwas, die Tochter, die sich umgezogen hat, kommt und setzt sich zu mir. Sie hat meine Buecher gesehen und erzaehlt, was sie gerne liest, erwaehnt Shakespeare. Ich frage sie, ob sie “Romeo and Juliette” kennt, dann erzaehle ich ihr. Ich bin gerade bei der Balkonszene, als die Mutter wieder erscheint. Was zum Teufel ist denn jetzt schon wieder? Nein, auch im eigenen Restaurant darf die Tochter mit dem deutschen Unhold nicht sitzen. In der Nacht, es mag 3 Uhr sein, neue Gaeste. Im engen, kahlen Gang poltert es, die duennen Tueren wackeln. Die Leute bruellen, als ob es heller Tag waere, knallen die Tueren, lassen die Zimmer auf und rufen durch die Flure und niemand scheint sich daran zu stoeren. Nach einer halben Stunde ists vorbei, rauszugehen ist voellig sinnlos, da bekommt man meist nur Achselzucken oder Unverstaendnis zu hoeren. geschrieben am 22.3. in Port St. John
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