3/21/2005 Suedafrika / Port St. Johns
Nephologie - Ueber die Wolken
Peggy und Johan
(Harald) Man ist hier Teil des Familienlebens, weil die Inhaberfamilie kein eigenes Haus hat. Und Kathy ist ein reizbares Geschoepf, aergerlich auf ihre 15-jaehrige Tochter, aergerlich wohl auch ueber sich selbst. Beim Abendessen bleibt mir der leckere Bissen im Halse stecken. Kathy hat israelische "Meezes-Platter" zubereitet, d.h. mein ueberaus geschaetztes Hummus (Kichererbsenmehl mit Knoblauch und Olivenoel und Gewuerzen), Oliven, weichen, wuerzigen Schafskaese, Pitta (Fladenbrot)- ich koennte mich ueberfressen. Aber Kathy stichelt gegen ihre Tochter froehlich weiter, bis ich sage, sie solle mal Pause machen, bis ich gegessen habe. Izack reagiert auf den staendigen Genuss von Marihuana mit einer etwas entrueckten LmaA-Einstellung. Trotzdem ist es ihm sichtbar peinlich, dass aus dem Schlafzimmer staendig Rauchwolken wehen und seine Frau heute vor 12 Uhr nicht erschienen ist. Angeblich macht Cannabis ja nicht abhaengig, aber die Beiden zeigen alle Anzeichen davon. Ihnen ist lange nicht aufgefallen, dass eine Mitarbeiterin sich mehrerer Schecks bemaechtigt, die Unterschriften gefaelscht und auf einem eigenen Konto eingeloest hat. Wahrscheinlich ist ein Bankmitarbeiter involviert. Jetzt ist die Aufregung gross. Ein Paerchen aus Belgien ist abgestiegen. Peggy und Johan arbeiten im Bereich Asylanerkennung fuer die Regierung in Bruessel. Unser gemeinsames Fruehstueck dauert dank eines angeregten Gespraeches bis nachmittags und am Abend fahren wir zur zweiten Beach. Dort hat eine Zuercherin in einem Wohnwagen eine Kueche eingerichtet und ein Gartenlokal mit vier Tischen eroeffnet. Es gibt selbstgemachte Tagliatelle mit Blaukaese und Rhein-Riesling. Wir Drei sitzen zusammen, bis das Lokal schliesst. Ein junges Paerchen aus Kapstadt, die hier zwei Tage Urlaub machen, ist am Strand ueberfallen worden. Zwei Maenner haben ihnen Messer vor den Bauch gehalten und ihnen u.a. Geld und Kamera geraubt. Die Polizei hat einen der Taeter gefasst. Am Wochenende fand in Port St. Johns ein Kulturfestival statt, bei dem Tanz- und Gesangsgruppen auftraten, Theater gespielt wurde und Kunsthandwerk der hier lebenden Mphondo angeboten wurde. Die Mphondo sprechen Xhosa wie dieselben, wobei sich Zulus (aus Zulu-Natal), Sothos (aus Lesotho), Swasis (aus Swasiland) und Xhosa (aus der Transkei) gut unterhalten koennen, denn diese Sprachen gehoeren alle zu den Bantu-Sprachen. Die Tanzgruppen sind richtig gut. Mit weissem Perlenschmuck, Lederstreifen, Bast, Federn usw. gekleidet und geschmueckt, vollfuehren die Maenner akrobatische Einlagen, die Maedchen, mit nackten Oberkoerper, wackeln zur Trommelmusik gewaltig mit ihren Rundungen- unvorstellbar in Deutschland, dass 14-jaehrige solch erotische Darstellungen bieten. Die gewaltigen, buntgekleideten Mamas lachen, klatschen, tanzen in grossem Kopfputz aus farbigen Tuechern, ganz Koerper, stolz auf ihre Leistung sind sie. Wie schoen, wenn eine wohlbeleibte Frau Mitte 50 bis 60, noch so lebensfroh tanzen, singen sich in ihrem Koerper wohl fuehlen kann. Das Dorm habe ich fuer mich alleine und ich geniesse den Aufenthalt. Dieser Tage bietet der Himmel einen dauernd und rasch sich veraendernden Anblick. Der Himmel ist mein Wetterindikator, ich bin auf dem Fahrrad dem Wohl und Wehe des Wetters ausgesetzt wie nie zuvor in meinem Leben, dass Wetter ist auch mein wichtigster Empfindungstraeger. Wolken verheissen mir stets etwas, diese mysterioese Gebaerdensprache des Himmels: Sonnenschutz im guenstigsten Falle, Wolkenbrueche und nass zu sein bis auf die Knochen im aergsten. Die Luft ueber dem Land erwaermt sich schneller, als ueber dem Meer. So steigt die Luft ueber dem Land auf und kuehlere von der See stroemt nach, nachts ist es umgekehrt, da sich die Erdoberflaeche auch schneller abkuehlt. Morgens sind diese Temperaturunterschiede in Kuestennaehe ausgeglichen und deshalb ist es stets windstill, waehrend die Windrichtung im Laufe des Tages aus o.a. Gruenden immer wechselt. Dieser immerwaehrende Tanz der Veraenderungen ueber mir, dass ruhelose Himmelsgewoelbe, bestimmt oft meine Stimmungen, lenkt, mir unbewusst, meine Gedanken, ist mir Spiegel der eigenen Seele, denn mein Blick geht hinauf, wenn ich Weite brauche, wenn sich meine Brust engt, ist mir Hoffnungsraum, in dem ich Zeichen fuer Hoffnungen und drohendes Unheil zu sehen glaube. Wie gewaltig, wie bedrohlich auch, muss den Menschen der Himmel erschienen sein, bevor sie seine physikalischen Gesetze zu begreifen lernten. "Bewahre, die himmlischen Wolken sinds, der Muessigen goettliche Maechte. Die Gedanken, Ideen, Begriffe, die uns Dialektik verleihen und Ideen... "Die Wolken", Aristophanes, etwa 420 v.C. Auch in der Bibel ist der Himmel, sind die Wolken die Sprache hoher Macht: "Es ist der Herr, des Weg in Wetter und Sturm ist, und Gewoelke der Staub unter seinen Fuessen." 1.Kapitel, Buch Nahum Als die Israeliten Gosen, das Land des Nildeltas, nach 400 Jahren verliessen, verunsicherte sie der fremde, ungewohnte Himmel ueber dem Sinai. "Wer ist des Regens Vater?" fragten sie und: "Wer ist so weise, dass er die Wolken zaehlen koennte?" Und: "Weisst du, wie sich die Wolken ausstreuen?" Bibel, Buch Hiob Wie verstoerend muss es z.B. sein, wenn man niemals von Hagel auch nur gehoert hat und diesen dann erlebt? Ich betrachte die schnellvergaengliche Wolkenkunst mit Verstaendnis. Es ist eine temporaere Kunst wie Eisblumen, Sandburgen vor der Flut, wie Regenboegen und Sonnenunter- und -aufgaenge. Diese Kunst lehrt das Wahrnehmen im Augenblick, dass bewusste Geniessen, das Verweilen, um diese natuerliche Schoenheiten zu wuerdigen, sie in den Seelentank aufzunehmen und sich ihrer zu erinnern, wenn die Batterie mal leerer wird. Ich halte dann an, atme tief ein, setze mich ins Gras, auf einen Stein und schaue in den Himmel. Es ist stets immer der gleiche Himmel, aber nie derselbe. Cummulus-Wolken, hoch sich tuermende Berge aus Dampf, feuchtedichtdunkelgraudrohend, durchzuckt von Wetterleuchten, kuenden heute ein naechtliches Unwetter an, die Baeume nicken im heftigen Wind und zeigen, wie mans im Leben machen sollte: Der Wind beugt das Schilf, aber er kann es nicht brechen. Es war der Makedone Aristoteles (384-322 v.C.), Schueler Platons in Athen, der begriff: "Alles auf der Welt war, ist und wird immer sein in staendigem Fluss." Nichts bleibt. Ueber uns ist das Nichts, unbegreiflich. Nichtse, die sich ein paar Materiebrocken teilen und auf einem davon rasen wir dahin. Einem fast runden Ball, von einem blauen, fragilen Himmel geschuetzt, der mir seelische Labsal ist. Es regnet dann. Wasser, dass geduldigste aller Elemente und deshalb das maechtigste. Es prasselt, donnert, blitzt, reinigt die Luft von Staub und Geruechen, waescht allen Dreck weg. Es schafft Ruhe auf den Strassen und Gemuetlichkeit in den Haeusern. Ich bin froh nach draussen zu sehen, als die Blitze auf das Meer zucken, schliesslich den Strom ausfallen lassen. Wir sitzen im Dunkeln, Kerzen werden angezuendet, wie wir es in meiner Kindheit bei den zahlreichen Stromausfaellen gemacht haben, wo stets Kerzen fuer diese Faelle in den Esstischschubladen lagerten. Die Hunde beginnen zu stinken, die Katzen klettern auf trockene Hoehen in der Moeblierung, die Muecken sterben, gottlob, zu Millionen, hinweggeschlagen von den Tropfen und -geschwemmt von den jetzt einsetzenden braunen Rinnsaelen. Mariabella Frey ueber ihren Grossvater: "Er war ein sehr abwesender Mensch und schien immer an etwas anderes, weit Entferntes zu denken..." Ich bin gern mal in den Wolken. Auch wenn ich glaube, dass wir "nichts wirklich sehen, bis wir es verstehen." der Maler John Constable geschrieben am 1.4. in Cintsa (bei East London)
|