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Reisetagebuch

3/24/2005   Suedafrika / Port St. Johns

Silbermond auf rauhem Meer

Mein Grossvater

(Harald) Ich habe mir mein Fruehstueck bereitet, eingekauft im "Shoprite" im Oertchen. Morgen werde ich weiterfahren, heute geniesse ich nochmals diesen paradiesischen Ort. Und derweil die Bananenstauden um mich herum rauschen, Meerkatzen ueber das Wellblechdach springen, bellend von den beiden Hunden begleitet, denke ich an meinen Grossvater, weil mich eine Ruhe ueberkommt, die wie eine Meditation wirkt und mich das an ihn erinnert, waehrend drinnen Steely Dan singen: "Go back, Jack and do it again..."

Mein Grossvater war ein Mensch, der mir Ruhe schenkte, er konnte Ruhe foermlich transferieren, sie wie eine dicke Decke ueber meine Hast legen.

Er war gross, schlank, gebildet. Ein Atheist voller Respekt und Menschenliebe, zurueckhaltend, hoeflich, ein Kavalier alter Schule. Nie habe ich ihn mit erhobener Stimme erlebt.

Seine Ruhe strahlte, war ein Sedativ. Wenn ich meine Grosseltern besuchte, zog er sich nach dem Essen ins Wohnzimmer zurueck, in seinen schlanken Lehnsessel, um "Eine zu schmauchen". Ich setzte mich zu ihm, wartete auf das Ritual, das mir diese Ruhe vermittelt, ersehnte das Gefuehl herbei. Er rauchte "Schimmelpfennig", ovale, filterlose, starke Zigaretten, deren Rauch er kaum zu inhalieren schien. Er hielt die Zigaretten zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger in der nach oben gewandten Hand, als boete er sie jemandem an. Er schlug alsdann die Beine uebereinander, elegant das alles. Die schweren, grauen Anzuege raschelten, seine Krawatten ueber den weiten Kraegen der stets hellen Hemden.

Scheinbar abwesend blickte er zum Fenster hinaus, gemaechlich zog er an seiner Zigarette, wie zwischendurch. Und ich starrte ihn an, unfaehig meinen Blick zu loesen. Manchmal war die Ruhe, die mich ueberkam, so stark, dass ich eine Gaensehaut bekam und mein Unterkiefer erschlaffte, als fiele ich in Schlaf. Waehrenddessen hoerte ich meine Grossmutter am Ende des Flurs hinter dezent geschlossener Kuechentuere leise Toepfe klappern.

Ich wuneschte heute, ich haette diesen Lehnstuhl, vielleicht waere darin seine Ruhe eingebettet und diese wuerde mich auch heute noch in diesen nebligen Raum fuehren, wo die Zeit stillzustehen scheint, solange eine ovale Zigarette dauert, wo alles abfaellt, selbst Gedanken und nur noch dieser Mensch vor mir existiert.

Vielleicht hat meine Grossmutter in deshalb geheiratet und nicht nur weil er gross und "stattlich" und ein vollendeter Kavalier war.

Mit langsamen Bewegungen streifte er die Asche ab, die Luft dabei deutlich hoerbar durch die Nase einatmend. Er sprach mit ruhiger Stimme, er hoerte still zu, er sprach offen ueber alles. Obwohl ich ihm oft nicht folgen konnte, wenn er ueber seine grosse Leidenschaft, die Mathematik sprach. Er bastelte geometrische Modelle, erfand ein neues Periodenmodell, verfasste Gedichte und loeste Kreuzwortraetsel in einem Tempo, als ob er einen Einkaufszettel schriebe. Ich bewunderte ihn.

Meine Grossmutter monierte oft, dass er mich mit seinen mathematischen Konklusionen begeistern wollte: "Gerhard! Langweile den Jungen nicht..." Auch wenn ich ihm nicht folgen konnte, weil ich Mathematik noch nie mochte, so freute mich doch sein Bemuehen, es mir nahezubringen und es war mir wohl eine Moeglichkeit, ihm meine Liebe zu zeigen- zuzuhoeren und zu sagen: "Lass nur Grossmutter, ich hoere gerne zu." Und es stimmte.

Er nahm, um sich fit zu halten, auch mit Mitte Siebzig, stets zwei Stufen auf einmal, wenn er die Haustreppe in den 2. Stock hocheilte und er arbeitete ueber das Pensionsalter hinaus als Buchhalter bei einer Spedition, auch weil es ihm ein Beduerfnis war, etwas Nuetzliches zu tun.

Als er an Darmkrebs erkrankte, habe ich ihn fast jeden Tag im Krankenhaus besucht. Nur nicht an dem Tag, als er starb, nur noch ein Schatten seiner selbst und offensichtlich seiner Todesnaehe gewahr. Ich habe mir nie richtig verziehen, dass ich ihm am Vortag, auf seine Frage, ob ich glaube, dass er noch mal lebend aus dem Hospital herauskaeme, nur schwach antwortete: "Sicher, du wirst wieder gesund..." oder etwas aehnlich Belangloses, anstatt ihm als einziger Mensch um ihn herum zu ermoeglichen, offen ueber seinen unvermeidlichen Tod, seine Angst zu sprechen. Fuer ihn war der Tod das Ende von allem, dass voellige Nichts und trotzdem war er gefasst und behielt seine Angst, die er empfunden haben muss, fuer sich. Ich haette ihm das Sterben mit einem Abschied vielleicht erleichtert koennen. So musste er alleine, wegen Ueberfuellung, in einer Art Abstellkammer sterben, unbemerkt bis zur Fruehschicht.

Ich gab mich in jener Nacht der Liebe hin. Ich war 18 Jahre alt.

Als das Tageslicht dem Mondlicht weicht, sitze ich noch immer auf der hoelzernen Bank und schaue auf das Meer hinaus, auf die gischtig-weissen Wellenkaemme, so unstet und doch immerwaehrend gen Kueste rollend, und das silberne Mondlicht legt sich wie eine versoehnende Decke ueber die Szene.

"Er war ein Mann, nehmt alles nur in allem: ich werde nimmer seinesgleichen sehen." Shakespeare, Hamlet

geschrieben am 1.4. in Cintsa


 


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