3/26/2005 Suedafrika / Coffee Bay
Das Whistle Stop Cafe
Hausittbru?
(Harald) Ostersamstag. ich bin leicht erkaeltet, zu lange verschwitzt bergab gefahren. Es war eine ruhige Nacht, dank Papiertaschentuchkugeln in den Ohren. Morgens schreien und stoehnen sie nebenan immer noch-"Jesus, Jesus..." Man kann die Leute so unglaublich manipulieren. Es gibt sog. "Kirchen", die ihre Mitglieder nur aufnehmen, wenn sie ihren gesamten Besitz an den "Bischof" ueberschreiben und solche, bei denen derjenige, der zu spaet zum Gottesdienst erscheint, vor der Tuere im Dreck liegen muss, solche, bei denen sie geschlagen werden, solche, bei denen der Weltuntergang stets kurz bevorsteht und natuerlich nur die Seelen der eigenen Glaubensgenossen gerettet werden. Ich moechte mir die beruehmte Coffee Bay nicht entgehen lassen, aber bis dahin sind es 100 km, abseits meiner Strecke. Es gibt am Minibusstand keine Taxis, die bis dorthin durchfahren. Die "Werber" schreien durcheinander, jeder will dich zu seinem Bus lotsen. "Sir! Hausittbru?" Das ist mir nur in S.A. passiert, so oft mit "Sir" oder "Boss" angesprochen zu werden. Und dann "Hausittbru?" (How is it brother?/Wie gehts dir Bruder?) Wenn ich dann antworte: "Es geht mir gut", sagt das gegenueber nicht selten "Mir gehts auch gut, danke", obwohl ich garnicht gefragt habe. Diese angenehme Hoeflichkeit, dass Einhalten von Umgangsformen hebt sich ab vom staendigen "fuck dies,fuck das,fuck all" der englischsprachigen Reisenden. Ohne diese Floskel kommt diese Sprache im Umgang nicht mehr aus. Stets stellt sich das Gegenueber hier mit Namen vor, manchmal erst beim Abschied: "My name is Nosipo Portia." Damit ich weiss, mit wem ich gesprochen habe. Das Nelson Mandela Museum ist geschlossen, obwohl ja gerade ueber die Ostertage die Leute Zeit haetten. Der erste Praesident der Nach-Apartheid-Aera ist Xhosa und in der Transkei geboren, genauso wie seine Ex-Frau Winnie. Ich fahre stadtauswaerts zur Ultra City. Eine Vermarktungsidee der Shell, ihre Tankstellenkomplexe wie einen Stadtteil zu benennen. Neben einem klimatisiertem, hochmodernen Supermarkt findet sich hier ein Schnellrestaurant, hier ist es das "Whistle Stop Cafe". Fast Food ist edel in Afrika. Die Neureichen Schwarzen fuehren ihre Freundinnen hier aus. Da schweben die Bougainvillea-Maedchen herein, auf hohen Absaetzen, mit engen Hosen oder leichtflatternden Kleidchen, rueckenfreien Shirts und tiefen Ausschnitten voller Wonderbra, leichte Roecke, sahniger, zarter Haut, mit wippend-wiegendem Gang, Arm- und Fusskettchen, auf der Suche nach Spass und leichten Lebenswegen. Ich habe beim Backpacker in Coffee Bay angerufen und warte hier auf den Transport dorthin. Ein Van samt Anhaenger erscheint, Gavin heisst der weisse Fahrer in meinem Alter. Er raucht Kette, ist aber ansonsten ein ruhiger, verschwiegener Typ. Geboren und aufgewachsen in Durban, hat er nach einem schweren Ueberfall die Stadt verlassen und will nach eigener Aussage dorthin nie mehr zurueckkehren. Sechs Raeuber waren es, die ihn um acht Uhr morgens auf der Strasse ueberfielen, unter den Augen vieler Passanten und Ladenbesitzer und ihn, nachdem sie ihn von hinten gewuergt und ihm seine Brueftasche samt Hosentasche entrissen hatten, auch noch krankenhausreif pruegelten und traten. Das ist 10 Jahre her. Ich frage Gavin, was er glaube, warum S.A. so kriminell sei. "S.A. hat eine Geschichte der Gewalt, wie die USA. Niemand vertraut dem anderen, Misstrauen erzeugt Angst, Waffen versprechen Schutz, erzeugen aber mehr Gewalt." Gavin ging in eine Schule fuer Weisse. Die Lehrer pruegelten mit fingerdicken Holzstoecken die Schueler, manchmal bis Blut floss. Eines Nachts ging er an einer Polizeistation vorbei. Aus dem Gebaeude erklang ein entsetzliches Schmerzensgeschrei: "Ich weiss nicht, was die mit dem Menschen da gemacht haben, aber ich habe niemals jemanden so schreien gehoert. Es war schrecklich." Gavin erzaehlt, dass hier am Geldautomaten schon mehrfach Touristen ueberfallen wurden. Vor zwei Wochen waren es zwei Rucksacktouristinnen, die mit ihm nach Coffee Bay fahren wollten. "Die beiden Sicherheitsleute, z.B. der da drueben, sind dann immer zufaellig auf der Toilette. das ist schon mehrfach vorgekommen, die haengen da definitiv mit drin. Ich sage den Touristen immer, sie sollen in S.A. dieses "Kontakt-mit-der-Bevoelkerung-Ding" vergessen und nur in unseren Bussen reisen, nicht in den lokalen Bussen. Die Busstationen sind sehr gefaehrlich." Gavin verliess zur Zeit der Apartheid das Land, ging nach London und Italien, er hielt den ganzen Rassismus nicht aus. 1994, am Ende der Diktatur, kam er zurueck. (Ich erinnere mich, dass Jeany, die Ex-Polizistin, die Wende als "Freiheit" bezeichnete und sich dann schnell verbesserte: "Ich meine Demokratie, also fuer die Schwarzen, ich hab mich verhaspelt...") Coffee Bay ist ein kleines Oertchen an der Kueste, die Bay selbst ist winzig, voller Backpacker mit Camping und Bar, Lagerfeuern. Ein fast trockengefallener Fluss speist hier eine kleine Lagune wie in St. Lucia, linker Hand ein weiter Strand, rechter Hand die schwarze Steilkueste der Wild Coast, mit tosenden Wellen. Ich gehe in der Nacht dorthin und geselle mich zu ein paar Fischern, die mit Taschenlampen ihre riesigen Angeln in die Brecher auswerfen und handgrosse, spiegelnde Fische hervorholen. Man raucht Pot und grinst gluecklich. Es beginnt zu regnen, ich muss zurueck, ins Zelt. geschrieben am 2.4. in Cintsa
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