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Reisetagebuch

3/29/2005   Suedafrika / Kei-River-Bridge

Millipap

Lebenshaltungen

(Harald) Morgens Stimmen. Als ich aus dem Zelt steige, sehe ich zwei Maenner, ich glaube, dass sie mich gesehen haben muessen, aber sie kommen nicht zum Zelt.

Nachts hat es geregnet. Der Zelteingang ist nicht dicht, und da ich alles schliessen musste, hat die Atem- und Koerperfeuchte sich innen als Tau niedergeschlagen. Alles ist nass.

Weiter. Es geht steil bergauf. Durch die Abholzung zeigt sich ueberall Erosion, die Wiesen sind von kleinen, bizarren Abflusscanyons durchfurcht, aus denen festes Gestein ragt. Kleinere Kuhherden grasen, manchmal von Jungs bewacht oder unterwegs von Maennern geleitet.

Maenner und Frauen tragen hier oft Schmucknarben, feine Schnitte, die ohne rechtes Muster Wangen, Schlaefen und Stirn zieren. Die akuraten, kuenstlerisch gestalteten Narben, wie ich sie in Nordkenia oder bei Suedsudanesen gesehen habe, sind es hier jedenfalls nicht.

Die Frauen tragen Lehmbemalung im Gesicht. Ich habe mehrmals verschiedene Leute gefragt, wozu dies diene. Es sind nur Frauen, die dies tun und es sieht ehrlich gesagt mehr als merkwuerdig aus, wenn man jemandem gegenueber steht, der sich weissen oder gelblichen Lehm ungleichmaessig im Gesicht verrieben hat. Die Frauen taeten dies, weil sie eine helle Haut behalten wollten. Afrikaner koennen zwar keinen Sonnenbrand bekommen (jedenfalls nicht, solange sie gelegentlich der Sonne ausgesetzt sind), aber eine helle Haut gilt als schoen. Da sich die Frauen keine Sonnencreme leisten koennen, muss Erde herhalten. Und zudem, so munkelt man, halte der Lehm auch den boesen Blick fern.

In Idutywa mache ich nach 30 km Rast. Hastig schlinge ich eine Birne und eine Banane herunter, dann peile ich KFC an. Einheimische Lokale mit suedafrikanischer Kueche gibt es praktisch nirgendwo, ein Phaenomen, denn hier ist ja jede Art von Gemuese und Fleisch erhaeltlich und es gibt viele Einfluesse auf die lokale Kuechenkunst, von indischen, englischen, ueber deutsche und franzoesische bis zu arabischen. Nur "Pap", auch "Millipap" genannt, bekommt man. Das ist Maisbrei, Ugali in Kenia, Nzima in Tansania, Polenta in Italien genannt, sieht aus und schmeckt etwa wie weisse Kloesse.

Die Ziegen tragen hier keine Euterschutzsaeckchen, wie in Kenia, um ihre Milch vor den Zicklein zu bewahren, die Kuehe haben ausgesprochen kleine Euter, obwohl hier genug Wasser und Gras vorhanden ist und die Temperaturen niedrig genug sind, um auch europaeische Milchkuehe zu halten. Aber Kuehe sind hier vorwiegend Prestigeobjekt und Zahlungsmittel fuer Brautpreise. Hier wird kaum akkumuliert, niemand, scheint es, hat ein staerkeres Interesse am Ansammeln von Guetern. Natuerlich sind Handys auch moderne Prestigeobjekte und mancher gibt seinen letzten Cent fuer Kauf und Unterhalt aus (nicht anders, als bei deutschen Sozialhilfeempfaengern wohl auch). Und natuerlich will jeder reich sein, ein Auto fahren, ein tolles Haus besitzen, all den Kram. Aber trotzdem gibt es das Phaenomen, dass die Leute tagaus, tagein untaetig vor den Huetten sitzen, auf dem Bauch im Gras liegen, sich lieber mit Nachbarn unterhalten, als einen Business aufzuziehen. Waehrend ich z.B. bei dem Gedanken, hier oder dort leben zu muessen, sofort anfange darueber nachzudenken, womit man ein Geschaeft machen koennte, scheint das hier niemand zu tun. Warum nicht den Verkaufsstand an der Strasse verschoenern, vergroessern, das Angebot umfangreicher gestalten, besser beschildern etc.? Warum nicht Milchkuehe halten, die Milch verkaufen, Kaese und Joghurt herstellen, Butter? Warum die Huette nicht ausbauen, Moebel zimmern, fragt sich der Europaeer und die Antwort ist seit Jahrhunderten die gleiche: "Die" sind faul. Nun, abgesehn von unserer calvinistischen Fleissdefinition, die uns auch nicht gluecklich richtig gluecklich zu machen scheint, entspricht dieser staendige Veraenderungswille, die Unruhe, etwas "auf die Beine zu stellen", zu veraendern, umzugestalten, nicht der Lebenshaltung. Hier ist man geduldig, man ertraegt, wartet, nimmt hin. Man ist mit Wenig zufrieden und lacht trotzdem mehr, dass behaupte ich fest, auch noch nach zwei Jahren Afrika. Wer in Afrika ein Geschaeft aufziehen will, braucht einen langen Atem, Geduld, Verstaendnis, Toleranz. In Coffee Bay, hat mir das Inhaberehepaar erzaehlt, haben schon zwei waschechte Afrikaander-Rassisten ihre Ignoranz mit dem Leben bezahlt. Irgendwann erwischt es die ganz Verbohrten, die zuviel von Faulheit und Dieben sprechen, auf dem Nachhauseweg.

Im KFC waerme und trockne ich mich an der Warmluftheizung, draussen sind es geschaetzte 15 Grad. Aus den Lautsprechern wieder Choraele im hiesigen Lokalcolorit. Kirchenmusik im Fast-Food.

Vor dem Fenster geht eine Frau mit einer Schaedelunterseite eines Esels vorbei, andere tragen Lasten von 20-30 kg auf dem Kopf, dicke Mamas von mehr als 60 Jahren dazu.

Weiter nach Butterworth, 37 km. Es klart langsam auf und geht vermehrt bergab. Ich bin wieder auf dem Damm, nachdem ich mich den ganzen Morgen abgequaelt hatte.

Nach 2 Std. bin ich angekommen, wieder ins KFC. Eine Frau besteht ausgerechnet auf dem Platz neben mir, der von meinem Gepaeck belegt ist, obwohl ich mit einem Rundblick feststelle, dass genug andere Plaetze frei sind. Eine der Thekenbedienungen kommt zu mir und sagt vernehmlich, ich habe ja auch schon lange hier gesessen- das ist mir auch noch nicht passiert. Ich sage genauso vernehmlich, dass er keinen Grund habe mich zum Gehen anzuhalten, weil genug Platz sei und ich viel verzehrt habe und es entsteht eine lebhafte Diskussion im Raum. Ich raeume das Feld, muss eh weiter.

Jetzt geht es bergab, gut 6,7 km, herrliche Schussfahrt. Unten eine weitere Shell Ultra City, ein weiteres Whistle Stop Cafe mit Klimanlage, die hier Warmluft spendet.

Als es dunkel wird, frage ich bei der nahen Polizeistation, ob ich im Gelaende mein Zelt aufstellen kann. Ich solle warten. 50 Minuten. Dieser Mann sei zustaendig. Dann ein anderer. Ich beantworte geduldig die immer wieder gleichen Fragen aller Polzisten, alle braun. Schliesslich ist es stockduster und wieder heisst es, ich solle warten, worauf, weiss niemand. Ich sage, ich haette genug gewartet und die Herren moegen sich jetzt mal einfach entscheiden, weil ich sonst weiterfahren muesse, es gaebe keinen Grund fuer weiteres Warten. Das wirkt, ich darf bleiben.

Ich baue auf, gehe nochmals zum Restaurant, schreibe und sinke dann in einen tiefen Schlaf.

geschrieben am 3.4. in Cintsa


 


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