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Reisetagebuch

3/30/2005   Suedafrika / East London

Bruecke ueber den River Kei

Streiflichter aus dem Daily Dispatch vom 29.3. - Homo Homini Lupus V

(Harald) Morgens ist alles nass, innen und aussen, jedes Kleidungsstueck. Ich breite sie ueber Aeste und Waescheleinen aus und stelle das Zelt in die aufgehende Sonne, dann gehe ich im Cafe Fruehstuecken und lese den "Daily Dispatch", eine der beruehmtesten Tagezeitungen Suedafrikas, seit ihr weisser Herausgeber Donald Woods in den 70er Jahren den Schwarzen Steve Biko unter einem Pseudonym fuer seine Zeitung schreiben liess. Die Geschichte wurde 1987 unter dem Titel "Cry Freedom" verfilmt.

Die Artikel zeugen noch heute von einem besonderem Engagement. Heute morgen finde ich folgenden Artikel:

In einem Friseursalon wurden wiederholt Schwarze abgelehnt, weil man auf "glatte Haare spezialisiert" sei. Leider erwischte man irgendwann die Falsche mit dieser Strategie, denn die Vorsitzende der South African Human Rights Organisation machte die Probe aufs Exempel und wurde prompt ebenfalls abgelehnt, worauf sie vor Gericht ging.

Der Inhaber der Salonkette wurde verurteilt, mtl. 500 Rand (ca. 65 EU) an eine Wohltaetigkeitsorganisation zu zahlen (die von der Klaegerin ausgesucht wurde!), sowie einen professionellen Instruktor einzustellen, der die Angestellten speziell darin unterrichtete, den Haartyp "Ethnik" oder "afrikanisch" zu schneiden. Der Inhaber entschuldigte sich oeffentlich bei allen, die von seiner Firma zurueckgewiesen wurden.

Eine andere Ueberschrift: "Haeuptlinge kehren der Xhosa-Kultur den Ruecken": Traditionalisten werfen ihren traditionellen Fuehrern vor, dass sie gierig sind und sich selbst bereichern wollen. Die Organisation ECHTL (uebers. "Haus der traditionellen Fuehrer im Ost-Kap") war mit den von der Regierung zugeweisenen Geldern fuer den Bau eines modernen Verwaltungsgebaeudes nicht zufrieden. Aber die Xhosas selbst sagen, dass man nicht einerseits von einer "afrikanischen Renaissance" sprechen und andererseits der eigenen Kultur den Ruecken kehren kann. "Unsere Werte und Gebraeuche sind nicht technologisch, weshalb sie auch nicht modernisiert werden muessen", so eine traditionelle Krankenschwester. Die Xhosa-Tradition werde "westernisiert". Wenn man die Westliche Zivilisation uebernaehme, gehe man ein hohes Risiko ein, seine Identitaet zu verlieren. Die traditionellen Fuehrer sollten das einfach Volk konsultieren, bevor sie drastische Veraenderungen eines Brauchtums initiierten.

Ein Haeuptling sagt, dass die Fuehrer nicht laenger in Zeiten von Rondavels (Rundhuetten) lebten. Dem wird entgegen gehalten, dass Lehmhuetten Teil und Schatz der Xhosa-Tradition seien und es keinen Weg gaebe, sie loszuwerden. "Die Haeuptlinge wollen nur Luxus."

Ich denke, dass die Haeuptlinge ueberfluessig waeren, wenn man nicht mehr der Tradition folgte. Sie saegen sich den Ast ab, auf dem sie sitzen. Und man sollte den Leuten erzaehlen, dass es in Europa mehrstoeckige Lehmhaeuser gibt, die trotz starker Regenfaelle Jahrhunderte ueberstanden haben. Und das es seit ca. 20, 25 Jahren vermehrt wieder moderne Lehmhaeuser gebaut werden, weil sie viele Vorteile haben.

Ein Artikel verweist auf den Ausbruch einer Marburg-Epedemie in Angola, der bereits etwa 130 Menschen zum Opfer gefallen sind. Das Marburg-Virus ist ein naher Verwandter des Ebola, mit einer Mortalitaetsrate von ca. 90 % aehnlich toedlich und erhielt seinen Namen von der deutschen Stadt, in deren Universitaet es 1967 klassifiziert wurde. In Angola gibt es nur 1200 Aerzte und das Land hat einen 27-jaehrigen Buergerkrieg hinter sich.

Wahlen in Zimbabwe. Mugabe nennt den Widerstand der weissen Farmer gegen seine Landreform eine "unverzeihliche Suende, die sich gegen sie wenden wird." Religioes verbraemte Drohungen mit weiterer Gewalt. Dieser rote Rassist stolziert mit einem "Fuehrer"-Schnauzbart durch die Gegend, zensiert Zeitungen, faelscht Wahlen (mit bis zu 1 Mill. Geisterwaehlern, wie man hier behauptet), prahlt vor der Presse, er habe einen "akademischen Abschluss in Gewalt" und sei "der Hitler unserer Zeit". Da er eine Verwandte von Suedafrikas Praesidenten Mbeki geheiratet hat, sind die beiden dicke Freunde. Mbeki unterstuetzt Mugabe massiv, obwohl dessen Politik Zimbabwe voellig zugrunde gerichtet und dem Land eine weltweit einmalige Inflationsrate beschert hat, die zeitweise bei 630 % lag und momentan um 130 % schwankt. Der Tourismus ist eingebrochen, landesweit werden die letzten Wildtiere abgeschlachtet, politisch ist das Land isoliert, waehrend weisse Farmer ins nahe Zambia ausweichen, wo sie dem Land binnen 5 Jahren eine boomende Konjunktur beschert haben, so dass dieses Land jetzt z.B. Getreide exportiert, waehrend es bis vor vier Jahren noch importieren musste, waehrend Zimabwe schon 2001/02 die groesste Nahrungsmittelhilfslieferung seiner Geschichte durch auslaendische Organisationen erhalten musste und dauernd am Rande einer Hungerkatastrophe entlangschlittert, waehrend Mugabe von "Rekordernten" schwafelt, die an den Haaren herbeigezogen sind.

Ein Artikel beschaeftigt sich mit einem der furchtbarsten Folgen von Aids und traditionalistischen Verirrungen: Allein in der Region Mthatha wurden an einem einzigen Wochenende neun Vergewaltigungsfaelle gemeldet. Hierbei muss man sich vor Augen fuehren, dass, je nach Befragung, bis zu 40 % der schwarzen Maenner glauben, dass der Beischlaf mit einer Jungfrau von Aids heile. Falls es doch nicht helfe, so schade es beiden Seiten ja nicht, denken wohl viele. Eine garantierte Jungfrau ohne Heirat zu bekommen, zwingt hier dazu, sehr junge Maedchen ins Auge zu fassen, da Geschlechtsverkehr schon bei jungen Maedchen ueblich ist.

Die Faelle: Ein "aelterer" Mann vergew. eine 9-Jaehrige in Mayaluleni. Der Taeter ist ein Bekannter der Familie.

Ein 21-Jaehriger vergew. eine 13-Jaehrige, die auf dem Nachhauseweg war.

Ein 40-Jaehriger vergew. eine 12-Jaehrige, die von der Kirche kam, mehrfach binnen 24 Std.

Ein 27-Jaehriger macht dasselbe in Port St. Johns mit einer 13-Jaehrigen.

In Ngxougweni wird auf dem Nachhauseweg eine 14-Jaehrige wird vergew.(keine weiteren Angaben).

Eine 18-Jaehrige wird von einem 32-Jaehrigen vergew., die ihn in Duncan nach dem Weg gefragt hatte.

3 Knaben zwischen 9 (!) und 12 Jahren haben eine Achtjaehrige in deren Elternhaus gemeinschaftlich vergewaltigt.

Bei Vergewaltigungen kommt es durchgehend zu blutenden Verletzungen der Opfer und da die Taeter meist Aids haben, muessen ihre Opfer sich, zusaetzlich zum Albtraum der Tat selbst, auch mit deren toedlicher Folge auseinandersetzen, waehrend den Taetern die Tatsache, dass die Opfer Aids bekommen, als Belegt fuer die eigene "erfolgreiche" Befreiung von der Krankheit gilt.

Die entfesselte Gewalt, die Ohnmacht und fehlende Kontrolle der staatlichen Stellen spiegelt folgender Fall wieder:

Eine 4-koepfige Gang zw. 23 u. 26 ist wg. 3 Morden, 2 Entfuehrungen, 2 Mordversuchen etc. angeklagt.

Zwei der Angeklagten lauerten einem koerperbehinderten Mann auf, schleppten ihn zu einem Friedhof, fesselten und erstachen ihn. Dann nahmen sie sein Auto. Sie kauften Drogen, Alkohol, Pistolen und Munition. Als sie den gestohlenen Wagen festgefahren hatten, riefen sie einen Mechaniker um Hilfe. Als der erschien, fesselten sie ihn, warfen ihn auf die Ladeflaeche, executierten ihn mit einem Schuss in den Hinterkopf und warfen die Leiche in einen Fluss unter eine Bruecke. Sie stahlen eine Ziege, erschossen und schlachteten sie.

Die Polizei lieferte sich ein Feuergefecht mit der Gang, erschoss Einen, verwundete einen Zweiten, fand mit Polizeihunden den Dritten und nahm den Vierten Wochen spaeter zuhause fest.

Genug dessen, nicht wahr?! Ihr, wir leben ja, gottlob, im friedlichen Deutschland.

Um 9.30 Uhr breche ich auf. Ich ueberquere den Kei, der diesem Teil Suedafrikas, der Trans-Kei, den Namen gab. Ich waehle die alte, voellig verrostete Eisenbruecke, unter mir strudelt und braust der nach den Regenfaellen angeschwollene, lehmig-braune Fluss. Ein PickUp haelt, ein Weisser fragt mich, ob ich einen "lift" haben moechte. Nein, sehr verfuehrerisch, aber nein danke. "Das ist verdammt steil, Mann!" sagt der Fahrer mit einem Blick auf den Berg vor mir. Ja, ich weiss, ich pack das schon.

6 km lang geht es steil bergauf, gegen heftigen Wind und ich mache keine Pause, ich steige nicht ab und bin, als ich oben angelangt bin, stolz auf mich, habe ich doch oft das Gefuehl, das meine Kraefte seit meiner letzten Radtour 1998 maechtig nachgelassen haben.

Hier oben ist alles gruen, die Sicht geht weit, ueberall Farmen auf deren Felder Traktoren brummen, Voegel ueberall, Schlangen auf der Strasse, die Sonne brennt mir auf der Haut.

Dann gehts bergab, kuehler Fahrtwind, ich breite die Arme aus und singe mein Bergablied "I believe I can fly". Es geht prima voran, ich passiere die Abzweigungen nach Cintsa und Morgans Bay. Hire sollen vorallem im 17. und 18 Jh. Piraten in den Flussmuendungen auf Schiffe gelauert haben, die draussen auf See vorbei fuhren. Von den Bergen gaben Ausgucke dann Signal und die Piraten stuerzten sich dann auf die Handelsschiffe.

Ich erreiche eine "Engen"-Tankstelle, dessen General-Manager gerade anwesend ist und mich anspricht, waehrend ich im Schatten eines Sonnenschirms gerade Straussenfleisch-Biltong kaue. Eine der ersten Fragen ist stets die nach "Schwierigkeiten" und als ich vom Ueberfall in Johannesburg erzaehle, nennt er "Die" "Bastards", wobei jeder weiss, dass mit "Die" stets Schwarze als Gruppe gemeint sind. "Unser land geht den Bach runter", sagt er noch. Mit den fast ausschliesslich schwarzen Angestellten hat er, scheints, ein sehr kameradschaftliches Verhaeltnis, er spricht sie mit Vornamen an, gruesst jeden und nimmt manche an die Hand, wie ein Freund und aus der Reaktion der Leute sehe ich, dass dieser Umgang ueblich ist und keine Show fuer mich.

Ich fahre ueber die Stadtautobahn ins Zentrum der 800.000-Einwohner-Stadt. Am riesigen Strand liegt der "Sugar-Shack-Backpacker", was soviel wie "Zucker-Huette" bedeutet. In einem 12-Betten-Dorm komme ich unter, die Schiebetuere ist nicht schliessbar, so dass man stets vom Brandungsgeraeusch der Wellen auf der anderen Strassenseite, nur 20 Meter entfernt, umfangen ist. Hier steigen vor allem Surfer ab, drahtige, hochgewachsene Jungs, die einen schlangengleich weichen Gang haben, den sie sich bei ihrem Sport zugezogen haben (im Gegensatz zur stocksteifen Gangart der Radfahrer), Rastalocken wieder ueberall und der Geruch von Pot haengt zwischen den Holzbaracken.

geschrieben am 7.4. in Port Alfred


 


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