4/2/2005 Suedafrika / Cintsa
Buccaneer
Land unter im Zelt
(Harald) Dieser Backpacker gilt als einer der besten Suedafrikas. Direkt an der Muendung eines kleinen Flusses gelegen, mit einer herrlichen Aussicht auf das Buschland ringsum, die hohen Duenen und das Meer. Als ich in der Kueche mein Fruehstueck vorbereite und in das Tellerregal greife, kann ich gerade noch rechtzeitig zurueckschnellen- eine Boomslang, gruen, nur kleinfingerduenn, etwa 80 cm lang, zuengelt alarmiert in meine Richtung. Ich waere nahezu sicher gebissen worden und diese Schlange ist sehr giftig. Sie ist durchs Fenster ins Regal gekrochen und macht sich sogleich wieder auf den Rueckweg, denn hier ist nichts zu holen. Es regnet dieser Tage heftig. In der ersten Nacht schon musste ich mein Zelt raeumen, denn es ist mittlerweile am Eingang undicht und am Morgen steht das Wasser knoechelhoch im Zelt. Ich bin nachts einfach in eines der Dorms geschluepft und habe mich ins Stockwerkbett gelegt. Im Badezimmer hat irgendjemand eine kleine Vogelspinne in einem Glas gefangen. Obwohl ich weiss, dass es keine giftigen Vogelspinnen gibt (keines dieser Tiere hat ein Gift, dass staerker als ein Bienenstich wirken wuerde), kann ich mich nicht dazu durchringen, das Exemplar auf meiner Hand laufen zu lassen, zu stark wirkt die Abneigungserzeugungserziehung meiner Kindheit. Man ist in sowas nahezu fuer immer gefangen. Dabei esse ich Krabben (zu denen auch die bis 2 m grosse Seespinne gehoert) und die nahe Verwandte der Spinnen sind. Und ich esse Weinbergschnecken, aber wuerde man mir afrikanische Spezialitaeten wie Ameisen, Heuschrecken, Raupen oder Tausendfuessler anbieten, ich muesste mich ueberwinden, so wie ich es musste, um frisches Rinderblut zu trinken, obwohl Blutwurst in den Restaurants daheim Gang und Gebe und selbst in vielen Schokoladen Blut enthalten ist. Abends wird in der Bar getanzt und viel getrunken und Dagga geraucht, Marihuana. Die junge Jane, eine huebsche Xhosa, taucht aus der Party im Paterre ploetzlich hinter meinem Computerbildschirm auf und macht sich einen Spass daraus, mich uebermuetig mit einem Teilstriptease zu verwirren, weil ich doch unbedingt sehen musse, wie gut ihr die neue Spitzenunterwaesche stehe... Himmel, Maedchen, da erwischst du mich auf dem falschen Bein. Aber danke, ja, doch. Sie erfreut die Gaeste normalerweise eher mit ihrer schoenen Stimme, mit der sie Soul und Reggae vortraegt, scheint sich aber vorgenommen zu haben, mich aus meiner Schreiberei hervorzuholen. Tags darauf laesst der Sturmregen nach und ich gehe zum Strand, der sich endlos in beide Richtungen zieht, fast weiss, windverweht, der Sand rauscht wie trockene Blaetter, die Brandung erzeugt eine feucht-kuehle Gischt, kleine Schnecken in spitzen Haeuschen und mit zwei beinartigen Auswuechsen, mit denen sie sich schnell und ruckartig vorwaertsstossen, durchwuehlen den nassen Sand nach Fressbarem, Moeven stehen im Gegenwind ueber mir. Der Wind hat den Sand in vielerlei Muster geformt, Halme und Zweige, die hin und her gewogen werden, schreiben ihre symetrischen Zeichen in ihn. Der Backpacker heisst "Buccaneer", wie die Diskothek in Nanyuki, Kenia. Ein uraltes, englisches Wort, dass soviel wie "Piraten" bedeutet. Tatsaechlich war die Kueste hier mal Piratengebiet, eine der kleinen Kuestenorte heisst "Morgans Bay", vielleicht benannt nach dem beruehmten Piraten Henry Morgan, einem englischen Freibeuter des 17. Jh. Einsamer Rekordhalter in dieser Zunft war Bartholomeu Roberts, ebenfalls englischer Abstammung. Im 18. Jh. pluenderte er sagenhafte 411 Schiffe. Einem anderen Piraten gelang Weltruhm als Entdecker und Admiral: Francis Drake war nicht immer auf der richtigen Seite des Gesetzes, wurde aber aufgrund seiner ueberragenden Faehigkeiten nicht nur von der Koenigin begnadigt, sondern spaeter sogar geadelt und schlug die spanische Armada. Der Besitzer des Gelaendes erzaehlt mir, dass die Piraten hier, tief in der Flussmuendung verborgen, auf eine Beute warteten, die Ausgucke auf den Duenen ausspaeten, dann die Verfolgung der oft schwerfaelligen und schlechtbewaffneten Handelsschiffe aufnahmen und sie dann meist versenkten oder umbauten. Heute gibt es wahrscheinlich mehr Piraten als jemals zuvor in der Weltgeschichte, ganze Containerschiffe verschwinden, Mannschaften werden erschossen, die chinesiche See ist da beruechtigt. Nur hat die Piraterie heute nichts Romantisches mehr- hatte sie fuer die Menschen des 17. und 18 Jh. wahrscheinlich auch nicht. geschrieben am 22.4. in Port Alfred
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