4/5/2005 Suedafrika / Hamburg
Fern
Der Staerkere nimmt das Land
(Harald) Wieder mal sind mir zwei Speichen gerissen und die Bremsbelaege muessen ausgetauscht werden. Ich fahre also nochmal in die Stadt zurueck und bitte im Fahrradladen um sofortigen Austausch. Die Inhaberin berechnet mir lediglich das Material, weil sie mich unterstuetzen moechte. Sie erzaehlt mir, dass ihr Mann, ein Semiprofi, schon mal von der Strasse gerammt wurde- von solchen Versuchen kann ich ein Lied singen! Hier stehen High-Tech-Raeder fuer 7000 Euro, die man mit einem Finger hochheben kann, die reinsten Gazellen gegen mein Nashornrad. Ich breche um 9.30 Uhr auf, die Sonne steht schon hoch. Im Stadtzentrum steht eine Statue von Steve Biko, dem Anfuehrer der "Black Consciousness"-Bewegung (Schwarze Besinnung), der 1977 als 46. Inhaftierter in Polizeigewahrsam getoetet wurde. Ich ueberquere die Steve-Biko-Bruecke und fahre Richtung Sueden nocheinmal am Strand vorbei, wo eine Statue daran erinnert, dass hier 2000 Deutsche im 19. Jh. landeten, woran auch der Ortsname der in der Naehe gelegenen Kleinstadt Berlin erinnert. Hinter East London liegt King Williams Town- einer der sicheren Kandidaten fuer eine Namensaenderung. Dort ist Steve Biko begraben und hier liegen Massengraeber, die an das grosse Sterben von 1857 erinnern. Im Zuge der offensichtlichen Ohnmacht der Xhosa-Staemme den Briten gegenueber, wandten sich viele ihrer Religion zu. Aus Europa eingeschleppte Rinderkrankheiten hatten ihre Herden dezimiert und als eine Duerre hereinbrach, verkuendete eine junge "Prophetin" namens Nongqawuse, die Xhosa muessten all ihr Vieh toeten und das Getreide vernichten, dann kaemen nicht nur neues Vieh und Getreide in Massen, sondern auch neue Menschen, die die Briten und Buren ins Meer jagen wuerden. 200.000 Rinder lagen verwesend auf den Weiden und eine Hungersnot brach aus, die 30.000 der vordem noch verbliebenen 90.000 Xhosa das Leben kostete. Diese Geschichte erinnert mich fatal an die "Geistertanz"-Bewegung des Propheten Wowoka und der nordamerikanischen Indianer zum Ende des 19. Jh., als ihnen klar war, dass sie dem Untergang geweiht waren. Die Briten nutzten die Hungersnot, zwangen die Xhosa zum Frondienst, inhaftierten ihre Haeuptlinge auf Robben Island (Gefaengnisinsel vor Kapstadt) und schlossen, um den Druck noch zu erhoehen, auch noch die Versorgungseinrichtungen der Missionen. Ich lasse die Stadt hinter mir, ein starker Wind treibt mich vorwaerts. Es ist ein schoener Tag, die Luft frisch. An den Feldern zeigen mir Maisblaetterarme die Richtung, salzige Gischt liegt in der Luft. Nach 25 km erreiche ich Kidds Bay, lege eine Rast ein. Da meine Waesche vom Vortag nicht getrocknet ist, haenge ich alles ueber mein Rad und Gelaender ringsum. In einem Laden kaufe ich mir ein Sandwich und eine Cola, setze mich auf die Stufe in den Schatten vor den Laden. Aus dem Nebenladen kommt ein Mann: "Wer hat sein Fahrrad an mein Auto gelehnt?" "Ich. Entschuldigen sie, aber es gab nichts zum Anlehnen in der Sonne und Sattel und Lenker sind mit Gummi geplostert, da wird nichts verkratzen..." Der Mann beeilt sich zu sagen, dass das schon o.k. sei, er habe nur gedacht, dass einer von "denen"- erzeigt auf den einzigen Schwarzen, der unweit ebenfalls im Schatten sitzt- das gemacht habe und diese Bemerkung sicher gehoert hat, aber keine Miene verzieht. Aus dem Laden kommt die Inhaberin. Sie fragt nach Woher und Wohin, wir erzaehlen ueber Deutschland und jetzt drueckt sie mir 100 Rand in die Hand: "Verwende es weise," sagt sie. Sie heisst Fern (Sprich: Foern) und ich kanns kaum glauben. Da ist es wieder, diese Solidaritaet unter Weissen, und auch das Bemuehen, einem Europaeer ein gutes Bild zu zeichnen vom ehemaligen Boykott-Feindbild "Afrikaander". Weiter. Ich erreiche den Abzweig nach Hamburg. Eine buckelige, staubige Piste voller Wellblech, aber gluecklicherweise haelt alsbald ein Pick-Up. Ein dicker, weisser Geselle sitzt hinter dem Steuer, auf der Ladeflaeche liegen Motorenteile. Ob ich einen Lift will? Klar doch! Neben dem Wagen steht eine junge schwarze Frau, die den Daumen herausgehalten hat. Als ich mein Rad auflade, schaue ich sie an und fluestere ihr zu, dass ich den Fahrer fragen werde, ob sie mitfahren kann, es ist ja Platz genug vorhanden. Aber der Mann lehnt kurzgebunden ab und das Maedchen zieht eine Schnute, als ich die Schultern zucke. Eine Staubfahne hinter dem Auto herziehend ruckeln wir ueber die gewundene Strasse, durch sanfte, kahlgeschlagene Huegel mit wenigen Ziegen und Kuehen und erreichen das Oertchen Hamburg an der Kueste, an der Muendung eines Flusses gelegen. Der Backpacker hier wird von einem Ungarn und seiner ausgesprochen huebschen Frau gefuehrt, ist aber offensichtlich wenig frequentiert. Zwei Deutsche haben hier halt gemacht, weil sie der deutsche Name anzog. Wir gehen in einem nebenan gelegenen Hotel Essen. Die englische Inhaberin hat viele Jahre auf Kreta ein Restaurant gefuehrt, sich dann von ihrem griechischen Ehegesponst scheiden lassen und ist einem Suedafrikaner hierher gefolgt. Mittlerweile ist der auch gegangen worden und jetzt raucht sie wie ein Schlot und spricht mit einer Stimme, die nach zuviel Tabak, Alkohol und langen Naechten klingt. An den Waenden Poster, die die grosse Einwanderungswelle von 1820 veranschaulicht. Um zwischen die kriegerischen Xhosa und ihre eigenen Militaerposten einen Puffer zu schaffen, warben die Englaender zu Hause und in unter Franzosen, Hollaendern und Deutschen um Siedler. Die Ueberfahrt war kostenlos, ebenso ein grosses Stueck Land, Steuern wurden erst nach Jahren erhoben und niemand fragte, wem dieses Land denn eigentlich gehoerte. Der Staerkere nimmt das Land, so einfach war das. Es ist wunderbar ruhig hier und ich schlafe tief. geschrieben am 23.4. in Port Alfred
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