4/29/2005 Suedafrika / Port Elisabeth
Beispiel Suedafrika
Arm und Reich nebeneinander
(Harald) Weil ich soviele Probleme mit den Speichen meines in Pretoria gekauften Rades habe, hat mir der Haendler in East London empfohlen, den Hersteller hier in P.E. zu kontaktieren. Ich radle also dorthin. Stephen, ein Manager, erst Mitte Zwanzig, gibt zu, dass man durch maschinelle Fertigung dauernde Probleme mit den Speichen habe- angenehm, mal kein Rausgerede zu hoeren, Motto: sie sind der erste Kunde, der dieses Problem hat... Der Mann war einige Zeit in Malaysia und trotz seines Alters weiss er schon: "Wir haben hier in S.A. eine schoene Heimat, eine Vielfalt, die es in Malaysia nicht gibt. Aber wir wissen das Gute nicht genug zu schaetzen." Ich werde zum naechsten Vertragshaendler geschickt, der in Walmer, einem der feinen Vororte, angesiedelt ist und bis zum Abend hat man mir dort auf Kosten des Herstellers neue Speichen ins Hinterrad gezogen, die Bremsen eingestellt. Jetzt kanns weitergehen. Walmer ist voller Villen, eine reizvolle Vielfalt von gelungener Architektur, daneben natuerlich auch viel Kitsch mit pseudo-griechischen Saeulen und Kapitelchen. Dunkelhaeutige Gaertner maehen den Rasen, aus den Kuechenfenstern schauen die Mamas beim Spuelen, junge Schwarze waschen in den Carports die sowieso schon sauberen Autos. Dem Augenschein nach gibt es in S.A. prozentual eine weitaus groessere Oberschicht als in Deutschland. Weisse Bettler sind nur in den Grossstaedten und selten zu finden, aber in ganz S.A. finden sich diese Riesengrundstuecke, Villen, teuren Autos, Motorboote und in den Vorgaerten klaeffen fettgefuetterte Hunde und die meiste Zeit des Jahres stehen die abertausende Ferienhaeuser an den Kuesten leer. Es wimmelt von erstklassigen Restaurants, Cafes, Lodges und hier in Walmer koennen die Millionaere, nur durch eine kleine Senke davon getrennt, in Steinwurfweite in die Townships gucken, wo ein Cellphone der Gipfel des Luxus ist. In einer immer kleiner werdenden Welt wird das Gleichgewicht zwischen Habenden und Habenichtsen immer wichtiger werden- aber hier in S.A. erscheint die schamlose Zurschaustellung des Ueberflusses geradezu obzoen, angesichts der direkten Nachbarschaft zur Armut. Wenn ich hier auf der Terrasse saesse und, mit Blick auf das Township nebenan, mir tagtaeglich meinen aus Ueberfluss geborene Ueberdruss wegaesse, bliebe mir irgendwann der Bissen im Halse stecken. Man muss schon gut verdraengen koennen, um nicht beruehrt zu sein. Suedafrika hat den Buergerkrieg vermieden, aber der soziale Friede ist noch laengst nicht gewonnen und ohne Ausgleich wird das auch nicht wahr werden. Man kann leicht vergessen, wie die Verhaeltnisse hier vor 1994 aussahen. Hoert man aber genau hin, dann sind die Mauern noch in den Koepfen. Immer noch wird in rassistischen Termini gesprochen: Da gibt es die Blankets/Whites, die Coloureds (Mischlinge), die Indians (indischstaemmigen) und die Bantus (Schwarze), stets heisst es: "Wir" und "Die" und die allerwenigsten Weissen sprechen eine der einheimischen Sprachen wie Xhosa oder Zulu, waehrend sie beklagen, dass Afrikaans ausstuerbe, was Unsinn ist, denn es wird von Millionen, auch Schwarzen gesprochen. Und was waere schon dabei, wenn man diese Abwandlung einer europaeischen Sprache aufgaebe und stattdessen eine afrikanische Sprache spraeche? Schliesslich bestehen die Weissen hier ja darauf, Afrikaner zu sein, waehrend sie aber gleichzeitig alles tun, um sich von diesen zu unterscheiden. Es gab Parkbaenke mit Aufschriften: "Nur fuer Weisse" und in Bussen waren die Sitzplaetze nach Hautfarben getrennt. Die Toiletten in den Unterkuenften der Minen hatten oft nicht mal Tueren, die Arbeiter waren hunderte Kilometer von ihren Familien getrennt, entwurzelt aus Kultur und Sozialgefuege. Dieselben Weissen, die mir gegenueber in nostalgisch-schwaermerischer Weise ueber die Apartheit sprechen, verlieren natuerlich nie ein Wort der Scham oder Reue ueber den weltweit einmaligen Skandal der zweiten Haelfte des 20.Jh. Es sei sicher auf den Strassen gewesen, man habe auch nachts spazieren gehen koennen als Frau. Zuhause aber gab es Gewalt gegen Frauen, Kinder, Alkoholismus, Drogenprobleme, Suizide und wie in Israel wanderten und wandern viele S.A. aus. Konsum von Zigaretten, Alkohol und Drogen sehen Soziologen als Indikatoren fuer Unzufriedenheit an, genauso wie Konsumrausch und Ueberernaehrung. Ex-Soldaten schwaermen von der Leistungsfaehigkeit S.A. Waffen ("unsere Artillerie konnte von der Grenze bis Maputo schiessen") und argumentieren stringent, warum es voellig in Ordnung und unvermeidlich war, das ganze suedliche Afrika in Buergerkriege zu stuerzen: Angola, Mosambik, Zimbabwe, Zambia, Namibia. Fotos von 16-jaehrigen Soehnen weisser Farmer in Uniform auf den Kaminsimsen, die Militaerdienst leisteten, bevor ihnen erlaubt war, ein Auto zu fahren oder die eigene Regierung zu waehlen, die sie ueber alle Grenzen in den Krieg schickte. Geschichten von Maennern, die damals in Kommandotrupps furchtbar unter den Zivilbevoelkerungen der Nachbarlaender gewuetet haben und heute respektable Posten in der Wirtschaft innehaben. Kein Wunder, dass es Hass gibt, offene Rechnungen. Das Wunder ist vielmehr, dass es Mandela und dem ANC, Buthelezi und den anderen Fuehrern ueberhaupt gelungen ist, einen friedlichen Wandel durchzufuehren. Es ist das S.A. Wunder, ein Beispiel fuer die Kraft des Verzeihens und Vergebens, dessen Groesse sich viele Weisse hier wohl nicht bewusst sind oder sein wollen und das anderen Gegenden der Welt ein so gutes Bsp. sein koennte, z.B. fuer Israel. Es ist der Wille zum Kompromiss und dem Blick-nach-vorne, der Faehigkeit, die Vergangenheit lebendig zu erhalten, ohne in ihr zu verharren und aus ihr zu lernen- etwas, was wir in Deutschland seit 60 Jahren, wie ich finde, erfolgreich praktizieren. Es ist die Faehigkeit der afrikanischen Seele, die schnell aufzuruehren ist, aber stets um die wahre Natur des Menschen weiss und seine grossen Schwaechen akzeptiert. Ich radle durch den Prince George Park, wo aeltere Herrschaften in bluetenweissen Spieleruniformen Bowling spielen. Hier wird dieser Sport im Freien gespielt, wir nennen das Boccia. Man spielt mit schwarzen Bakelit-Kugeln, gross wie Pampelmusen, die seitlich abgeflacht sind und rollt mit unglaublicher Praezision diese ueber die ebenmaessigsten Rasen, die ich je gesehen habe, moeglichst nahe an die etwa 25 m entfernte, weisse "Kitty" oder "Jack" genannte, mandarinengrosse Zielkugel. Das alles laeuft gepflegt, ohne laute Rufe ab und unter den Spielern sind auch ein paar wenige Inder und Mischlinge. In den vielen Golfclubs sind schwarze Spieler die absolute Ausnahme und Jack Nicklas und andere weisse Spieler zieren auf Postern die Waende, aber den afro-amerikanischen Tiger Woods habe ich noch nicht abgebildet gesehen. Dieser Bowlingclub wurde 1882 gegruendet, man hatte schon so kurze Zeit nach der Einwanderung Zeit und Kraft fuer gepflegten Sport. Wer hat damals die koerperliche Arbeit verrichtet, die den heutigen Reichtum begruendet hat? "Der Nutzen des Reisens ist Vorstellung durch Realitaet zu ersetzen, und anstatt darueber nachzudenken, wie Dinge sein koennten zu sehen, wie sie sind." Samuel Johnson geschrieben am 8.5. in Plettenberg Bay
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