5/9/2005 Suedafrika / Knysna
Ja!
Schoenheit und Weiss
(Harald) Meine Schwaeche mir zu merken, zu behalten. Heute kein Fruehstueck fuer den Zerstreuten, denn das haette ich gestern vorbestellen muessen. Wieviele Wege, Kilometer, Geldmengen, Verpasstes hat mich mein Gedankensieb schon gekostet? Aber wer weiss schon, was ich stattdessen, was ich vermeine verpasst zu haben, erlebt habe oder mir- dem Himmel seis gedankt!- erspart blieb? Mit diesem troestlichen Gedanken rolle ich abwaerts durch die Stadt, fotografiere. Die Bucht von Plett, wie die Leute in englischer Manie fuer Abkuerzungen ihre Stadt nennen, liegt unter mir. Ich steh da und bin still, gefangen. Der Anblick ist so schoen, dass es mich ruehrt, ja schmerzt. Dieses Gefuehl habe ich oft gehabt. Warum nur schmerzt die Schoenheit so? Weil sie an unser Bedauern ueber die eigene Unvollkommenheit ruehrt? Oder weil ihr die Gewissheit innewohnt, dass sie vergaenglich ist? Oder macht uns die Staerke des Gefuehls nur einfach offen fuer verschuetteten Schmerz? Mit der Schoenheit ist es wie mit dem Lachen: Ganz am Ende sind wir den Traenen nah und Lachen klingt wie ein Aufschrei. Die starke Hanglage der Stadt ermoeglicht hier hunderten von Hauseigentuemern einen alltaeglichen Blick auf die Schoenheit, die zu schaffen kein Mensch in der Lage ist. Meeresblau wie das Blonder Augen, mit weissen Wellenwimpern, neblige Gischtschwaden romantisieren die buschbestandenen Duenen und die sich dahinter staffelnden Berge in hellblauem bis grauem Pastell, die Kueste verliert sich in diesem Dunst in der Ferne, davor kreuzt ein Motoboot durch den chromglitzernden Meeresspiegel. Wie sagte Tania Blixen? “Ja! So wars gemeint!” Ich zelebriere ein Zweistundenfruehstueck mit Blick auf endlose, menschenleere, weisse Straende. Plettenberg ist fuer mich DIE Weisse Stadt. Die Haeuser, die Autos, Pergolen, Tueren, Fliesen, Kacheln, Stuehle, Tischdecken, Handtuecher, Damenschuhe und Sportkleidungen, auch die Werbeschilder (“Engels und Voelker: Grund Genug-Immobilien”). Weiss ist in der Natur immer schoen. Gibt es etwas Weisses in der Natur, dass nicht schoen ist? Schnee, Eis und Schwaene, Wolken, Gischt und Lilien, Orchideen und Rosen, Schmetterlinge und Kakadus, Mond und Sterne…Eier? Schoenheit und Ja! sind Verwandte. Ich weiss nicht, ob die Geschichte stimmt, aber ich glaube mich an John Lennons Liebesgeschichte zu erinnern. Er besuchte eines Tages eine Kunstaustellung einer Kuenstlerin und trat dort in einen voellig leeren Raum, in dessen Mitte nur eine Leiter (oder ein Stuhl) stand. Beim Naehertreten bemerkte er an der Decke klebend, einen kleinen Zettel mit etwas Geschriebenem. Um es aber lesen zu koennen, musste man sich der Muehe unterziehen auf die Leiter zu steigen. Lennon sagte spaeter, er habe sich in dem Augenblick in die ihm unbekannte Frau verliebt, als er las: “Ja!” Die Frau hiess Yoko Ono. Aus dem Innern meines Cafes klingt eine Melodie aus “Blade Runner”. Das ist der perfekte Morgen, ja. Ein zweiter Gast erscheint und fragt hoeflich, ob er mir die Aussicht auf das Meer verstelle. Ich scherze, dass mir sein Anblick nicht unangenehm sei. Der Barkeeper erzaehlt mir spaeter, dass er ein in S.A. beruehmter Journalist sei. Er fragt mich viel, ueber Sinn und Hintergrund, Bereicherungen und dunkle Stunden und er sagt: “Danke, dass sie mir das erzaehlen und lebendig werden lassen.” Mir ist das ein wenig peinlich, der Mann ist ja selbst sicher gereist. Der Wirt laedt mich zur Weinprobe ein: “Vukani, Pinotage Rose 2004-Paarl”. Von Wein verstehe ich nicht viel, aber er schmeckt. Der Journalist spricht ueber Sartre, Platon, Goethe und trinkt zuviel. Seine Frau hat ihn vor kurzem zum Teufel geschickt, weil er ausser Arbeiten und Alkohol nicht viel im Sinn hatte. Und jetzt kippt er sich in einer Stunde 4 Jaegermeister, 2 Schoppen Wein und 2 Bier hinter die Binde. Ich mag nicht zuschauen, wie sich ein solch beruflich erfolgreicher Mann, belesen, neugierig, dessen Frau ihn liebt, wie er sagt, sich selbst nicht im Griff hat und breche auf. Er scheint geknickt und versinkt ihn duesteres Brueten, schaut nicht mehr auf, als ich losfahre. Ich packe, zahle im B.P.- definitive einem der besten in S.A.- und radle locker 37 km bis Knysna (sprich “Neisna”). Unterwegs ein Privatzoo mit europaeischen Woelfen, Schakalen, Wildhunden und zwei Mischlingen aus Wolf und Schaeferhund, die mir nicht geheuer sind, da sie frei umherlaufen. Der B.P. in Knysna ist in einer verspielten, viktorianischen Villa untergebracht. 4 Eisengestell-Stockwerkbetten, quitschend. 3 Deutsche, 2 Englaender mit mir im Dorm. Ich gehe mexikanisch Essen: 1.Klasse. Gutes Essen ist der Himmel! Die Betten stehen so eng, dass ich lachen muss, als ich mich umdrehe und direkt ins Gesicht meiner Bettnachbarin sehe, nur 60 cm entfernt, als laegen wir eintraechtig im Doppelbett. Aber die Dame versteht meinen Humor nicht und dreht sich weg. geschrieben am 17.5. in Swellendam
|