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Reisetagebuch

5/12/2005   Suedafrika / Mosselbay

Begegnung mit mir selbst

Gedanken zum Alleinsein

(Harald) Um vier in der Frueh wach ich durch geraeuschvolles Stuehleruecken auf. Wer zum Teufel..., zu nachtschlafender Zeit? Ich gehe in die Teekueche und sehe draussen auf dem grossen Holzbalkon die Plastikstuehle wie von Geisterhand bewegt umherfliegen. Ein Sturm hat die Stuehle bereits zerschmettert, ich sammle sie ein, waehrend mir einzelne Regentropfen wie Nadeln in die Haut peitschen.

Danach ist an Schlaf nicht mehr zu denken, ich bin hellwach und lese im Schein der Stirnlampe auf der unteren Ebene meines Etagenbettes. Zwei Reihen weiter schnauft der einzige Mitbewohner im 8-Mann-Dorm in unruhigem Schlaf; er traegt eine Schlafmaske. Komische Kaeuze sind mir recht, nur nicht die Betrunkenen, Randalierer und die Schnarcher.

Aufbruch, Einkauf im Minimarkt im Oertchen, Joghurt, Brot auf einer Mauerkante am Parkplatz.

Regenwolken eilen nach Nordost auf die See hinaus. Ich bringe meinen Kreislauf mit einem Bergspurt auf Trab, dann gehts rauf-runter, 60 km bis Mosselbay.

Wilderness erstreckt sich fast 10 km auf einem schmalen Streifen Ufer zwischen steilen Berghaengen und der See. Wie im Rheintal draengen sich Haeuser, Strasse und Eisenbahntrasse dicht auf ein paar Dutzend Meter. Die Strasse windet sich am Ufer des hier einmuendenden Flusses durch dunkelgruenen Dschungel, aus dem einzelne, schmucke Wochenendhaeuschen herausstechen, zu denen nicht mal ein Weg fuehrt, die man nur mit Booten erreichen kann.

Ich habe ueber das Alleinsein gesprochen. Fuer mich ist das eigentlich kein Problem, aber die Dauer nagt an mir, die Ausschliesslichkeit und die Tatsache, dass ich die Reise nicht alleine begonnen habe.

Einsamkeit, wenn sie sich dann gelegentlich einstellt, ist abweisend. Sie huellt uns in eine subtile Aura von Traurigkeit und erweckt weder Neugier noch Interesse. Man schaemt sich ihrer ein wenig, doch ist sie in hoeherem oder geringerem Grade jedermanns Thema. Spricht mich jemand auf mein Alleinsein an, fuehle ich mich schon mal wie auf frischer Tat bei einem Bagatellvergehen ertappt, es ist mir ein wenig peinlich.

Ich bin aber seit Nairobi nie mehr versunken, es sind stets kurze Momente, Erlebnisse, die in mir den starken Wunsch nach Gesellschaft und Mitteilung wecken, es ist kein Zustand.

Mir haben folgende Worte gut gefallen:

"Es interessiert mich nicht, womit du deinen Lebensunterhalt verdienst. Ich moechte wissen, wonach du innerlich schreist und ob du traeumen wagst, der Sehnsucht deines Herzens zu begegnen.

Es interessiert mich nicht, wie alt du bist. Ich will wissen, ob du es riskierst, wie ein Narr auszusehen, um deiner Liebe willen (den Part hab ich sicher erfuellt), um deiner Traeume willen und fuer das Abenteuer des Lebendigseins.

Es interessiert mich nicht, welche Planeten im Quadrat zu deinem Mond stehen. Ich will wissen, ob du den tiefsten Punkt deines eigenen Leids beruehrt hast, ob du geoeffnet worden bist von all dem Verrat, oder ob du zusammengezogen und verschlossen bist aus Angst vor weiterer Qual.

Ich will wissen, ob du mit dem Schmerz- meinem oder deinem- dasitzen kannst, ohne zu versuchen, ihn zu verbergen, zu mindern oder ihn zu beseitigen. Ich will wissen, ob du mit Freude- deiner oder meiner- da sein kannst, ob du mit Wildheit tanzen und dich von der Ekstase erfuellen lassen kannst, von den Finger- bis zu den Zehenspitzen, ohne uns zur Vorsicht oder Vernunft zu mahnen und ohne die Grenzen des Menschseins zu bedenken.

Es interessiert mich nicht, ob die Geschichte, die du erzaehlst, wahr ist. Ich will wissen, ob du jemanden enttaeuschen kannst, um dir selber treu zu sein. Ob du den Vorwurf des Verrats ertragen kannst und nicht deine Seele verraetst.

Ich will wissen, ob du vertrauensvoll sein kannst und von daher vertrauenswuerdig.

Ich will wissen, ob du Schoenheit sehen kannst, auch wenn es nicht jeden Tag schoen ist und ob du dein Leben aus Gottes Gegenwart speisen kannst.

Ich will wissen, ob du mit dem Scheitern- meinem oder deinem- leben kannst und trotz allem am Rande des Sees stehen bleibst und zu dem Silber des Vollmonds rufst: "Ja!"

Es interessiert mich nicht zu erfahren, wo du lebst und wie viel Geld du hast. Ich will wissen, ob du aufstehen kannst nach einer Nacht der Trauer und der Verzweiflung, erschoepft und bis auf die Knochen zerschlagen und tust, was fuer die Kinder getan werden muss.

Es interessiert mich nicht, wer du bist und wie du hergekommen bist. Ich will wissen, ob du mit mir in der Mitte des Feuers stehen wirst und nicht zurueckschreckst.

Es interessiert mich nicht, wo oder was oder mit wem du gelernt hast. Ich will wissen, was dich von innen haelt, wenn sonst alles wegfaellt. Ich will wissen, ob du allein sein kannst und in den leeren Momenten wirklich gern mit dir zusammen bist."

Diese Worte werden einem nordamerikanischen Haeuptling namens Oriah-Mountain-Dreamer zugeschrieben.

In Mosselbay angekommen steuere ich wie gehabt einen der oertlichen BP an, auch dieser wieder eine schoene Villa mit Garten, abends auf allen Tischen drinnen und draussen Kerzenschein, dazu Palmenrauschen, Kaminfeuer. Nebenan geh ich zum Chinesen, wo es fuer kleines Geld koestliches Chop Suey gibt: "Nihau" sagt man zur Begruessung (wie gehts?) und man antwortet "Niha-a!" So was wie Guten Morgen, Guten Tag etc. gibt es im Chinesischen nicht. Und zum Abschied sagt man "Tzai-Tschienn".

Im Dorm bin ich alleine und geniesse die Ruhe.

geschrieben am 19.5. in Riviersonderend


 


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