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Reisetagebuch

5/15/2005   Suedafrika / Riversdale

Immer noch

Ueber verdeckten Rassismus

(Harald) Die suedafrikanische Wettervorhersage kann man, gelinde gesagt, in der Pfeife rauchen, dass ist mir schon mehrmals aufgefallen. Fuer heute waren mit einer Haeufigkeit von 80 % Regen angekuendigt und stattdessen strahlt den ganzen Tag die Sonne am fast wolkenlosen Himmel.

Dafuer stemmt sich mir wieder mal Wind entgegen, mit grosser Wucht, 40 km/h schaetze ich. Hinter der Stadt ein letzter Blick zurueck auf die weite Bucht, tief atme ich ein, frische, kalte Luft. Ich weiss schon garnicht mehr was Smog ist, wie schmutzige Luft riecht. Saubere Luft ist mir zum Alltag geworden, Natur, Wetter sind den ganzen Tag um mich.

In einer Mall ein paar Einkaeufe, Wasser und italienisches Hartgebaeck. 10 km weiter, schon wieder 100, 200 m hoch, gesellt sich ein Radrennfahrer zu mir. Der Mann ist Apotheker aus Holland, lebt seit 24 Jahren hier und hat sich eingelebt. In den Grossstaedten aber will er wg. der Kriminalitaet nicht wohnen. Wir unterhalten uns angeregt und atemraubend, nach 15 km dreht er bei und flitzt mit Rueckenwind schnell ausser Sicht.

25 km, Pause im Gras neben Pferden. Dann in Albertina in einem kleinen Cafe ein Hamburger und Kaffee zum Haendewaermen. Eine grosse Wandkarte zeigt S.A. Es wimmelt von deutschen Ortsnamen: Frankfort, Hereford, Genadental, Hanover, Heilbron, Braunschweig, Berlin, Hamburg, Heidelberg, Glueckstadt, Marburg, Munster, Wuppertal, Underberg, Wittenberg, Stoffberg, Stutterheim, Steinkopf, Franzenhof, Lichtenburg, Petersburg, Sandberg, Kleinbeginn und Johannesburg usw. Krefeld suche ich vergebens. Unter den ersten Siedlern in Bathurst z.B. waren die Wagners aus Dresden 1634, Bronkhorst aus Emmerich 1699, die Rademeyers aus Weeze 1751 und Familie Vlok aus Moers 1669. Die Deutschen haben ihre Spuren hier hinterlassen, neben dem Guten aber auch im Werdegang zum Apartheidstaat und es ist kein Zufall, dass Hitler hier immer noch der Held ist und "Mein Kampf" in den privaten Regalen steht und die Buchhandlungen voller Angebote ueber die Naziezeit sind.

15.45 gehts wieder auf die Piste, hinein in den gnadenlosen Wind. 40 km weiter, 18 Uhr, Riversdale. Hier ist es kalt und ans Zelten nicht zu denken. Es gibt keinen BP und ich kehre im Guesthouse "Rusticana" ein. Ein schoenes Zimmer, Terrakotta-Fliesenboden, weisse, dicke Handtuecher die duften, Seife auf dem Becken, Obst wird mir gebracht und ich werde zum Kloen auf das exquisite, moderne Ledersofa im Wohnzimmer gebeten. Hinter mir sitzt ein Graupapagei, an mir schnuppert ein Greyhound, ein zitternd-nervoeses, mageres Hundchen auf fingerduennen Stelzen, dass sich unglaublich schnell bewegt.

Die Frau ist Politikerin, ich frage nicht nach, was genau sie macht. Sie sitzt in einem Berg von Schreiben und Akten und spricht von Meetings. Sie hat etwas Hintergruendiges, was mir das Gefuehl gibt, nicht mit der wahren Person zu sprechen. Der Mann makelt Farmen, eine grosse Gestalt mit ausladenden Bewegungen. Ihn draengt es, ueber sein Land zu sprechen. Die Leute haben ja hier nicht vergessen, dass es u.a. die Europaeer waren, die mit ihren Sanktionen die Apartheiddiktatur in die Knie zwangen. Immer wieder kommen in S.A. Unterhaltungen auf, die stellenweise wie Rechtfertigungen klingen: Ihr habt das damals in Europa nicht richtig verstanden, jetzt bist du hier und siehst mal selber, wie schwieirg die Verhaeltnisse sind und in diesem Lichte betrachtet war das damals ja wohl keine so abwegige Entscheidung... So aehnlich wuerde ich das umschreiben.

Der Mann malt eine duestere Zukunft fuer sein Land, spricht vom Zwangsjobtausch: Kuendige dem Weissen, egal wie lange er schon in der Firma war und stelle Schwarze stattdessen ein. Das die oft nicht qualifiziert genug sind, fuehrt dann zur Misswirtschaft etc. Aber die Regierung will die von weissen Fuehrungskraeften dominierte Wirtschaft nachhaltig reformieren, mit dem Ziel, mehr Chancengleichheit zu ermoeglichen und Zugang zu hoeheren Einkommen fuer die bisher Unterpriviligierten.

Er sei kein Rassist bekraeftigt er, als wehre er sich gegen einen bereits erhobenen Vorwurf. Er liebe die Schwarzen, aber die weisse Rasse sei nunmal weltweit Nr. 1, die Besten. Ich frage ihn, was er von der Entwicklung in Asien und Suedamerika halte. Er weicht aus.

"Irgendetwas ist Afrika passiert, frueher mal, ich denke da schon viele Jahre drueber nach und finde nicht heraus was es ist, aber etwas ist Afrika zugestossen, dass hier nichts funktioniert." Ratlos schuettelt er den Kopf.

Ich antworte ihm, dass es wohl eher so ist, dass etwas NICHT in Afrika passiert ist. Es gab kein Altertum, kein Mittelalter, keine Rennaissance, keine Wissenschaft, Aufklaerung, Philosophen und Schloesser und keine Technologie, keine Schrift, kein Rad und keinen Flaschenzug.

Man ist geneigt das "Warum" nicht zu erforschen, man verheddert sich da leicht und letztlich muss man eh akzeptieren, dass es ist wie es ist. Aber fuer Rassisten ist das "Warum" wichtig, denn sie fuehren ihre Ueberlegenheitsideologie auf genetische Ursachen zurueck: Afrikaner haetten ein durchschnittlich kleineres Gehirn als Weisse, wird immer wieder behauptet. Newton hatte auch ein kleines Gehirn, was ihn nicht davon abgehalten hat, sich zu einem der groessten Genies der Menscheitsgeschichte zu entwickeln.

Wenn Europaeer afrikanische Babys adoptieren und diese nicht bereits praenatal durch Unterernaehrung geschaedigt wurden, werden sich diese Kinder genauso entwickeln wie weisse. Rassismus versucht auf menschenverachtende Weise zu vereinfachen, indem er u.a. behauptet, es mache ueberhaupt keinen Sinn zu helfen, zu unterstuetzen, Gerechtigkeit muehsam zu verwirklichen, weil es eben nicht moeglich sei genetische Unterschiede aufzuheben. Und die in S.A. vor 1994 praktizierte Rasseneinteilung setzte den Weissen an 1. Stelle.

"Von welchen Kriterien gehen sie aus?" frage ich den Mann. Er meint die Zivilisation, vereinfacht gesagt. "Meinen sie die Art Zivilisation, die wir in Deutschland bis vor 60 Jahren praktiziert haben? Oder die, die sich Anfang der 90er Jahre in Yugoslawien bewies? Oder die zahlreichen Beweise christlicher Naechstenliebe, die die Europaeer waehrend fast 500 Jahren den Indios und Indianern angedeihen liess? Meinen sie die Erfolgsgeschichte der Hexenverfolgung und der Versklavung? Wir Deutsche brauchten die Roemer, um Dinge wie Strassen, Bruecken, Arenen, Trinkwasserspeicher und -leitungen kennenzulernen. Ich bin im Rheinland geboren. Wir Rheinlaender sind, wie einer unserer groessten Komoedianten, Willy Millowitsch, mal sagte, das groesste Voelkergemisch ueberhaupt: Alle waren sie da, von den Skandinavieern ueber Spanier, Slawen, Hunnen und Mongolen, Franzosen, Inder und Tuerken, alle haben sie ihre Gen- und Kulturmarken hinterlassen.

Anstatt sich auf Unterschiede zu konzentrieren, sollten wir die Gemeinsamkeiten finden. Unsere Aufgabe ist es nicht, Menschen in Ranglisten einzuteilen, sondern Toleranz zu lernen. Wenn die Zukunft immer nur "Ich" und "Wir" heisst, ist das Ziel nicht erreicht. Eine bunte Welt, voller Unterschiede macht das Reisen erst interessant." Aber selbst das leugnet der Misantroph. Ich erzaehle von dem Motorradfahrer, dem ich in Fetiye begegnet bin und der nach 2 Jahren Reisens sagte: "Von mir aus braeuchte es keine Menschen unterwegs geben, die Landschaft waere mir genug."

Ich mag meinen Gastgeber, er ist hoeflich freundlich, hat zwei Soehne grossgezogen die gerne nach Hause kommen, wie die Beiden erzaehlen, er ist erfolgreich im Beruf und gebildet. Und doch ist er ein Rassist. Das ist ihm selber garnicht klar, weil es ihm derart selbstverstaendlich ist, so alltaeglich, dass er es nicht mehr erkennen kann. Ihm wuerde es nicht auffallen, wenn einer "10 kleine Negerlein" aufsagt, oder ein nickendes Negerlein auf der Autoheckablage steht, oder, wie im Zuericher Zoo bis vor ein paar Jahren, ein "Negerdorf"-Modell neben den Primatengehegen aufgebaut waere. Ihn wuerde es nicht stoeren, wenn einer im Bus sagte: "Ich setz mich nicht neben einen Neger." Oder wenn ein Schwarzer nicht eingestellt wuerde, weil die Kundschaft damit nicht "zurecht kaeme". Rassismus hat viele Gesichter und oft koennen nur die Betroffenen in erkennen.

geschrieben am 21.5. in Hermanus


 


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