5/17/2005 Suedafrika / Swellendam
Inge
Ein Kreis schliesst sich
(Harald) Mein einziger Mitbewohner im Dorm schnarchte die ganze Nacht. Meist sind Schnarcher uebergewichtig, so auch dieser. Vielleicht quellen bei Uebergewicht auch die Schleimhaeute der Nase, des Gaumens, ich versteh sonst die Parallele nicht. Durch die BP-Dorms habe ich jedenfalls so manchen Saegemeister erlebt. Ich war schon einmal hier, 1998, mit meinem Freund Jan. Wir waren damals in Kapstadt gestartet und auf dem Weg die Gardenroute runter. Mit einem gebrauchten 4x4, auf dessen ueberdachter Ladeflaeche eine Schaummatratze lag, zogen wir los. Ich hatte mir vorgenommen, fuenf Monate in S.A. zu bleiben, vielleicht Arbeit zu finden. Mit Jans Freund Mike, der in Kapstadt geboren und aufgewachsen war, hatten wir uns ein moebliertes Zimmer im Stadtteil Constantia gemietet, wo wir zu dritt in zwei Betten schliefen. Mike hatte Arbeit als Schreiner gefunden und Jan und ich waren nach 4 Wochen Aufenthalt in Kapstadt nach ein paar Tagen geruhsamer Fahrt hier in Swellendam gelandet. Und hier endete unser gemeinsamer Ausflug abrupt. Und das wiederum war ein gewichtiger, ja der Hauptgrund dafuer, warum ich heute wieder hier bin. Bevor wir an jenem letzten Tag auf einen der drei Berge direkt hinter Swellendam stiegen, hatte ich eine Nachricht erhalten, die das Kommende ankuendigte. Als wir zurueck kamen, rief ich in Krefeld an und es bestaetigten sich die schlimmsten Befuerchtungen. Meine Exfreundin Inge war vor Monaten schon an Blutkrebs erkrankt und lag jetzt im Krankenhaus und es sah nicht gut aus. Sie hatte bisher jede Einnahme von Zellgiften abgelehnt, die als Langzeitchemotherapie ihr Leben zwar letztlich nicht haetten retten, aber verlaengern koennen. Sie erhielt in stetig kuerzer werdenden Abstaenden Blutplasma, ihre Milz schwoll immer mehr an, sie magerte ab. Inge war Christin, glaubte, betete. Sie erzaehlte mir, dass sie versucht habe, Gott zu hoeren, eine Zwiesprache mit ihm zu halten, Antwort auf ihre Frage zu erhalten: Was soll ich tun? Und sie sagte mir verzweifelt: “Gott antwortet mir nicht.” Jan und ich arangierten ein Vierer-Treffen mit einem Arzt, der Inge, wie schon mehrere Aerzte zuvor, deutlich machte, dass sie nur die eine Chance auf Ueberleben habe: Eine Chemotherapie und anschliessende Knochenmarkstransplantation. Da sie eine Chromosomenanomalie hatte, passte selbst der geeignetste Spender, ihre Mutter, nicht ganz genau auf ihr Blutspektrum, was man ihr dummerweise- bewusst oder unabsichtlich- gesagt hatte. Manchmal ist Luegen wohl besser fuer einen Patienten. Die Aerzte waren z.T. boese auf sie. Inge war 25, ein huebsches Maedchen mit Liebreiz. Fuer einen Arzt, fuer mich, war es fast unertraeglich zusehen zu muessen, wie die kostbare Zeit verstrich, ohne das ein ernsthafter Versuch erlaubt wurde, ihr Leben zu retten, waehrend sie immer mehr verschwand. Als ich an jenem Tag Jan sagte, dass ich sofort zurueckfliegen moechte, sagte er nur:”Klar.” Am naechsten Morgen fuehren wir die 250 km zurueck, Jan fuhr mich auf dem Weg zum Flughafen nochmal an einem der schoensten Kustenabschnitte am Tafelberg entlang und dann entschwand Kapstadt unter Wolken meinen Blicken. In Krefeld wartete vor dem Krankenzimmer Inges Freund auf mich, da waren ihre Schwester und die Mutter. Als ich ins Zimmer kam, erschrak ich innerlich ueber das Gesicht, dass mich gleichwohl anstrahlte. Es war mager, eingefallen, die Zuege eines Menschen, der dem Tod nahe ist. Ich hatte mir vorgenommen, einen letzten Versuch zu machen, Inge umzustimmen, damit sie die Medikamente nimmt. Aber sie hatte am Vortag bereits damit angefangen, es bestand jetzt etwas Hoffnung. Mich bedrueckte die Stimmung. Ich oeffnete, als wir alleine mit einer ihrer Freundinnen waren, erst die Vorhaenge, die Sonne schien, dann die Fenster, warmer Wind, Vogelstimmen, ein Kinderlachen. Es war im Mai, Fruehling. Und mir erschien das Draussen wie ein Synonym fuer das Leben ueberhaupt, dass wir hereinlassen mussten wie die Hoffnung, auch wenn ich wusste, dass es unter diesen Umstaenden auf Dauer keine gab. Inge war zu schwach, um zu laufen und wehrte sich gegen den Vorschlag, nach draussen zu gehen. Mir schien, dass fast jeder Lebensmut sie verlassen hatte, eine Art Ratlosigkeitsstarre, Resignation. Schliesslich konnte ich sie ueberreden, sich in einen Rollstuhl zu setzen, unter einer waermenden Decke schob ich sie ins Freie, wo ich zum zweiten Mal ein Laecheln sah, als ich ihr sagte, dass jetzt auch ich fuer sie da sei. Meinen einzigen, hartnaeckigen Versuch, sie zu einer Transplantation zu bewegen, nahm sie mir uebel, wenn es uns auch nicht entzweite. Die Medikamente und die schliesslich in nur wenigen Tagen Abstand notwendigen Transfusionen schenkten Inge dann noch fast ein halbes Jahr, bevor sie im November 1998 starb. Und so blieb die Gardenroute unvollendet wie mein Vorhaben, fuenf Monate in S.A. zu bleiben und ich nahm mir vor, hierher, genau hierher, nochmal zurueck zu kehren. Und jetzt bin ich hier. Und es sind wieder meine letzten Kilometer, diesmal auf meinem Fahrrad, Kapstadt ist nicht mehr weit. Ich wollte heute auf den “unvollendeten” Berg hinauf, alleine, aber der Sturm entwurzelt Baeume und ein deutscher Rucksacktourist kommt nach drei Stunden zurueck und bestaetigt, was uns die Inhaber des BP gesagt haben: Oben am Hang blaest der Wind dich um, fegt dich runter, das ist lebensgefaehrlich. Also verschiebe ich das Unternehmen auf Morgen. geschrieben am 24.5. in Woodstock
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