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Reisetagebuch

5/22/2005   Suedafrika / Bettys Beach

Best things in life are free

Letzte Station vor Kapstadt

(Harald) Den gestrigen Tag habe ich in Hermanus verbracht. Die touristische Stadt liegt am suedlichen Ufer der Gans-Bucht, am anderen Ende liegt der Ort Gansbaai. Bucht und beide Staedte sind weltberuehmt fuer ihre einmaligen Beobachtungsmoeglichkeiten nicht nur von Walen, sondern auch fuer Weisse Haie. Wer hier mit einem Spezialboot rausfaehrt, bekommt nahezu 100%ig mindestens einen Weissen Hai zu sehen. Einer meiner Traeume ist es, diesen groessten Raubfisch der Welt mal lebendig zu sehen, moeglichst von einem Unterwasserkaefig aus. Aber der Spaas kostet viel Geld und das habe ich nicht mehr.

Die Jungs im BP sind nett, gute Stimmung, alles locker. Nur rauchen die wie die Schlote und alle Kleidung riecht entsprechend, die Haare stinken, alle Polster, Teppiche.

Ich fahre heute weiter. Viele Strassenschilder sind zerschossen, dass ist in fast ganz S.A. so. Tausende machen sich einen Spass daraus, Gebrauch von ihren Schusswaffen zu machen und Hinweisschilder als Zielscheiben zu benutzen. So was habe ich sonst nur in Kroation und Serbien gesehen und dort waren es Ueberbleibsel des Krieges. Aber hier in S.A. herrscht ja auch eine Art Krieg.

Die Regierung hat seit Januar eine dreimonatige Amnestiefrist fuer Besitzer illegaler Waffen gesetzt und ueber 25.000 Schusswaffen wurden abgegeben. In den Regalen der Polizei lagern in S.A. z.Zt. ueber 70.000 konfiszierter Schusswaffen. In S.A. hat man im Gegensatz zu den USA erkannt, dass der massenhafte Privatbesitz von Schusswaffen nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu mehr Opfern fuehrt. Aber hier wie dort herrscht eine Sicherheitsparanoia, das haben beide Staaten gemeinsam.

Die boesen Buben sind die Schwarzen. Fuer ausnahmslos alle weissen S.A., mit denen ich darueber sprach, war es unvorstellbar, dass ich mit einem Taxi fahren koenne, also den Minibussen. Spreche ich diese Option an, geht man meist nicht mal darauf ein, derart absurd erscheint den Weissen dies. Es wird geradzu geleugnet, dass dieses Transportmittel existiert. Man sagte mir oft: "Es gibt keine Busverbindung nach- sagen wir- A." Und auf dem Weg dorthin fahren dann fuenf Minibusse an mir vorbei. Natuerlich ausschliesslich mit Schwarzen besetzt, dichtgedraengt wie gelagertes Gepaeck. Hier wurden schon Minibusse gestoppt, die statt 14 zugelassenen, sage und schreibe 28 Insassen hatten. Fuer Weisse ist dieses Transportmittel undenkbar.

Sonnenschein, Wind. Der Wetterbericht sagte Wind aus Nordwest voraus, aber er kommt aus Sueden, mir entgegen.

Sandbeach, dann Kleinmond, kurze Pause, dann Bettys Beach. Der Wind hat sich zum Sturm gesteigert, Boeen ueber 60 km/h, ich komme selbst im 1. Gang nicht mehr weiter, kippe immer wieder vom Rad. Plastiktueten ueberholen im Flug die Autos, Sand fleigt mir in die Augen, trotz Sonnenbrille.

Ein nettes Cafe, Kuchen, Kaffee (moechten sie die Milch kalt oder heiss? wird man hier ueberall gefragt und wenn das Gewuenschte serviert wird, sagt die Bedienung zu einem "Danke").

Der Inhaber zeigt mir einen Aufkleber, den ein aelterer, serioes aussehender Herr im schwarzen Mercedes ihm gestern angedient hat, auf das er ihn ins Fenster klebe. Aufschrift: "Gegen Rassendiskriminierung. Keine Unterstuetzung fuer B.E.E." Letzteres richtet sich nicht gegen Bienen, sondern bedeutet "Black Economic Empowerment". Eine Kampagne der Regierung, um Schwarzen kurzfristig gleichwertige Chancen im Arbeitsmarkt zu verschaffen. Da wird viel gehobelt, da fallen eine Menge Spaene.

Der 32-jaehrige Cafe-Inhaber tippt sich an die Stirn: "Der Typ spinnt doch! BEE ist doch gut fuer unser Land, wir brauchen das." Sein neben ihm stehender Onkel, um die 60, sieht das anders. "Wenn du das aufhaengst, schneiden sie dir die Kehle durch."

Als die Apartheit diktaturierte, war es nicht mal erlaubt oeffentlich das System zu kritisieren. Jeder Weisse riskierte Jobverlust, Gefaengnis, Landesverweis, Entzug der Staatsbuegerschaft. Heute duerfen solche Typen unter einer von Schwarzen dominierten Mehrheitsregierung durchs Land fahren und derartige Aufkleber verteilen.

"Mit dem Fahrrad" antworte ich auf die so haeufig gestellte Frage. Und wie ebenfalls so oft, geht der Fragesteller darueber hinweg. Wo ich denn gelandet sei, in Joburg oder Kapstadt? "Mit dem Fahrrad!", sage ich nochmals. Jetzt faellt der Groschen. "Was? Mit dem Fahrrad? Den ganzen Weg? Von Deutschland?" Ja, bis auf Zimbabwe.

Draussen verdunkelt sich der Himmel, alles was fliegen kann, bewegt sich waagerecht ueber den Parkplatz. Es wird regnen. 35 km bis Gordons Bay, meinem eigentlichen Tagesziel. Das schaffe ich bei diesem Wind nicht mehr.

Der Inhaber telefoniert herum. Alle Unterkuenfte sind zu teuer. Dann, ich bin schon im Aufbruch, hat er eine kostenlose Unterkunft gefunden. Die Kirche unterhaelt hier ein Jugendlager, eine Art Herberge aus Steinhuetten fuer jeweils 6 Personen. Ich radle hin, quartiere mich ein, bin der einzige Mensch in der Anlage und der Leiter macht es kurz. Also radle ich zum Cafe zurueck und schreibe Tagebuch. Kaffee und Internet sind umsonst, der Mann macht meinetwegen sogar Ueberstunden. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder, ein Ex-Manager aus Joburg.

"Ich hab mich hochgearbeitet, 10, 12 Std.-Tage, meine Frau genauso. Wir hatten eine Menge Geld, Luxus und all das. Aber nie Zeit, vor allem sahen wir die Kinder kaum. 6 Uhr aufstehen, 7.30 Uhr los, 18, 19 Uhr zu Hause, muede, sie verstehen." Ja, ich verstehe gut. Meine Beziehungen haben auch unter meinen Ueberstunden gelitten.

"Ich hab mich dann monatelang mit einer Entscheidung abgequaelt, fiel mir schwer. Die haben mir noch mehr Geld geboten, damit ich bleibe, rufen heute noch an und machen Versprechungen. Aber die Kinder werden so schnell gross und das nur einmal. Wir sind dann 1500 km weiter hierher gezogen, haben alle Bruecken abgebrochen und es nicht bereut. Das Meer, der Strand, die Berge, die Kinder den ganzen Tag um uns, sehr nette Nachbarn hier. Wir haben schnell Kontakt gefunden. Am Ende fragt man sich doch: "Was bleibt? Die Kinder! Das Geld ist doch nicht so wichtig." "Ja" sage ich. Das Wertvollste ist Zeit, deine Lebenszeit. Die kannst du nicht kaufen. "Die besten Dinge im Leben sind kostenlos"- schoenes Lied.

Wir verabschieden uns herzlich.

Ich setze mich trozt des Sturms auf eine Terrasse und esse mein Muesli und Paranuesse und von den Bergen ringsum droehnt der Wind herunter, als ob Riesenwellen auf eine Steilkueste traefen. Der Mann im Cafe hat gesagt, dass ein oertlicher Meteorologe Geschwindigkeiten bis fast 90 km/h gemessen habe.

Ein Vollmond versieht die eilenden Wolken mit Prismenlicht, die Szene gleicht mit diesen unnatuerlich rasenden Wolken einem Horrorfilmszenario. Unwillkuerlich ziehe ich den Kopf ein, Aeste krachen aufs Dach, die schweren Holzstuehle ruecken umher und eine Chipstuete erhebt sich blitzschnell senkrecht und verschwindet im Nachthimmel.

Ich bin mir nicht boese, dass ich heute zum ersten Mal wegen zu starkem Wind aufgeben musste.

geschrieben am 27.5. in Woodstock, Kapstadt


 


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