8/6/2002 Deutschland / Gunzenhausen
Taube Finger an der Tauber
Die Fahrt fuehrt durch das Taubertal nach Rothenburg und weiter durchs Tal der Altmuehl.
(Harald und Renata) Der Abschied von der "Eine-Welt-Laeden"-Truppe faellt uns schwer, ist sie uns doch durch das gemeinsam Erlebte vertraut geworden. Und mich erinnert der Background dieser Ladenkette an meine Zeit in meinem Oeko-Geschaeft "Das gesunde Haus". Mit grossem Klingelkonzert werden wir verabschiedet. Uns fuehrt die Fahrt entlang der Tauber Richtung Rothenburg, auf dem Radwanderweg "Liebliches Taubertal". Die maessig befahrene Strecke geht nach 40 Kilometern munter auf- und abwaerts, dass die Kette knackt. Ich habe wiederholt Probleme mit tauben Fingerkuppen, weil die Nerven in den Handballen staendig geprellt werden. Die Aussichten sind erstklassig. Felder mit reifem Hafer, Gerste, Disteln und Sonnenblumen. Die Wege gesaeumt von Silberpappeln, Weiden. Wir sehen den ersten Pirol und Graureiher. Am Abend sind wir kurz vor Rothenburg auf einem Campingplatz. Nach Rheinland-Pfalz und Hessen nun in Bayern. In diesem Bundesland kann man nur bis zum 26. Lebensjahr in den Jugendherbergen einkehren. Den naechsten Tag verbringen wir ganz in Rothenburg. Wir stiefeln auf Schusters Rappen ueber einen Berg und erreichen die Stadtmauer, die samt Wehrgaengen, Wachtuermen und einer Wehrkirche die ganze Altstadt umfasst. Auf hunderten in die Mauer eingelassenen Steintafeln liest man, wer den Wiederaufbau der 1945 zu 40 % zerbombten Altstadt mitfinanziert hat. U.a. Kleinewefers aus Krefeld. Das Staedtchen ist vollgepackt mit Touristen aus Japan, Amerika, Italien, Spanien. Kutschen rumpeln ueber das Kopfsteinpflaster. Wir besteigen den Rathausturm. Oben ist es derart eng, dass Korpulentere nicht auf den obersten Rundgang kommen. Eine Aussicht par excellence auf den ganzen Ort und die weite Umgebung. Rote Ziegelschindeldaecher, sandsteingemauerte Haeuserwaende, Eichetueren und -stiegen. Ich besuche das Museum fuer mittelalterliche Rechtsprechung. Hier staune ich nicht nur ueber archaische Strafen, sondern auch ueber die einfache, verstaendliche Ordnung, mit der seinerzeit gerichtet und bestraft wurde. Schandmasken, die man oeffentlich tragen musste, wenn man betrogen hatte, Pranger, an denen die Leute gefesselt, wegen Streit- und Trunksucht u.ae. zur Schau gestellt wurden, Reiche, die oeffentlich die Wege kehren mussten. Und natuerlich Folterwerkzeuge wie Stachelsitze, Streckleitern, Eiserne Jungfrau etc. Wir suchen das oertliche Internetcafe auf, um Tagebuch zu schreiben und unsere Mails zu lesen - leider ist das Unternehmen bereits pleite gegangen. Man mag sich wundern, aber wir sind an diesem romantischen Ort der Weltkultur ins Kino gegangen- MIB 2. Abends gibts bei uns stets einen Schoppen Wein und ein Alsterwasser, dass hier Radler heisst. Und dann kriechen wir in unser transportables Haeuschen und schlafen erstaunlich gut. Am naechsten Morgen ist das Zelt vom naechtlichen Regen nass. Trotzdem brechen wir auf und wollen die 70 km nach Gunzenhausen schaffen. Zunaechst gilt es in der oertlichen Jugendherberge den Internetanschluss zu nutzen. Dort angelangt, stellen wir fest, dass die Baisse der New Economie auch diesen Anbieter ereilt hat. Also wieder nichts mit Nachrichten in und aus der Heimat. Die exzellente Streckenfuehrung macht dann aus 70 km eben mal 86 km, samt einer Steigung von 15 %, die wir nur schiebend erklimmen koennen. Aber ansonsten wuerde es auch euch umhauen, was wir zu sehen bekommen. Was fuer ein Tag! Welche Aussichten! Hat uns bisher die Tour die Fluesse aufwaerts gefuehrt, so geht es nun bachabwaerts. Die Altmuehl ist hier, kurz nach ihrem Ursprung hinter Rothenburg, gerade mal einen Meter breit. Wir radeln durch den Naturpark Frankenhoehe. Auf den Wegen Unmengen von Wegschnecken, mal ein erbsengrosser Waldfrosch oder eine gruene, mittelfingergrosse Raupe, eine daumengrosse Heuschrecke, ein Weibchen mit Legestachel, prallvoll mit Eiern. Am Himmel kurven schreiend Greifvoegel: Milane, Bussarde, Kornweihen und Graureiher. Wir erreichen, am Altmuehlsee entlang fahrend, den Campingplatz vor Gunzenhausen. Wir wuenschen, ihr waeret dabei gewesen.
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