5/25/2005 Suedafrika / Kapstadt
Worum dreht sich die Welt?
2. Tag in Capetown
(Harald) Die Sonne scheint. Ich nutze dies zu einer Stadtrundfahrt. Wenn mir auch mein Erlebnis in Johannesburg in lebendiger Erinnerung ist, will ich mich doch nicht hindern lassen, mich frei zu bewegen. Hier weisst aber niemand auf "No-Go-Gebiete" hin, wie in Joburg oder Durban. Es gibt widerspruechliche Aussagen zur Sicherheitslage in der Stadt und ich halte mich an die positiven. Man raet allgemein dazu, sich nicht wie ein Tourist zu bewegen, sondern stest mimisch und gestisch vorzugeben, man wuesste genau, wohin man wolle, wo man sei und das man es fast eilig habe. Das ist natuerlich unmoeglich, wenn man eine Kamera benutzt und sich orientieren muss und dem geschulten Raeuberauge entgeht die wahre Natur des Flaneurs natuerlich nicht. Kapstadt macht einem die Orientierung leicht: Vorn ist die Bucht, die See, da sind die Kraene des Frachthafens und die Bauten der Waterfront. Hinten die bis ueber 1000 m hohen Tafelberge, die sich aufgliedern in rechter Hand dem Signal Hill, einem Huegel von 350 m, der seinen Namen der Tatsache verdankt, dass von seiner Spitze um 12 Uhr ein Kanonenschuss abgefeuert wird, daneben gleich der Lions Head, 670 m, dann die steilen Haenge der Tafelberge und ganz links die davon etwas abgespaltene Devils Peak. Und die phallischen Bauten der Global Player von ABSA, Shell, First National etc. lassen einen stets die Innenstadt finden. Parallel zur Kueste verlaeuft die Bahn und daran entlang erreiche ich das Zentrum. Hier baut sich gerade eine Demonstration auf. Ein traditionell gekleideter Imam laesst gerade verlauten, dass er und seine Anhaengerschaft nichts mit den Leuten von Al Qaida zu tun habe und haben wolle, die seien Moerder. Hoert, hoert, denk ich noch. Und dann kommts dann doch wieder, die alte Leier: Man werde kaempfen gegen das Unrecht in Palaestina, nie werde man ruhen die Brueder zu unterstuetzen, mit seinem Blut und freudig sei man bereit das seiner Kinder hinzugeben, eine Ehre zu sterben, das Paradies winke, usw. Und vorne baut sich schon eine Gruppe kleiner Kinder auf, ganz in hellblaue Maertyrergewaender gekleidet, verhuellt von Kopf bis Fuss wie Ninjas, mit Stirnbaendern, Plakate hochhaltend, die sie selbst garnicht verstehen und die Frauen, die diesen Kindergarten anfuehren, sehen aus wie die tschetschenischen Frauen im Theater in Moskau und in Beslan. So wird das von den zahlreichen Fernsehteams gefilmt und so wird es aussehen fuer Nichtmuslime. Immer wieder die gleiche Botschaft von Gewalt, Blut- und Bodenreden, Aufbau von Fanatismus. Wo immer es um deren Rechtfertigung geht, muss Palaestina herhalten und die missratene Politik Israels. Und niemand traut sich recht zu sagen, warum ein Kompromiss dort nicht zustande kommt. Das Eisen ist zu heiss. Aber wenn Europa ueber die bis 2007 integrierten 30, 35 Millionen Muslime hinaus auch noch 70, 80 Mill. tuerkische integrieren will, wird man sich um eine noch deutlichere Haltung nicht druecken koennen. Erinnerungen kommen auf, als ich die Waterfront erreiche. Man hat den alten Fischerei- und Dockhafen in den 80er Jahren angefangen zu einem Vergnuegungsviertel umzugestalten und heute stehen dort ein riesiges Luxushotel, zwei riesige Malls, ein Maritim Museum, ein erstklassiges Aquarium und hunderte chicer Restaurants usw. Sehr gelungen das Ganze und bestens besucht von Touisten aller Herren Laender. Als ich nachts schon im Schein meiner Stirnlampe alleine im 6-Bett-Dorm liege, gesellt sich der Schauspieler zu mir. Und bis in die tiefe Nacht sprechen wir ueber Gott und die Welt und warum und worum sie sich dreht. "Felix qui potuit rerum cognoscere causas." Vergil (Gluecklich, wer die Ursachen begreifen kann) geschrieben am 2.6. in Seapoint / Kapstadt
|