5/27/2005 Suedafrika / Kapstadt
Im Aquarium / Teil 2
Frieden hinter Acryl
(Harald) "Denn jeder toetet was er liebt." mystischer Vers von Oskar Wildes Jeder Zoo, jedes Aquarium, jedes Sachbuch macht heute auf die Tatsache aufmerksam, dass die Natur geschuetzt werden muss- vor uns selbst. Und trotzdem sind bereits 50 % aller Urwaelder der Welt abgeholzt, trotzdem sind schon tausende Arten von Tieren und Pflanzen ausgerottet worden und in den naechsten Jahrzehnten wird das Artensterben mit immer groesserer Geschwindigkeit weitergehen. Das Two-Oceans-Aquarium macht hier darauf aufmerksam, dass Haie zu schuetzen sind- etwas fuer uns voellig Neues. Diese Menschenkiller schuetzen? Aber Fakt ist, dass Haie zwar sehr gefuerchtet sind, aber keine wirkliche Gefahr. 30-50 Angriffe gehen jaehrlich weltweit auf das Konto von Haien, wovon nur 25-30 toedlich enden. Autoverkehr toetet hier in S.A. jedes Jahr ueber 20.ooo Menschen. Hier in den Gewaessern vor der suedafrikanischen Ostkueste leben u.a. auch die Walhaie, die sich, wie die Blauwale, von Plankton ernaehren. Dieser groesste Fisch der Welt wiegt bis zu 10 Tonnen und erreicht ca. 16 Meter Laenge. Der kleinste Hai ist der Dwarf-Hundshai, der 16-25 cm klein ist. Der Vorfahre des Weissen Hais namens Carcharodon megalodon, der vor 60 Mill. Jahre lebte, war so gross, dass er einen Kleinwagen im Stueck haette verschlingen koennen. Sein Nachfahre wurde durch den Film "der Weisse Hai" weltberuehmt und das Wort "Shark" (Hai) loest heute groessere Furcht aus, als jedes andere Wort (wie z.B.Tod, Mord, Spinne, Schlange, Vergewaltigung) und eine staerkere emotionale Reaktion als Woerter wie Leidenschaft, Liebe oder Sex. Es zeigt, dass Angst unser staerkstes Gefuehl ist und wohl die tiefere Ursache fuer andere starke Gefuehle wie z.B. Wut oder Eifersucht. Haie sind uns unheimlich, weil sie im Wasser sind, unsichtbar in einem schier bodenlosen Element, dass nicht unser Zuhause ist. Haie sind lautlos, denn sie haben keine Schwimmblase wie andere Fische, die diese dazu benutzen koennen, Geraeusche zu machen (wie z.B. der Knurrhahn). Haie muessen deshalb auch immer Schwimmen, weil sie sonst einfach zu Boden sinken. Fast alle Haie koennen auch nicht Atmen, d.h. Wasser einziehen, sondern sie muessen Zeit ihres Lebens in Bewegung bleiben, um Wasser ins Maul stroemen zu lassen. Haie sind Einzeljaeger. Sie hoeren niederfrequente Geraeusche wie unser Wassertreten ueber 1500 bis 2000 Meter, sie riechen Blut in einer Verduennung von 1:1.000.000. Sie haben eine Haut, die nicht glatt ist und trotzdem einen geringeren Reibungswiderstand bietet, als eine glatte Oberflaeche- ein Phaenomen, das man an der Oberflaeche von Sand beobachten kann, ueber den der Wind streicht und statt eine spiegelglatte Oberflaeche zu erzeugen, bildet sich eine wellige Oberflaeche- wie auch unter Wasser uebrigens. Die Haut der Haie ist, streicht man von hinten nach vorne, messerscharf- sie hat eine Art winziger Schuppenzaehne. Haie sind Hungerkuenstler. Der Grosse Weisse kann z.B. etwa 1-3 Monate ohne Nahrung auskommen. Angriffe auf Menschen wurden ab einer Koerperlaenge von 140 cm registriert- was auch erklaert, weshalb die Schauergeschichten von Baracudas (die wie Hechte aussehen), die Menschen angreifen, auch unsinnig sind, da diese Raubfische nur max. 180 cm lang werden. Die Spezies "Haie" ist 250-400 Mill. Jahre alt, also aelter als die Dinosaurier! Sie sind eine der erfolgreichsten Entwicklungen der Natur und Suedafrika und Australien haben als erste Staaten den Weissen Hai jetzt unter Artenschutz gestellt. Ein weiteres lebendiges Wunder vor der Kueste Suedafrikas ist der Coelacanth. Diese Fischart ist etwa 350 Mill. Jahre alt, ein lebendes Fossil sozosagen. Urspruenglich fuer vor 70 Mill. Jahren ausgestorben gehalten, wurde das Tier 1938 wiederentdeckt. Der Fisch gilt als "Missing Link", als Verbindungsglied von Fischen und Landtieren, denn vier seiner Flossen sehen Beinen sehr aehnlich. Er wird bis 3 m lang und im November 2000 gelang es erstmals diese Tiere unter Wasser im Marine-Schutzgebiet vor St. Lucia in 100 m Tiefe zu filmen. Ich sitze lange vor dem zweiten Grossaquarium, indem Kap-Robben schwimmen. Bis 4 m lang, muessen die Tiere ausgewachsen stets wieder ausgesetzt werden, weil sie zu gross werden- wie auch die Haie. In dem haushohen Aquarium wiegen sich grosse Braunalgen im Takt der kuenstlich erzeugten Gezeiten zu einer unhoerbaren Melodie. Diese wunderschoenen Acrylkaesten sind wie lebendige Gemaelde, friedlich, lautlos schwebt das Leben darin und schenkt einem Ruhe. Mein Fisch-Favorit ist der Anemonen-Fisch, ein etwa daumengrosses Kerlchen, orange-hellnbraun-weiss- gestreifter Kobold, der eine Symbiose mit einem anderen Tier eingegangen ist: den Anemonen. In den giftigen Tentakeln der Anemone, die ihm als einzigem Fisch nichts anhaben koennen, hat er sein Zuhause. Jeder Anemonenfisch hat seine eigene Anemone, in die er sich immer wieder einbettet, hineindraengt, als streichle er sich selbst mit den weichen Armen seines Partners, als seien ihm diese Beruehrungen Lebenselexier. Ein kleiner Krake wird alleine in einem Kasten gezeigt. Kraken sind die intelligentesten Mollusken ihrer Art, ihre Verwandten sind Muscheln und Schnecken. Der Krake besitzt eine geradezu unfassbare Faehigkeit Farbe und sogar Oberflaeche seiner Haut an die Umgebung in Blitzesschnelle anzupassen. Das Tier kann Gegenstaende identifizieren und sogar Menschen wierderkennen. Und die Seepferdchen. Fische sind es, einige davon endemisch, d.h. nur hier vorkommend. Das Knysna-Seepferd lebt ausschliesslich vor der Stadt und in Swartvly. Wie entstanden, um unsere Augen zu erfreuen auch die fleischfarbenen Korallen, erdbeerfarbene Anemonen, manche strahlen in Koenigsblau, und dunklem Lila wie Rote Beete. Geschuetzt ist auch die Avalonen-Muschel, die sich an Oberflaechen anhaftet, um ihre offene Unterseite zu schuetzen. Trotzdem kann man sich im Restaurant nebenan fuer bis zu 100 Euro das Stueck eine servieren lassen, wie ich mit einem Blick auf die Speisekarte feststelle. "Von Anfang an hat jede Genration die Natur bekaempft. Jetzt, in der Spanne eines einzigen Lebens, muessen wir uns um 180 Grad drehen und die Beschuetzer der Natur werden." Jacques Yves Cousteau Ich radle im Dunkeln von der Waterfront "heimwaerts", sprich zur Deco-Lodge- schnell, stets Blicke in die dunklen Hauseingaenge werfend. Seit dem Ueberfall in Johannesburg ist nichts mehr, wie es vorher war. Meine Unbekuemmertheit, Zuversicht, mein Urvertrauen haben gelitten. Wahrscheinlich ist das gut so, aber es gefaellt mir nicht und mir ist klar geworden, dass ich die Frage, ob ich vielleicht in Suedafrika leben moechte, bereits innerlich mit "Nein" beantwortet habe. Neben dem immer noch ueberall wahrnehmbaren Rassismus ist es das Gefuehl der allgegenwaertigen Gefahr, sobald man sich in den Staedten, im Dunkeln eigentlich ueberall, bewegt. Das ich verstehe, dass die Gewalt, die Kriminalitaet, auch Ausdruck der so lang aufgestauten Wut ueber das Unrecht der Apartheid und die ganze Historie von Unterdrueckung und Hass sind, so sehr ist das nicht mein Land, meine Historie. Als Deutscher bade ich hier etwas aus, was nicht auf meinem Mist gewachsen ist. Ich sehe, dass es mir schwer faellt, bei so vielen Schwarzen, die kriminell mir gegenueber zu werden drohen, auf Dauer Gefahr laufe, zu verallgemeinern. Ich denke, dass ich mit dieser menschlichen Schwaeche fertig wuerde, aber sie wuerde mich anstrengen und mir Kraft rauben. Und hier Kinder aufziehen? Vergewaltigungen sind hier zehnmal haeufiger als in Deutschland, wahrscheinlich liegt der Prozentsatz sogar noch hoeher. Und jedem Opfer solcher Gewalt droht Aids, jeder 4. Suedafrikaner zw. 20 und 30 hat wahrscheinlich Aids. Ich haette stets Angst einer Partnerin dieses Risiko zuzumuten. Auch wenn ich dem Land gegenueber eine Liebe empfinde und den Menschen, denen ich begegne, so kann ich doch diese Gefahren nicht verdraengen. Als mir an einer stillen Strassenecke auf dem Heimweg eine Gruppe junger Maenner schraeg entgegen kommen, weiche ich aus, so weit es die Strassenbreite zulaesst. Und um von einer Hauptstrasse auf die parallel verlaufende andere zu fahren, suche ich mir die befahrenste Verbindung aus. Nein, nichts fuer mich. Dann lieber z.B. Kenia. geschrieben am 8.6. in Pretoria
|