5/29/2005 Suedafrika / Kapstadt
Boulders Beach
Strand mit buchstaeblicher Tuchfuehlung zu Pinguinen
(Harald) Auch morgens wieder Regen. Ich gebe die Idee auf, zum Cape Point zu radeln. Ich war 1998 dort und das Schoenste ist die Aussicht und die ist jetzt mit Wolken verhangen. Stattdessen nehme ich mir Zeit fuer eine weltweit wohl einmalige Sehenswuerdigkeit: Boulders Beach. Es sind weniger die winzigen Strandabschnitte von Simonstown, als deren Bewohner, die Touristen anlocken: Afrikanische Pinguine, zu deutsch: Haubentaucher. Allein die Tatsache, dass es Pinguine in Afrika gibt, ist schon eine Unglaublichkeit. Im heissesten aller Kontinente Bewohner des ewigen Eises- wer haette das gedacht. 1998 noch kostenlos jederman zugaenglich, sind die zwei, drei Straende, an denen die Pinguine leben, heute gebuehrenpflichtig. Direkt hinter der Hauptstrasse durch Simonstown, nur 50 m entfernt, wird die Kueste von halbhohen Bueschen verdeckt, durch die schmale Wege hinunter zu weissen Straenden fuehren. Diese sind mit riesigen Findlingen gespickt, vom geduldigen Meer durch die Jahrtausende rundgeschliffene, teils hausgrosse Bloecke, braun, narbig, watteweisse Gischt schwappt sanft dazwischen und- man fasst es nicht!- ein Pinguin schaut mich aus 2 Meter Entfernung ruhig an. Ich setze mich einfach zu ihm und er beaeugt mich neugierig und vorsichtig- nicht jeder menschliche Besucher weiss mit den Voegeln umzugehen. Bei Sonnenschein tummeln sich hier hunderte von Menschen, Familien. Man schwimmt, sonnt sich, spielt zwischen Pinguinen, die ueber die Badehandtuecher laufen und sich bei manchen Kindern schon mal mit einem angedeuteten Zwacken Respekt verschaffen. Mensch und Tier friedlich nebeneinander, freie Wesen, die Nachbarschaft zu Menschen foermlich gesucht haben. Wie ist dieses Wunder geschehen? Zunaechst: alle weltweit existierenden Pinguinarten kommen nur in der Ant-Arktis, d.h. in der suedlichen Hemisphaere vor, in der noerdlichen Arktis gibt es sie nicht. Und der Afrikanische Pinguin (englisch: Jackass Pinguin, also Esel-P., weil er Laute wie diese ausstoesst) ist die einzige Spezies, die auf dem Festland vorkommt. Pinguine sind Voegel, die sich an das Leben im Wasser angepasst haben, d.h. ihre Flugfaehigkeit verloren und die Fluegel zu Flossen rueckentwickelt haben. Schwimmende Voegel. Ihre Knochen sind nicht hohl, wie die anderer Voegel. Am Erstaunlichsten ist jedoch ihre Faehigkeit zu Tauchen. Der Afrikanische Pinguin (bis 4 kg) kann zw. 135 u. 160 m tief tauchen und bleibt dabei bis zu 2 Min. unter Wasser. Dort unten, in der voelligen Finsternis, jagt er kleine Tintenfische, Krebse und bis 15 cm grosse Fische. Der Kaiser Pinguin, der groesste, wiegt bis 40 kg (eine bereits ausgestorbene Art wog bis 60 kg) und schafft es bis ueber 535 m tief, wobei er 18 Minuten die Luft anhaelt. Ueber einen Kilometer tauchen in dieser Zeit, gegen den ungeheuren Druck! Die Spezies ist 60 Mill. Jahre alt- der Mensch ist erst vor ein paar hunderttausend Jahren entstanden. Trotzdem: Um 1910 gab es noch etwa 1,5 Mill. Afrik. Pinguine, 1997 noch etwa 100.000 und wenn das Ausrotten so weitergeht, wird es bis 2050 keine wildlebenden mehr geben. Die Pinguine lebten urspruenglich nur auf den dem Festland vorgelagerten Inseln und den einsamen Straenden der Westkueste, wo das planktonreiche Wasser ihrer Hauptbeute, den Sardinen, eine gute Lebensgrundlage bot. Durch industrielle Ueberfischung verschwanden die Fischschwaerme und die Pinguine wichen zum Festland aus, wo sie in den 70er Jahren andere Fischarten und Krebse fanden. 1984 nistete das erste Pinguinpaar am Strand von Simonstown, 1985 waren es zwei Paare, 1990 schon 50, 1997 waren es 700 und jetzt wird der Bestand auf fast 4000 Paare geschaetzt. Auf Robben-, Dyer und Geyser Island und bei Bettys Beach gibt es weitere Kolonien. In Simonstown wuchs sich die Kolonie zum Problem aus, weil die Besitzer der Villen und Ferienhaeuser die Pinguine nicht duldeten und sie z.T. toeteten. Die Paare nisteten unter den Bueschen, gruben dort ihre flachen Nistgruben oder kleinen Hoehlen und verkoteten die Beete und- das Schlimmste!- sie belaestigten die Haustiere, die neurotischen Dickkoeter. Ich stelle mir gerade vor, wie ein 2 kg-Vogel einen Dobermann belaestigt... Schliesslich wurden Zaeune gezogen und das Gebiet 1998 unter Schutz gestellt. Ein nichtkommerzielles, friedliches Nebeneinander ist mit dem Menschen einfach nicht moeglich. Im Juni 2000 dann die Katastrophe: vor der Kueste sank der riesige Oeltanker MV Treasure (ja, was fuer ein "Schatz") und zehntausende Pinguine wurden mit klebrigem, giftigen Oel verschmutzt. Die Tiere versuchten sich zu reinigen und schluckten dabei das Oel, welches auch ihre Warmeisolierung zerstoert. WWF (World Wildlife Fund) und der IFAW (Intern. Fund for Animal Wellfare) riefen ueber die Medien zu einer beispiellosen Hilfswelle auf und 12.000 folgten diesem Aufruf. Sie gingen mit Plastikschuesseln, Spuelmitteln, weichen Buersten und Lappen zu Werke und retteten durch die stundenlangen Waschungen etwa 19.000 Pinguine, 3550 Jungvoegel wurden von Hand aufgezogen. Dann wurden die Voegel nach Port Elisabeth gebracht, 800 km entfernt, von wo sie nach und nach wieder hierher emigrierten. Trotzdem starben rd. 6500 Pinguine. Im Wasser haben die Voegel viele Feinde: Robben, Haie, Orcas und auch an Land fressen Ginsterkatzen, Mangusten, Otter, Hauskatzen und -hunde (s.o.!) ihre Eier, Jungen und sie selbst und staendig sind die Kolonien von grossen Moewenarten umlagert, die sich ebenfalls als Raeuber betaetigen. Ich hocke staunend vor den hier bruetenden Tieren- sie lassen mich bis auf Armlaenge an sich heran, wenn ich mich langsam und ruhig naehere. Die grau-wollenen Jungen quaeken leise, hie und da sehe ich huehnereigrosse Eier. Obwohl das Szenario mit seinen huefthohen Zaeunen jetzt einem Zoo aehnelt, gibt es die Moeglichkeit sich unter die Tiere zu mischen. Ich koennte stundenlang hier sitzen, aber es beginnt erneut zu regnen und ich gebe die letzte Hoffnung auf, das Kap noch zu sehen zu bekommen. Mich beschleicht beim Anblick solcher Idyllen immer eine stille Traurigkeit, die unter meiner Freude liegt. Es ist, glaube ich, nicht nur die Schoenheit des Augenblicks, die anruehrt, sondern auch ein Bedauern, eine Erkenntnis. Sie lautet: das Paradies ist hier, vor unseren Augen, jetzt, im Hierseits, jederzeit greifbar, erlebbar, verwirklichbar. Wir lassen diese Chance achtlos vergehen, weil wir ihren Wert nicht schaetzen. Wieviel mehr ist dies Echte wert, gegenueber dem Kuenstlichen, Denaturierten. Wieviel mehr naehrt es unsere Seelen, mehrt unsere Erkenntnis ueber unsere Wurzeln und wahre Natur. In der friedlichen Begegnung mit den Tieren liegt Respekt und Zuneigung- auf beiden Seiten. Selbst den schreckenerregenden Raubtieren ist eine Freundschaft mit Menschen moeglich: Tigern, Loewen, Leoparden. Elefanten koennen unsere Freunde sein, Woelfe, alle Affen, Pferde und saemtliche Haustiere sind es schon, Papageien und viele Voegel... die Liste ist endlos. In Afrika begegnest du den Tieren noch hautnah in der natuerlichen Umgebung und tief in dir schlaegt eine Glocke, die dich ahnen laesst, dass die biblische Erzaehlung des Garten Eden vielleicht nichts anderes ist als eine Erinnerung an Mutter Afrika, der Garten, in dem wir gewachsen sind, wo uns die Fruechte ohne Muehe foermlich ins Maul fielen, ohne Arbeit einfach fuer uns da waren: Mango, Bananen, Papaya und der Apfel, der fuer die Erkenntnis stehen mag: ich bin eine Person, ich existiere und suche nach einem Sinn und kann darueber raetseln, was richtig und was falsch sein mag- der ewige Widerstreit der Intelligenz mit dem Instinkt und die wirkliche Verstossung aus dem Paradies des instinktiven Handelns. Und heutzutage gibt es fuer uns kaum noch Schrecken hier, wir sind beschuetzt, geimpft und versichert und sicher im Hotel. Jetzt ist es mehr Paradis als jemals zuvor- wenn wir es denn nur wollen. Schweren Herzens fliehe ich ins Hauptgebaeude und unterhalte mich mit dem Manager. Er zuckt laechelnd die Schultern, als er hoert, wie unverstaendlich mir die Hausbesitzer hier sind, die auch die letzten Pinguine noch aus ihren Gaerten verjagen mussten, anstatt deren Anwesenheit als einmaliges Geschenk und Bereicherung zu betrachten. "Wir werden die Tiere nur retten, wenn wir sie dem Kommerz unterwerfen. Ohne Geldeinnahmen kein Naturschutz- eine einfache Formel." Vielleicht ist es so, hat er recht. Was kein Geld einbringt, kommt weg. Dabei gibt es fuer uns einen viel tiefergehenden "Zweck" der Natur, den man nicht erklaeren kann, den man spueren muss, wenn man in der Natur und somit Teil ihrer ist. Letzter Blick auf die Felsen, braun von Kormoranleibern, die z.T. mit ausgebreiteten Fluegeln in jedem zu erhaschenden Sonnenstrahl ihre Federn zu trocknen versuchen und auf die possierlichen Damen und Herren im schwarz-weissen Livre, Afrikas "Eisvoegel". Im kleinen Bahnhof warte ich im gelb-grauen Abteil Dritter Klasse. Fuer 70 Cent/EU rd. 40 km zurueck nach Kapstadt, durch Muizenberg, diesmal rechts um den Tafelberg herum. Schnell ausladen, abfahren, wg. der Diebe und Raeuber, stets ein Blick ueber die Schulter zurueck: beobachtet dich wer, folgt dir jemand? Nass komme ich in der Deco Lodge an- eines meiner hunderten Zuhause in den letzten drei Jahren. geschrieben am 20.6. in Pretoria
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