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Reisetagebuch

6/2/2005   Suedafrika / Kapstadt-Sea Point

Lions Head

Nur ein kleiner Berg

(Harald) Ich habe das Quartier gewechselt und bin in einem Backpacker in Sea Point untergekommen, jenseits des Stadtkerns, nur 100 m von der Kueste entfernt. Wenn ich abends am Ufer entlang fahre, anhalte, spritzt mir feine Gischt ins Gesicht und im Mondlicht leuchten die Wellenkaemme wie weisse Maehnen einer schwarzen Herde- das Meer, wild-tosend im Sturm, rhythmisch rauschend wie ein unsterblicher Puls, in meinen Ohren faengt sich der Wind und kein anderer Laut dringt mehr zu mir durch, nur noch das Meer, der Wind und ich. Meine Ohren und Wangen werden kalt, Windtraenen laufen mir darueber, meine Jacke flattert wie eine Fahne. Ich stehe dann da auf meinem Rad, der schier unendlichen Weite zugewandt, Lichter und Verkehr hinter mir vergessend, irgendwo in Afrika und geniesse die Kraft, die mich der Wirklichkeit entreisst, diese Naturgewalten, die mich spueren lassen, dass es mehr gibt als meine Existenz, dass es ein Schicksal gibt, auch wenn ich nicht glaube, dass es vorbestimmt ist, aber doch einen, durch Gene und Praegung einer, wenn auch sehr breiten Strasse folgender Lebensweg. Der mich hierher gebracht hat. Der mich all die Muehen, Entbehrungen, Aengste hat auf mich nehmen lassen. Der mir auch die Kraft und den Mut gegeben hat, mit 44 Jahren meine Arbeit aufzugeben, meine Wohnstaette, meine Freunde und Verwandten fuer lange Zeit zu verlassen, all den Vertrautheiten zu entsagen: Lieblingsbuecher und -musik, Speisen und Kleiderauswahl, Umgebung/Heimat, Erinnerungen nur noch zu erinnern, nicht mehr durch Anschauen, Fotoalben, Briefe und Gespraeche aufzufrischen. Loszulassen all das fuer unbestimmte Zeit, ohne Angst, wirklich ohne jede Angst. Die Lebenszeit zu "verschwenden", ohne zu planen, wozu das gut sein wird und mich doch zu trauen, mich auf Hoffnungen einzulassen, deren Verlust so schmerzhaft sein kann und manchmal war. Und auch irgendwann ohne Krankenversicherung weiterzufahren, allein zu sein, wenn ich krank war, diese Momente auszuhalten, wenn mir elend war. Wenn ich sogar fuer kurze Zeit dachte, dass ich aus dem Tal nicht mehr herauskaeme. Ein Lebensweg, der mir auch die Kraft gab, mein Projekt weiterzufuehren, bestmoeglichst zu beenden, was ich fuer richtig hielt und angefangen hatte, trotz zahlreicher Widrigkeiten jeder Natur. Vielleicht waren es ueber 1000 Stunden allein in Netcafes- Reisetagebuch und Mails- oft funktionierte nichts einwandfrei, Geschriebenes verschwand im Nirwana des virtuellen Aethers, das Lesen und Beantworten einer einzigen Mail dauerte oft eine halbe Stunde oder mehr. Und es kamen im Laufe der Zeit tausende Mails, das Tagebuch hatte zunehmende Leserschaft, ueber 6000 im Monat sind es. Dazu das handgeschriebene Tagebuch und tausende Fotos, digital und Diafilm.

Ich hab mich nicht oft gefragt, ob es richtig war, aber an Scheidewegen und jetzt am Ziel. Drei Jahre sind es, laenger als gedacht. Ueber 20.000 km- wieviele, werde ich nie genau wissen, ist auch egal. 21 Staaten. Mich hat nie der Gigantismus interessiert, wieviele Platten ich hatte u.ae. Ich war nie auf Rekordjagd und nicht auf sportlicher Ebene interessiert am Radfahren, wenn ich mich doch ueber kleine Erfolge gefreut habe. Genau gesagt: Das Radfahren war vielleicht das Leichteste. Ich habe eher einen inneren Dschihad gekaempft, als gegen die Strasse und den Wind. Der Innere Schweinehund hat mir wenig zu schaffen gemacht, aber ich musste ihn im Auge behalten. Schwierig war stets das Gleichgewicht zu halten: Fahren und Aufhalten, "Arbeiten" und Geniessen, Konzentrieren und Entspannen, den Weg das innere Ziel sein lassen ohne das raeumliche Ziel und Begrenzungen aus den Augen zu verlieren. Denn sonst waere ich Dauerreisender geworden, wie mancher, dem ich unterwegs begegnet bin: Nie und nirgends mehr zu Hause, ein Fahrrad-Richard-Kimbel, Reisefluechtling, wo Ankommen ein Albtraum ist. Ich kann das nachfuehlen, in einer Ecke sitzt auch bei mir der Geist der Heiligen Unruhe. Das Projekt hat da stets einen Unterscheid gemacht, einem Roten Faden gleich, an dem sich alles entlang hangelte. Ich habe das Ziel nicht aus den Augen und mich nicht verloren. Vielleicht habe ich mich eher mehr gefunden. Das laesst sich erst mit Abstand und im Rueckblick sagen.

Heute morgen hat sich die Sonne endlich ein paar Breschen in die Wolken geschlagen- aber der Tafelberg huellt seine Krone weiterhin in duenne Wolken. Wenn ich den Berg besteigen wuerde, vertaete ich moeglicherweise diese schmale Chance auf eine Aussicht, weshalb ich bei der Seilbahngesellschaft anrufe. Riesige Gondeln bringen Eilige, Bequeme in 15 Minuten auf den Berg. Aber der Wind ist so heftig, dass der Verkehr eingestellt wurde. Ich fahre deshalb mit einem Sammeltaxi zum Lions Head. Der ist nur knapp 700 m hoch, aber bis jetzt noch wolkenfrei.

Ein schmaler Pfad windet sich spiralfoermig hinauf, ein paar Leute kommen mir entgegen. Schon bald kann ich ueber die Stadt blicken, wenn eine Fernsicht ueber die Table Bay wegen der Wolken nicht moeglich ist. Im Hafen liegen ein paar Tanker, gelbe Kraene heben Container, ein Stau vor der Waterfront, Sirenengeheule von der Long Street, der Vergnuegungsmeile der Stadt, ein Motorradfahrer moebelt am Pass zwischen Lions Head und Tafelbarg sein Selbstbewusstsein mit aufgebohrtem Auspuff auf, nur der tiefer liegende Signal Hill ist menschenleer und still. Dahinter das graue Meer.

Ich muss die Haende zur Hilfe nehmen, rutsche auf den nassen Steinen aus, denn meine glatten Sandalensohlen bieten keinen Halt. Ich habe seit langem nur noch 1 Paar Schuhwerk fuer alle Zwecke: Radfahren, Wandern, Bergsteigen, Duschen.

Endlich wird es stiller, Vogelgezwitscher um mich herum, Kiesel knirschen unter meinen Fuessen, Wasser tropft aus den braunen Felsen, Farne, Proteabuesche kurz vor dem Bluehen im hiesigen Winter, Lavendelduft im Wind. Auf der Rueckseite des Berges Aussicht auf die Kueste.

Stahlseile, eiserne Leitern, gemauerte Begrenzungen und Stufen, Matsch, Felsbloecke- dann bin ich oben. Das Gipfelplateau ist groesstenteils zwischen Bueschen gepflastert, zu Viele besuchen den Berg. Ringsum geht es steil abwaerts, teils senkrecht, ja ueberhaengend, 100 m und mehr. Hier pfeift der Wind in Sturmstaerke, die Wolken rasen foermlich ueber den Berg, erscheinen aus dem Nichts, wie die, die den ganzen Tafelberg verhuellen. Wolken- keine Aussicht. Ich warte eine ganze Stunde, bis ich aufgebe. Sitze auf den Felsen, warm eingepackt in zwei Pullover und Jacke und blicke durch die sich immer wieder in Sekunden neu bildenden Wolken und lasse Erinnerungen und Gedanken miteilen und -fliehen.

Es ist mein Abschied von dieser Stadt am Ende des Kontinents.

"Die hoechste Unanbhaengigkeit liegt darin, sich von unnoetigen Dingen zu befreien." Mahatma Ghandi

"Es kann kein Glueck geben, wenn die Dinge an die wir glauben sich von denen unterscheiden die wir tun."

"Menschen sind nur so gluecklich, wie sie sich vornehmen zu sein." Abraham Lincoln

geschrieben am 22.6. in Pretoria


 


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