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Reisetagebuch

6/3/2005   Suedafrika / Kapstadt

Plastik statt Jute

Letzter Tag in Kapstadt

(Harald) Rueckfahrt nach Kapstadt mit Frau Chubb. Vorbei an Muizenberg, der helle Strand, 3 Meter neben der Bahnlinie, das Wasser in der Farbe grobgeschliffenen Gruenglases, Wellen von 100, 200 m Laenge. So nah am Wasser kann man hier bauen, weil der Tidenhub nur max. 150 cm betraegt und das auch nur bei Springflut, wenn die Gravitationskraefte von Sonne und Mond sich addieren. Bei Sturmflut, wenn ein Orkan aus dem Indischen Ozean das Wasser in die False Bay presst, ist die Bahnlinie schon mal gesperrt.

Kormorane sitzen auf Felsen, ein Fischadler sitzt auf einem Pfahl in der Lagune von Lakeside, Plastiktueten schwimmen im Wasser. Verwendet in Afrika eigentlich noch jemand die guten alten Jute-, Maisstroh- oder Sisaltragetaschen?

Am Abend sitze ich mal vor dem Fernseher. Ein Kriegsfilm. Schwarze kaempfen fuer die nordamerikanische Politik gegen Vietnamesen. In den USA zu jener Zeit, vor allem in den Suedstaaten, immer noch als "Nigger" beschimpft und rassistisch behandelt. Ein afrikanisch-staemmiger US-Praesident haette diesen Krieg sicher nicht angezettelt. Und Indianer kaempfen im 2. Weltkrieg in Europa und im Pazifik. Bis 1890 in Wounded Knie endgueltig geschlagen und gedemuetigt, erhielten sie erst 1924 ueberhaupt die Buergerrechte und nur 17 Jahre spaeter ziehen sie fuer dieses "Vorrecht" in den Krieg. Navajos, die den einzigen, nie geknackten Nachrichten-Code jener Zeit uebermitteln- in ihrer Muttersprache.

Ich habe mich immer gefragt, ob, wenn Hitler-Deutschland den Krieg um, sagen wir- ein halbes Jahr- haette hinausziehen koennen, zwei Atombomben auf z.B. Hamburg und Essen gefallen waeren. Und was dies fuer die Weltgeschichte bedeutet haette. Es haette damals wahrscheinlich genuegt, die Japaner ueber diplomatische Kanaele zu einer Demonstration der Vernichtungskraft auf einer Insel o.ae. einzuladen und zu sagen: "Davon haben wir noch ein paar auf Lager." Stattdessen wird sofort, ohne exakte Warnung, gebombt. Nicht Militaeranlagen, nein, Zivilisten sind das Hauptziel. Und wo war und ist das Entruesten im Westen? (Uebrigens: Suedafrika ist Atommacht).

Die Japaner jedenfalls haben dieses unvergleichliche Menschheitsverbrechen der USA mit einer Freundschaft vergolten. Noch heute sterben Menschen an den Folgen der atomaren Verseuchung in Nagasaki und Hiroshima.

Und hier in Afrika? Schon im 1. Weltkrieg kaempften abertausende Afrikaner auf Seiten der Kolonialherren, die ihnen mit Verachtung begegneten. Und im 2. Weltkrieg genauso. Viele Buren waren im Untergrund gegen die eigene, alliierten-freundliche Regierung taetig, weil sie mit der Rassenpolitik Hitler-Deutschlands und der Achsenmaechte sympathisierten, waehrend ihre Landsleute in Europa und Uebersee kaempften.

Hier in Suedafrika kann man hautnah erleben, was geschieht, wenn man nie aufklaert, erinnert, diskutiert, anklagt, verzeiht und bewaeltigt, sondern allzuschnell einen "Schlussstrich" zieht. Der Rassismus ist allgegenwaertig hier und einer der Gruende, warum ich hier nicht leben koennte.

Und in Deutschland? Im Jahr 2003 waren ueber 60 % der Deutschen der Meinung, dass ein Schlussstrich unter die Diskussionen der Judenverfolgung gezogen werden muesse (Quelle: Stern 2005). Man verkennt, dass auch die ungehemmte Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit uns zu dem vielgeachteten Volk gemacht hat, dass wir heute sind. Das wir uns selbst erkennen koennen und in Frage stellen, ohne unseren Stolz zu verlieren, sondern eben gerade auf diese Staerke bauen koennen.

Laut der o.g. Statistik ist jeder fuenfte Deutsche latent antisemitisch und viele glauben, dass ein in Deutschland geborener und aufgewachsener Jude ein Jude und nicht Deutscher sei. Manche glauben, dass heute "viele" Juden in Deutschland leben- dabei sind es gerade mal 100.000.

Wir kaempfen alle, mehr oder weniger, mit Rassismus. Die Grenzen sind fliessend, vieles erscheint uns wahr. Wann ist die Verallgemeinerung einer Beschreibung rassistisch? Wenn sie 10% der betroffenen Gruppe meint? Was, wenn sie 60 % richtig beschreibt? Ich muss gestehen, dass ich in sechs Monaten noch in keinem Haushalt, Backpacker, Hotel, Laden, Restaurant war, in dem die Inhaber nicht ueber Diebstahl durch ihre schwarzen Angestellten berichteten. Wuerde ich selbst hier ein Geschaeft eroeffnen, ich wuerde schier verrueckt werden, wenn man mich in den eigenen vier Waenden dauernd bestaehle. Darf ich das schreiben, ohne als Rassist bezeichnet zu werden? In etwa 50 % der Backpacker sind keine schwarzen Gaeste willkommen. Die, die es mit dunkelhaeutigen Gaesten versucht haben, berichten ueber fast sofortige Diebstaehle. Offiziell ist die Ablehnung natuerlich ungesetzlich, da sie rassistisch ist. Aber ich selbst habe in den ausschliesslich von Weissen belegten Backpackern meine Schraenke nie verschlossen, oft einfach meine Habe auf dem Bett offen liegengelassen -wie andere auch- und nie ist mir etwas weggekommen. In den Backpackern, in denen viele schwarze Angestellte arbeiten, verschwinden regelmaessig Lebensmittel, die die Gaeste in den Kuehlschraenken lagern. Es ist wie eine Seuche, aergerlich, laestig und es entfremdet, hemmt den Umgang.

Im Fernsehen ausserdem der neueste Korruptionsskandal- intelligenter Diebstahl der Upper Class. Weil die USA-wie in Kenia letztes Jahr auch- weitere Entwicklungshilfe fuer S.A. davon abhaengig gemacht haben, dass endlich etwas gegen die grassierende Korruption unternommen wird, rollen jetzt ein paar Koepfe, u.a. der eines ranghohen Ministers. In Deutschland ist man nur noch schlauer. Da wird Korruption als "Provision" und "Beratungsgebuehr" und "Abfindung" bezeichnet, wie beim Fall Ackermann-Esser und Co., den Matthias Deutschmann als "Selbstbedienungsorgie" (30 Mill. Euro) bezeichnete und dessen Prozess am 22.7.2004 mit Freispruechen endete.

Politik ist in S.A. fuer viele Aufsteiger nichts anderes als ein Selbstbedienungsladen. Wer erwartet, dass Politik ehrlich sei, ist ein Traeumer und Naivling. Du kannst alles machen- aber lass dich nicht erwischen. Du kannst dich erwischen lassen- aber sag ja nie die Wahrheit. Du kannst die Wahrheit sagen- aber dann kauf dir die besten Anwaelte, die sorgen fuer Kautionsregelungen und du kannst verschwinden. In S.A. koennen selbst mutmassliche Moerder Kaution stellen.

Ich gehe zum "Seven-Eleven"- meint, der Laden ist von 7 bis 23 Uhr geoeffnet. Im Eingang komme ich mit einem Schotten aus meinem BP ins Gespraech. Auf der anderen Strassenseite eine brutale Auseinandersetzung, Knie ins Gesicht u.ae. Ich renne sofort los, werfe mich zwischen die beiden etwa 20jaehrigen. Kloetze, Schraenke beide, die stumm aufeinander einpruegeln. Ich rede und rede, wringe mit den Armen, stemme mein Bein dazwischen: "Redet, streitet, aber hoert auf zu schlagen", etc. Ich werde herumgeworfen mit den beiden, sehe den Schotten hilfesuchend an, der war bis jetzt interessierter Zuschauer und als ich ihn anblicke, dreht er sich um und geht weg. Na herzlichen Glueckwunsch! Heiligs Blechle! Ich rede und rede mit den Jungs, jetzt ringen sie nur noch, dann, endlich, schreit einer los, macht seinem Frust Luft und beschuldigt den anderen, der sich dagegen verwehrt, ich quatsche weiter von "Streiten" und "Nicht schlagen" und dann lassen sie los und fangen an sich anzubruellen und einer lenkt ein, der andere beteuert seine Unschuld und nach ein paar Minuten ziehen sie streitend von dannen.

geschrieben am 22.6. in Pretoria


 


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