6/12/2005 Suedafrika / Pretoria
Und was ist mit Peru?
Dies und Das in Pretoria
(Harald) Wir beide haben uns in ein kleines Holzhaeuschen im Garten des BP einquartiert. Es ist nachts so kalt, dass man trotz Heizdecken in Kleidern schlafen muss. Aber hier haben wir unsere Ruhe, abseits des Durchgangbetriebes im Haupthaus. Gleich in der ersten Nacht verschwanden aus dem Kuehlschrank Lebensmittel und nicht nur bei uns, so dass wir jetzt alles im Haeuschen in Platiktueten lagern. Der Besitzer kommt zu mir, als ich fiebrig im Bett liege: Ob ich nicht, wenn ich wieder auf den Beinen waere, dieses Haus mit Waermedaemmung belegen koenne? Er kommt weiter ins Haus und sagt fluesternd-verschwoererisch: meine Schwarzen koennen das nicht ordentlich, dass wird dann nichts. Als ich ihm sage, warum hier alles voller Plastiktueten steht, sagt er, dass sei eben das Problem, wenn man schwarze Gaeste aufnaehme und ihm selbst sei sein Muesli drueben im Haupthaus gestohlen worden und da waren es seine Angestellten. Uns hat man gleich versucht mehr Geld aus der Tasche zu ziehen, indem man falsche Kostenangaben machte, um sich den Ueberhang dann einzustecken. Da wird gelogen und geschauspielert das es eine Freude ist. Christina und ich verbringen die Abende in Restaurants oder im Kino, tagsueber arbeitet die 29jaehrige Juristin bei der Deutschen Botschaft. Ich habe in den ersten Tagen gedacht: endlich wieder sagen koennen "Siehst du, siehst du?" Etwas teilen, Anteil nehmen. Wir sind durch die Stadt geschlendert, zum Church Square. Im "Cafe Riche" bei portugiesischer Musik ein koestliches Chicken Curry und zur Happy Hour Weisswein zum halben Preis. Im Kino ein schoener Sinnspruch: "Was ist ein Mann wert, wenn er die Welt nicht besser macht?" Im Theater "Sing Africa Dance". Ich sitze da und bin ergriffen, geruehrt, kann mich kaum beherrschen. Bin ich so erleichert? Nehme ich Abschied? Aufgewuehlt verfolge ich die Vorstellung, bei der in naiver Weise den "Afrikanischen Fuehrern" empfohlen wird, Frieden zu schliessen, fuer ihre Voelker zu sorgen, nicht nur an sich selbst zu denken. Es geht um die Sklavenzeit, ein peitschenschwingender Brutalo, schwarz, entreisst einer Gebaehrenden das Baby, schwingt es ueber dem Kopf im Kreis und schmettert es auf den Boden. Es sitzen kleine Kinder im Auditorium. Es geht um Aids, um Hunger, Hoffnung. Musicalartige Gesaenge, sehr leidenschaftlich, immer wieder bunte Taenze, vor allem die Frauen im Publikum kreischen, feuern die Taenzer bei jeder Gelegenheit an, es wird laut gelacht dabei und geklatscht, Handys klingeln, es ist ein Rein und Raus, lautes Reden, Rascheln von Tueten...Thats Africa, man! Die Weissen werfen entruestete Blicke um sich, Kopfschuetteln. Mein Hintermann riecht nach Marihuana wie ein Lagerfeuer. In der Pause ein kostenloses Bueffet und Getraenke, alles wird restlos verputzt. Das Publikum ist zu 80, 90 % schwarz. Ich wende mich an ein vor uns sitzendes, altes Ehepaar, das Deutsch spricht. Ob sie uns nach Hause fahren koennten? Er ist der Ex-Botschafter in Indonesien, seine Frau eine resolute Grand Dame, die dem geldgierigen Fahrer den Gedanken austreibt, er koenne dafuer, dass zwei Leute mehr im Auto sitzen, mehr Geld verlangen. Auf der Strasse druecken sie dir Flyer in die Hand, Werbung fuer einen "Kraeuterdoktor". Auffallend das Aids-Symbol, die Schleife auf dem Prospekt, das Unglaubliches in Sachen Kurierung impliziert. Konkret verspricht man dagegen: "Wir sagen ihnen die Zukunft voraus. Wir heilen Krankheiten und loesen Probleme. Wir machen Penisse groesser und sorgen fuer eine dauerhafte Erektion. Wir schuetzen ihr Zuhause, ihr Auto, Geschaeft etc. vor Dieben. Mit unserer Hilfe kommt der/die Geliebte wieder zurueck zu ihnen. Wir sorgen fuer bessere Jobs, Befoerderung und hoeheres Gehalt. Wir beseitigen Unfruchtbarkeit. Wir sorgen fuer guenstigen Ausgang von Gerichtsverhandlungen, Wetten und geschaeftlichen Unternehmungen. Wir beseitigen Missverstaendnisse daheim und auf der Arbeit. Wir loesen Verhexungen", etc. Und man verspricht, dass die Gebuehren erst faellig werden, wenn das Problem geloest sei. Ist man auf der Toilette, kann es einem immer wieder passieren, dass jemand anklopft, ohne etwas zu sagen. Ich meine, was soll das? Wer haelt sich da schon laenger auf als noetig? Die strengen Grenzen von Privatsphaeren wie in Europa gibt es in Afrika nicht. Das Wort "privat" ist ebenfalls nicht in Afrika erfunden worden. Es nuetzt nichts, sich ueber den Klopfer aufzuregen, denn der versteht gar nicht, warum du veraergert bist, genauso wenig wie der, den du anraunzt, weil er ohne zu klopfen in dein Dorm kommt (das man nicht verschliessen kann) und dich mit heruntergelassenen Hosen antrifft. Das stets alles in einer geradezu komischen Lautstaerke stattfindet, ist voellig normal. Weisse Suedafrikaner macht das selbst nach Generationen hier noch verrueckt. Statt aufeinander zuzugehen, um sich zu unterhalten, wird alles umhergerufen: "Was hast du gesagt?" erklingt es um die Ecke. Der Kellner, Gaertner, Mechaniker schreit nochmal dasselbe. Wieder nicht verstanden. Erneutes Geschrei. Kruzifix! Warum gehst du nicht 10 m um die Ecke und sagst, was du zu sagen hast? Christina fragt den Afrikareisenden: Warum schreien die immer so und ueberall? Tja. Man kann das nicht erfragen, weil wenigstens manche Leute zwar wissen, dass sie selbst so sind- dass geben sie zu, sie warnen dich sogar davor: da kommen schwarze Gaeste, das wird laut heute Nacht etc.- aber niemand es einem erklaeren kann. Ich erinnere an unsere tuerkischstaemmigen Mitbuerger, die ja auch den Fernseher aufdrehen und Farbe und Kontrast im Uebermass einstellen, so dass es fuer unsere Augen unnatuerlich, unschoen ist. Man muss mal selbst so laut Reden, Schreien im Restaurant, Supermarkt und sich dann fragen: wie fuehlt sich das an? Was empfindest du selbst dabei? Man macht auf sich aufmerksam, hebt sich hervor, Laut-Staerke ist eben Staerke, Selbstbehauptung, zeugt von Selbstbewusstsein, Durchsetzungskraft. Hier bin ich gehoert, also bin ich. Man haelt hier sein Lachen nicht zurueck, sondern dehnt es so lange wie moeglich aus- nimm jeden Lacher mit, den du kriegen kannst. Waehrend in Europa oder den USA eine mit Luxus gefuellte Leere explodieren wuerde, wenn das Licht ausfaellt, wuerde man in Afrika lachen und sich Geschichten erzaehlen. Unverstaendnis auch ueber das fehlende Allgemeinwissen, auf das man immer wieder trifft. Es gibt ein Desinteresse an allem Nebensaechlichem. Wozu, scheint man sich zu fragen, soll ich mir das alles in den Kopf stecken? Was hab ich davon? Ich habe mich so oft schon gewundert, dass die Leute nicht mal die Strasse um die Ecke ihrer Wohnung kennen oder den Namen der naechsten Siedlung. Fragt man Wachleute, so kennen die nicht mal die Nachbarhaeuser, auch wenn sie seit Jahren vor dem selben Eingang sitzen. In Afrika gibt es keine Kultur des Akkumulierens. Jaeger und Nomaden- was sollen sie mit viel Besitz? Sie koennen es ohne Rad und Reittiere eh nicht mit sich herumschleppen. Wie in ganz Amerika und in Australien gab es vor Ankunft der Weissen keine Reittiere in Sub-Sahara-Afrika. Und sie hatten keine Lager aus Stein, feste Orte, in denen sie etwas aufbewahren konnten. Das ist ueber die Jahrtausende bis in die juengste Vergangenheit so gewesen und praegt die Lebenshaltung einer Gesellschaft. Bauern legen Vorraete an, sind sesshaft, haben Felder und Ernten, also feste Orte zu schuetzen. Stadtmenschen ersetzen Grundbesitz durch Materialbesitz. Fuer Stadtmenschen ist Allgemeinwissen Basis, Flexibilitaet um in sich schnell veraendernden Zeiten mithalten zu koennen. Wir haben eine Kultur des Sich-Alles-Erklaeren-Muessens. Wir nennen das Wissenschaft. Gibts in Afrika nicht. Des Menschen Hauptinstinkt ist Ueberleben. Und Altruismus stolpert stets der Wissenschaft hinterher. Und auch deshalb sind Despoten hier so schlecht loszuwerden: es sind oft Maenner, die in Europa ausgebildet wurden und dann hier auftrumpfen. Ich besorge mir ein neues Visum und soll dafuer ein Rueckflugticket vorlegen. Hab ich nicht, weil ich nicht eingeflogen, sondern mit dem Rad gekommen bin. Unsinn, sagt der Beamte hinter dem Schalter. Ich bleibe freundlich, doch, so ist es. Das sei nicht moeglich, wie ich denn ueber das Wasser gekommen sei? Ich bin drumherum gefahren. Und was ist mit Peru? trumpft der Beamte auf. Peru? Haeh? Das liegt in Suedamerika und nicht auf der Route. Nein, sagt der Beamte, das sei gelogen, man koenne nicht mit dem Rad nach Suedafrika kommen. Dann ruft er durch die Schalterhalle: "Da ist ein Weisser mit einem magischen Fahrrad, das fliegen kann, hahaha..!" Seine weisse Kollegin murmelt ihm zu, sie habe schon mal einen Mann hier gehabt, der mit dem Rad von Indien gekommen sei, also sei es ja moeglich. Ich bekomme mein Visum. "Wir sind alle ungeheuer arrogant und anmassend, wenn es darum geht, anderer Leute Gespenster zur Strecke zu bringen, aber genauso unwissend und barbarisch und aberglaeubig, was unsere eigenen betrifft." Robert Pirsig, "Zen und die Kunst ein Motorrad zu reparieren" In einem Interview: "Lieber Herr Lame Deer. Sie wollen uns doch nicht ernsthaft weismachen, dass sie mit Tieren und Pflanzen sprechen." "Ja, liebe Frau, in ihrer Bibel redet ein nacktes Weib mit einer Schlange, Ich unterhalte mich mit Adlern." Lame Deer/Tahca Ushte, Medizinmann der Sioux geschrieben am 23.6. in Pretoria
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