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Reisetagebuch

6/13/2005   Suedafrika / Pretoria

Out of Africa

Erlebtes

(Harald) "Doch einer liebte deine Pilgerseele und jenen Schmerz im alternden Gesicht." W.B.Yeats

Wozu braucht ein Mann eigentlich eine Frau? Natuerlich zur Fortpflanzung, so er denn Nachkommen zeugen will, sicher. Aber so ganz fuer sich allein, meine ich, wozu?

1. Ein warmer Koerper im Bett. Nicht in erster Linie sexuell, sondern im Sinne menschlichen Kontaktes. Wie ein Baby. Wenn es weint, will es kein Gespraech oder einen goldenen Ring. Es will gehalten, beruehrt werden. Wir brauchen Waerme in einer kalten Welt. Mann und Frau sind das fuereinander.

2. Unterhaltung. Es geht in erster Linie nicht um Informationsaustausch, sondern darum zu sagen: ich bin hier und ich weiss, dass du da bist. Auch nach langen Jahren Ehe gibt es Gespraechsinhalte, die Mann mit niemandem sonst fuehren kann. Z.B. zu erzaehlen, dass man etwas Gutes getan hat, ohne Kritik fuerchten zu muessen, man gaebe an. Oder Angst einzugestehen oder Schwaeche, ohne zu befuerchten, dafuer nicht geachtet zu sein.

3. Gebraucht zu werden. Die Frau erfuellt des Mannes Beduerfnis gebraucht zu werden. Wenn dich niemand braucht, wozu bist du dann da? Andere Menschen moegen dich ebenfalls brauchen, aber dort bist du fast immer ersetzbar. Fuer deine Frau bist du unersetzbar. Das gibt dir Selbstbewusstsein, um dich der Welt auszusetzen.

Jedenfalls ist es im Idealfall so oder so aehnlich.

Waehrend ich dies schreibe, summt eine Melodie in meinem Kopf: "Summerbreeze" von George Benson.

Trotz allem: Angst vor dem Alleinsein gibt es nicht mehr. Ich habe eh nie Angst vor der Stille gehabt oder der Monotonie, die sich durch Stille einzustellen pflegt. Auf sich selbst zurueckgeworfen, mit sich allein, kann man dem Spiegel nicht mehr ausweichen. Das ist manchmal schmerzhaft und will ausgehalten sein. Aber die reinigende Konfrontation ist ein wenig wie eine Geburt: der enge Geburtskanal- aber dann, welche Erleichterung!

Nach Bahir Dahr gab es ein intuitives Gefuehl des Verlustes. Manchmal schwer ertraeglicher Schmerz, Qual, erwartete Einsamkeit. Ein Wissen, dass die Reise nicht mehr so ein wuerde wie zuvor. Das Ziel meiner Wuensche nach Naehe, Freundschaft, Anerkennung weggerissen. Erinnerungen, die begraben werden muessen, statt sie zu pflegen. Bilder die schmerzen, statt zu erfreuen.

Warum jetzt? Weil Liebe auch alles hochbringt was nicht Liebe ist. Und: "Das Tragische bringt oft das Laecherliche hervor, weil das Laecherliche, wie ich glaube, eine Haltung des Trotzes ist: entweder muessen wir unserer eigenen Hilflosigkeit gegenueber wie Naturkraeften ins Gesicht lachen- oder verrueckt werden." Charles Chaplin, "Die Geschichte meines Lebens, 1964

Es geht mir gut. Ich lache jetzt sehr viel. Aber es musste diesen Moment geben: "Nie wieder. Irgendwo, wo ich Rast auf meiner Reise mache, werde ich Blumen fuer dich ins Gras legen. Nie mehr wieder."

Nach der Klaerung fuehlte ich mich wie ein aufnahmebereites Gefaess. Noch intensiver wurden Eindruecke, das Verstehen leichter.

Ich hab viel gelernt. Das sagt sich leicht, aber es ist wirklich so. Vor der Tour hatte ich noch nie einen platten Reifen repariert! Und noch nie alleine in einem Zelt neben der Strasse geschlafen. Wenn man mir vorher gesagt haette, dass ich mit einer Horde jaulender Hyaenen ums Zelt herum problemlos schlafen wuerde - ich haette es nicht geglaubt. Das ich einen Geparden in meinen Arm beissen lassen wuerde. Das ich warmes Rinderblut trinken und Tiere schlachten wuerde. Ich hab gelernt, mir die Hosen auf dem Abort so runter zu ziehen, dass sie nicht schmutzig werden. Das man braunes, lehmig riechendes und schmeckendes Flusswasser wochenlang trinken kann, ohne krank zu werden. Ich hab verstanden, was der Unterschied zwischen Erde und Dreck ist. Ich weiss jetzt, was es ist, wenn ich einen Indianer schreiben sehe: "Fuer die Maenner dichteten unsere Maedchen oft zum Abschied spezielle Lieder fuer ihre Liebhaber. Egal wie mutig und hart du bist, wenn du als Mann so ein Lied hoerst, wirst du laut heulen." Denn ich hab die Maedchen singen gehoert und die Maenner neben mir gefuehlt, wie sie anfingen zu zittern und in katatonische Starre fielen oder wegrannten in den Busch dabei, weil sie die Spannung nicht aushielten.

Ich bin zum ersten Mal im Leben auf 3500 m geklettert. Ich hab den Koran gelesen. Ich hab erstmals im Leben einen Menschen sterben sehen. Und Krueppel, arme Schweine alle, so was gibts bei uns gar nicht. Ich hab verstanden, woher viele Neurosen ruehren, weil ich gesehen habe, wie Kinder anders aufgezogen werden. Ich hab das Uebliche mehr zu schaetzen gelernt, z.B. als mir klar wurde, dass die am haeufigsten vorkommende Antilopenart, das Impala, fuer mich die Schoenste ist.

Und welche Kostbarkeit Wasser ist. Wie dankbar man fuer Nahrung irgendeiner Art sein kann und seien es wochenlang Saubohnen und trockenes Brot. Ich hab die Angst vor 53 Grad Hitze verloren. Ich hab die Langsamkeit entdeckt. Und das das Beste selten das Neueste ist, sondern das Bestaendige, Bewaehrte.

Ich hab den Wert von Hoeflichkeit neu definiert, weil es oft nicht anderes gibt, um seine guten Absichten zu symbolisieren wenn du voellig Fremden begegnest. Ich hab gelernt "Nein" zu sagen, bestimmt, aber nicht unfreundlich. Schneller zu verzeihen, weil das meiste ja doch nur menschliche Schwaeche ist.

Die Liste ist lang. In mir ist so oft Dankbarkeit hochgekommen fuer Dinge, die mir mein Leben lang zu Hause selbstverstaendlich waren: ein guter Arzt z.B., Sicherheit, Gerechtigkeit, gute Nahrung, trinkbares Wasser, Gastfreundschaft- ja, was fuer Gastfreundschaft!

Ich hab zum ersten Mal nach ueber 20 Jahren wieder einen Apfel essen koennen. Ich habe meinen Koerper neu erlebt, der Dinge vollbringen konnte, die ich nicht fuer moeglich gehalten hatte vorher.

Afrika ist in mir. Das fahle Gruen des sonnenbeschienen Buschlandes, die rote Erde, das Schreien der Minibusbegleiter, die Zikaden in der Nacht, das Rufen der Ibisse, das Klatschen der Badelatschen, am Abend Sonnen, blutrot, wie ich nie welche zuvor gesehen hatte, das Schlurfen der Schritte, das laute Reden und Rufen, die Falsettstimmen der lachenden Maenner, das Zungentrillern der Frauenbegeisterung, Eselwiehern, Froesche, die in der Nacht wie Grillen klingen, nie gehoerte Vogelstimmenvielfalt. Ich bin noch hier und doch ists manchmal noch unwirklich wie am Anfang: Ich bin in Afrika!

"Es war, als haette ich in dieser entlegenen Gegend der Welt den unheilvollen Hinweis erhalten, dass es gewisse Einfluesse gibt, die ausserhalb der greifbaren, irdischen Ablaeufe des Lebens liegen." Llewelyn Powys, "Black Laughter"

Ich moechte ein ehrlicher, wohlmeinender Botschafter dieses Kontinents sein. In den Nachrichten hoeren wir stets nur von einem Afrika: dem der "Les Miserables". Hier ein neuer Buergerkrieg, Fluechtlinge, dort eine Seuche, anderenorts eine Hungersnot.

Aber Afrika ist Traumziel. Ziel derjenigen, die noch traeumen koennen. Man braucht ein wenig Mut, um dahin zu reisen, wo Krankheiten, Unfaelle, Entbehrungen auf einen warten. Wo es Diebstaehle, Raub und Mord an Touristen gibt, unberechenbare staatliche Willkuer, Unwetter, Hitze und schlechte Nahrung.

Afrika muss man aushalten. Annehmen. Ueberleben. Hier wollte ich mich erneuern, ich wollte, prosaisch gesagt, wiedergeboren werden in Mutter Afrika. Afrika lehrt eine einfache, non-komplexe Wahrheit, die ich versucht habe zu erkennen.

Ich bin gekommen mich zu erneuern und zu verausgaben, um dann aufnahmebereit zu sein.

Jetzt liegt Zimbabwe vor mir, letztes Radreiseland. Gefuerchteter Staat der Parias. Ich habe Mails bekommen, die mich warnen dorthin zu fahren und auch in S.A. raet mir jeder ab, dort zu zelten und alleine zu reisen, weil dort Weisse getoetet wurden und werden.

Aber ich sag Euch was: ich glaub nicht, dass mir etwas geschehen wird.

geschrieben am 23.6. in Pretoria


 


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