6/17/2005 Suedafrika / Pretoria
Zweimal um die Welt
...und vom Ankommen
(Harald) Der Professor und Autor Robert M. Persig: "Mir faellt wieder das Wort ein, dass Reisen besser ist als Ankommen...Fuer mich beginnt immer eine Periode der Niedergeschlagenheit, wenn ich so ein vorlaeufiges Ziel erreiche und mich auf ein neues einstellen muss." Andern gehts ja genauso, irgendwie troestlich. Nach ein paar Tagen Krankheit, nach verkrampften Schultern, zwischen die ich meinen Kopf "eingezogen" hatte und die schwer beladen erschienen, nach Traurigkeit und Irritation, stellt sich neue Kraft und Klarheit ein. Eins nach dem Anderen- jawasch, jawasch, pole, pole- immer langsam mit die jungen Pferde. Fuer Zimbabwe brauche ich Mut, vor allem nach Joburg, nach Maputo und trotz all der schlechten Nachrichten und fuersorglichen Ratschlaege aus der Heimat. Wenn ich Mut sage, meine ich nicht nur die Bedeutung "Entschlossenheit, Tapferkeit", sondern vor allem die tiefere Bedeutung dieses Wortes, die sich mit "Kraft des Denkens, Empfindens, Wollens" umschreiben laesst. So verstanden kennzeichnet es genau das, was geschieht, wenn jemand Fuehlung mit Qualitaet bekommt. Er wird von Mut erfuellt. Die Griechen hatten dafuer das "Enthousiasmos", von dem sich unser "Enthusiasmus" herleitet und dessen genaue Bedeutung "erfuellt von thesos"= Gott oder einfacher: Qualitaet lautet. Konkret meine ich, dass ich nicht aufmerksam genug fuer Zimbabwe waere, aufgeschlossen, wohlwollend, es nicht geniessen koennte, wenn ich nicht neuen Mut geschoepft haette. Neuen Mut schoepft man, wenn man lange still ist, um das wahre Universum zu sehen und zu hoeren und zu fuehlen. Man kann im Endlosen, im Universum, im Zeitlosen etwas sehen, was sich zuweilen einstellt, wenn Monotonie und Langeweile bejaht werden. Es ist da, aber ich kann es nicht beschreiben. Die muehselige Erreichung eines fernen Ziels, tage- wochen- oder jahrelange Anstrengungen, machen aus ihm ein Gelobtes Land und die Realitaet deckt sich dann nicht zwangslaeufig mit dieser Vorstellung. Ich hab eigentlich gedacht, ich haette nicht zu viel erwartet. Fiel dann aber doch, scheinbar unvermeidlich, in dieses Loch. Das es bekannt war, machte es nicht weniger tief. Vorhersehbarkeit ist nicht kongruent mit Vermeidbarkeit. Naja- jetzt scheint in Pretoria jedenfalls jeden Tag die Sonne und das regnerische Kapstadt liegt hinter mir. Tagsueber ist es 28 Grad warm, nachts 8 Grad kalt, die Sonne geht um 7.15 auf und dieser Tage schon um 17.20 unter und ihr Bogen ist flach. Und der Mond baut seine Phasen senkrecht ab, statt waagerecht und die Milchstrasse und Urs Minor und Major sind hier besser zu erkennen, als in Deutschland, genauso wie das Kreuz des Suedens und der Hellste Stern, der Sirius. Ich sehe hier weiter und bin weniger eingebunden, freier. Meine kleine Metamorphose vollzieht sich deshalb schneller. Ich scheine mir einiger Dinge sicher, aber andererseits: es gibt ueberhaupt nicht viel, dessen ich mir sicher bin. Vielleicht rede ich deshalb so viel. Christina klingeln manchmal die Ohren, glaube ich. Und ich bin ausgelassen, so albern wie seit Jahren nicht mehr. Wir lachen viel und bis die Traenen kommen. Ich mache meinem Herzen Luft und der Enge in der Brust. Ein Freund hat mir frueher immer gesagt: Wenn du den Druck spuerst, nimm einen tiefen Atemzug! Der kostet nichts und macht frei und tut gut. Und Mark Twain hat gesagt: "Der beste Weg sich selbst aufzumuntern, ist es zu versuchen jemand anderen aufzumuntern." Daran halte ich mich. Mein handgeschriebenes Tagebuch fuellt sich mit Gedankenfetzen ueber alles moegliche. Da sind Sinnsprueche, da geht es um "Ordnung" und Herleitungen, um geschichtliche Betrachtungen. Und Christina hat mich ermuntert, mir einen Skizzenblock und Buntstifte zu kaufen und wieder anzufangen zu zeichnen. Christina hat ein Auto gemietet und wir nutzen es weidlich. Z.B. um zum Tswaing-Krater zu fahren. Das Gelaende liegt eine Autostunde vor den Toren Pretorias und ist ein Landschaftschutzgebiet, denn der nur etwa 200 m breite Krater ruehrt vom Einschlag eines 50-Meter-Meteoriten vor etwa 220.000 Jahren her und ist somit einer der juengsten der Erdgeschichte und schuetzenswert. Hier gewannen Sotho- und Tswana-Staemme von etwa 1200 n.Chr. bis 1830 Salz und steinzeitliche Funde belegen, dass hier schon vor 150.000 bis 30.000 Jahren Jaeger hier Salz holten, die Tiere jagten, die hier am Kratersee tranken und die nur hier vorkommenden Pflanzen pflueckten. Die Fahrt hierher war umstaendlich, fast haben wir aufgegeben, weil es nicht nur keine Ausschilderung gab, sondern selbst die Leute, die nur wenige km um den Krater herum leben, nicht wissen, wovon wir sprechen und uns von Pontius nach Pilatus schicken. Schliesslich frage ich eine Polizeistreife und mit dem Satz, wir sollten ihnen dann aber auch ein kaltes Getraenk spendieren, eskortieren die zwei Maenner uns zum Tor, wo ich ihnen eine Fanta in die Hand druecke. Man soll sich darueber nicht wundern- das kommt haeufiger vor und zeigt, wie fliessend in S.A. die Grenzen zwischen Gefaelligkeiten und Korruption sind. Christina und ich stellen den Wagen nahe des Kraterrandes ab, nachdem wir auch innerhalb des Gelaendes wieder durch den Busch geirrt sind, weil die Ausschlderung mangelhaft oder schlichtweg falsch ist, wobei wir aber- man weiss ja nie, wozu es gut ist- auf Zebras stossen und Hornvoegel und Lories sehen. Ein paar Touristen sind mit Rucksaecken unterwegs. Wir sitzen auf rot-braunen Granitbloecken- die Sorte, mit der die Grossen Pyramiden abgedeckt waren. Und schauen ueber den etwa 1 km breiten Kratergrund und den kleinen See, an dessen schwindendem Wassergrund von 1912 bis 1956 Salz gewonnen wurde. Jahrzehntausende lang gab es Salz genug und dann kommt die Effektivitaet des Industriezeitalters und in 44 Jahren Jahren ist alles ein fuer alle Mal abgebaut. Die jetzt schon monatelang andauernde Trockenheit hat das Buschland in eine Farbmelange von Braun-, Beige-, Rot- und Sandtoenen verwandelt, ueber den die tiefstehende Sonne zusaetzlich ein herbstliches Gelb legt. Ein kleiner, schwarzer Hund gesellt sich zu mir und folgt uns seltsamerweise auf unserem Spaziergang durch die Akazien auf dem Kraterrand, weicht uns nicht mehr von der Seite. Ich erzaehle Christina von meiner Katze und von Kari, beide schwarzhaarig wie der hier auch wieder. Das Kerlchen laesst nicht locker, wartet auf uns, wenn wir halten und als wir ins Auto steigen als die Sonne untergeht, springt er mir auf den Schoss. Ich setze ihn hinaus, worauf er um das Auto herum laeuft, als ob er uns am Abfahren hindern wolle. Vielleicht will er nur zurueck zum Besucherzentrum, denke ich und wir nehmen ihn mit, er sitzt auf meinen Beinen und schaut mir scheinbar fragend ins Gesicht. Aber er will nicht raus, springt immer wieder ins Auto zurueck. Ich schliesse die Tuere und er springt durchs Fenster hinein. Ein Japaner und ein S.A., beide semiprofessionelle Sternengucker, nehmen das Kerlchen auf den Arm, sie kennen es gut und halten es fest, wir schliessen die Fenster und fahren ab. Aber der Hund rennt hinter uns her, man fasst es nicht. Klein wie eine Katze, und rast hinter dem Auto her, gibt nicht auf. Was ist los mit dir, Kleiner? Warum, zum Teufel, machst du das? Hier hast du doch das Paradies eines jeden Hundes, Unterkunft und genug zu Fressen, jeden Tag hunderte Besucher die dich verwoehnen und diese Natur- warum willst du mit mir kommen? Ich halte an und verabschiede lange das Tierchen, waehrend uns Paviane schreiend umspringen und Antilopen vor uns queren. Dann weiter, zu schnell auf der holprigen Piste, um den Hund abzuhaengen. Ich schaue zu Christina auf dem Beifahrersitz: "Wenn Karis Seele in die dieses Springinsfeldes geschluepft ist, um endlich richtig von mir Abschied nehmen zu koennen..." Und dann denke ich: Aber was, wenn Karis Seele gekommen ist, damit ICH endlich richtig Abschied nehmen konnte? Wir gehen auch an zwei Tagen ins Transvaal Museum in der City. In einer grossen Mineraliensammlung kann man lernen, dass der groesste Goldbrocken (sog. Nugget), der je gefunden wurde (1869 in Victoria/Australien), 45 kg wog- ein Stueck von 1 m Laenge und 30 cm Breite. In einer anderen Abteilung werden tausende von ausgestopften Tieren gezeigt. Ich kann dem Reisefuehrerautor nicht folgen, der sagt, das sei nicht anschauenswert, weil es ja Reservate gaebe, wo man die Tiere lebend saehe. Aber nie so nah und in Ruhe! Alles was da nachts kreucht und fleucht bekommt man fast nie zu Gesicht, ebenso die Seltenen und die ganz Scheuen. Z.B. einen der groessten Flugvoegel, den Wanderalbatros, mit einer Flugelspannweite von bis zu unglaublichen 350 cm. Er ist der Koenig der Wandervoegel. Neueste Studien beweisen, dass dieser groesste Seevogel in nur 46 Tagen 22.000 km fliegt, bis zu 950 km an einem einzigen Tag, und das es solche gibt, die die Erde binnen eines einzigen Jahres zweimal komplett umrunden! Ausgerottete Voegel bezeugen in Schaukaesten unsere fatale Neigung zur Schaffung von Endlichkeit: den madagaskischen Elefantenvogel hats erwischt, ein Koloss von ueber 450 kg, dessen Eier soviel wogen, wie 6 Strausseneier. Und die Moas von Neuseeland, alle 22 Spezies dieser voellig fluegellosen Voegel haben die Maoris bis 1350 n.Chr. ausgerottet. Und die ebenfalls flugunfaehigen Dodos der Inseln Mauritius, La Reunion und Rodrigues hats im 16. Jh. erwischt. Eine anthropologische Ausstellung zeigt einige "missing links" der Menschwerdung. Vor 10.000 Jahren noch lebten gerade mal 5-10 Millionen Homo Sapiens weltweit (etwa 20.000 Jahre nach dem der letzte Neandertaler ausgestorben war) und auf einen Menschen zu stossen, war etwas Besonderes. Heute leben mehr Menschen auf der Welt, als je waehrend der gesamten Menschheitsgeschichte zusammen gelebt haben- fast 6,5 Milliarden und es werden wohl zu meinen Lebzeiten noch 10 oder 12 Milliarden werden. "Ihr Kinderlein kommet" predigen die Paepste ungestraft. Sie sollten mal in Lagos oder in Kalkutta leben, dann wuessten sie wenigstens, wovon sie reden. Und die Friedhoefe und Krankenhaeuser hier in Afrika besuchen, damit in ihnen ein Gefuehl dafuer entsteht, was es wirklich bedeutet Kondome zu verbieten. Diese unbehinderten, viel zu wenig kritisierten Aufrufe der Alleinherrscher von Vatikanstadt verursachen in Afrika eine Irritation unter den vielen Christen, die fatale, irreparable Folgen hat. Bei jungen Schwangeren in Swasiland z.B., liegt der Prozentsatz der Aidsinfizierten nach internen Aussagen der dortigen Krankenhaeuser bei rd. 43 %, in der Altersgruppe 25-29 sogar bei 56 %. Auf den Friedhoefen ist kein Platz mehr. Wer stellt sich eigentlich einem Ratzinger deutlich entgegen? geschrieben am 26.6. in Pretoria
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