6/18/2005 Suedafrika / Pretoria
Apartheid-Museum
Besuch in Albtraumstadt
(Harald) Wir sind gestern in den Stadtteil mit dem schoenen Namen "Sunnyside" (Sonnenseite) umgezogen, wo das Zimmer nur ca. 6 Euro kostet und wir mit einem zweiten Paerchen die einzigen Gaeste sind. Unsere Vermieter, Ian und Trix, betreiben im Einfamilienhaus eine Autovermietung und haben eine Menge Aerger damit, denn fast jede Woche wird einer ihrer ca. 15 Fahrzeuge aufgebrochen oder gestohlen und dies trotz mannigfaltiger Sicherungssysteme. In den Wagen sind versteckte Sender eingebaut und eine Firma ruft Ian sofort an, wenn das Satelitenpeilsystem anzeigt, dass einer seiner Wagen in eines der Townships wie Mamelodi oder Soweto hineinfaehrt, denn das ist stets ein Anzeichen fuer einen Diebstahl. Dann ruft Ian den Mieter des Wagens an und der sagt ihm z.B., dass er momentan nicht im Wagen saesse und Ian darf demjenigen dann mitteilen, dass dessen Mietwagen laengst nicht mehr vor der Tuere stehe, sondern gestohlen wurde. Ich frage Ian, wie denn die Diebe die verschiedenen Sicherungssysteme austricksen koennten. Fenster werden oft einfach eingeschlagen, Alarmanlagen beachtet eh keiner mehr, die jaulen hier staendig und sind schnell abgestellt. Gangsperren lassen die Diebe einfach unangetastet und fahren bei ueberhoehter Drehzahl im 1. oder 2. Gang. Zuendkabel werden kurzgeschlossen- was eine kurze Unterbrechung der Peilsendung ausloest und zur sofortigen Meldung der Firma an Ian fuehrt. Lenkradschloesser werden gebrochen. Die Peilsysteme selbst finden die Gangster mit alten Kofferradios, wenn sie dies an der Karosserie vorbeifuehren, denn das System stoert den Empfang der Radios und Experten legen die Sender binnen Minuten lahm. Einfacher gestrickte Banden lassen den Wagen nach dem Diebstahl irgendwo stehen. Wenn der Wagen dann nach einem Tag nicht vom eigentlichen Besitzer abgeholt wurde, ist kein Suchsystem eingebaut und man kann gefahrlos ans Werk gehen. Die Polizei kuemmert sich nicht um die Banden. Ian sagt, die Polizei organisiere Kriminalitaet, statt sie zu bekaempfen. Den Dieben koennte man an den abgestellten Fahrzeugen eine Falle stellen, aber das geschieht nicht. Ian gibt den Deutschen und Schweizern die billgsten Tarife, weil er mit ihnen am wenigsten Aerger hat. "Schwarze" Kunden gehoeren manchmal selbst zu den Banden und tauchen mit gefaelschten Papieren und Kreditkarten auf. Oder sie arbeiten mit den Banden gegen Beteiligung zusammen und vereinfachen den Diebstahl dadurch, dass sie Schluessel kopieren lassen oder Gangsperren nicht einlegen. Und manche Kunden legen erstmal den Kilometerzaehler lahm, um weniger bezahlen zu muessen. Auf eine solche Idee kommen europaeische Touristen ja nicht. Wir fahren heute nach Johannesburg, in den Moloch, in die Albtraumstadt. Auf dem Parkplatz gibt es Tickets, damit keiner den Wagen einfach stehlen kann- er braucht das Ticket um vom Gelaende fahren zu koennen. Der Wagen muss komplett leergeraeumt werden, nicht mal billige Sonnenbrillen soll man im Wagen liegen lassen, weil selbst dafuer Einbrueche stattfinden. Die Klappe des Handschuhfachs offen, leer das Innere. Keine Kleidung, keine Tueten, nichts im Wagen lassen. Deck des CD-Players mitnehmen, Gangsperre rein. Einen Standplatz suchen, den die Sicherheitskraefte gut sehen koennen. Parkplatzwaechter werden hier gut bezahlt, sonst ist die Versuchung zu gross. Die Jungs leben davon, Fahrer einzuweisen, Scheiben zu putzen und Diebstaehle zu verhindern. Sicherheit ist in S.A. ein Riesengeschaeft, private Security-Firmen schiessen wie Pilze aus dem Boden. Stacheldraht, Elektrozaeune, Mauern, schwer bewaffnete Wachleute, grosse Kampfhunde- alles was geht, um Sicherheit zu gewaehrleisten. Wir gehen ins Apartheidmuseum. Erst 2002 eingeweiht, macht es von aussen einen hochmodernen, kuehlen Eindruck: viel grauer Beton, dickes Glas, roher Stahl. Christina fuehlt sich an Holocaustmuseen erinnert. Sieben Betonstehlen symbolisieren die Saeulen, auf denen der S.A. Staat aufbauen moechte: Demokratie, Gleichheit, Verantwortlichkeit, Respekt, Freiheit, Vielfalt und Versoehnung. Der Eingang trennt per Schilder: "Nur fuer Weisse" und "Nur fuer Schwarze", um durch diesen kleinen Schock "einzustimmen" auf das Thema der Ausstellung. Ich suche nach der Antwort auf die Frage: Warum war S.A. der einzige Staat der Welt, in dem es nach 1945 eine gesetzlich organisierte, gesicherte rassistische Politik bis 1994 gab? Daran schliessen sich fuer mich Fragen an wie: warum hat S.A. trotz seines in ganz Afrika einzigartigen Reichtums eine so immens hohe Kriminalitaet? Warum heissen die Siedlungen der urafrikanischen Bevoelkerung immer noch "Townships"? Wieso froenen abertausende Weisser auch heute noch einem unverhohlenem Rassismus? Woher ruehrt die allerorten spuerbare Agression dieser Gesellschaft? Das Museum ist gut, richtig gut. Man kann hier einen halben Tag verbringen, wir belassen es bei drei Stunden und dann sind wir wie erschoepft. Viele Bilder sind schwer zu ertragen. Man muss sich vor Augen fuehren, dass der Rassenwahn uralte Wurzeln hat. Der vielgeruehmte Immanuel Kant z.B. schrieb in seiner These der Aesthetik: "Die Negers(!) von Afrika haben von der Natur kein Gefuehl, dass ueber das Laeppische stiege...Die unter ihnen weit verbreitete Religion der Fetische ist vielleicht eine Art Goetzendienst, welcher so tief ins Laeppische sinkt, als er nur immer von der menschlichen Natur moeglich zu sein scheint." Montesquieu schrieb in seinem beruehmten "Vom Geist der Gesetze": "Die Menschen, um die es sich handelt, sind schwarz vom Kopf bis zu den Fuessen und haben eine so platte Nase, dass es fast unmoeglich ist, sie zu beklagen. Man kann sich nicht vorstellen, dass Gott, der doch ein allweises Wesen ist, eine Seele, und gar noch eine gute Seele, in einen ganz schwarzen Koerper gelegt habe." 1994 loeste die deutsche Bevoelkerungswissenschaftlerin Charlotte Hoehn einen Skandal auf der Weltbevoelkerungskonferenz in Kairo mit der Aeusserung aus, dass die Intelligenz der Afrikaner niedriger als die anderer Menschen sei.(FAZ 10.9.1994) Afrikanische Sprachen gab es damals lt. Sprachgebrauch nicht- nur "Dialekte". Afrika galt stets als primitiv und als Gegenpart unsere Kultur als zivilisiert und Primitive hatten keine "Sprachen". Das Deutsche Kaiserreich fuehrte bis 1904 in Deutsch-Suedwestafrika, heute Namibia, Kriege gegen die Staemme der Nama und Hereros, der Rassismus der Nazis erstreckte sich auf alles was nicht "arisch" war (Hitler selbst genuegte seinem Ideal vom blonden Recken wohl am wenigsten). Suedafrika wurde 1910 erstmals als kleine "Suedafrikanische Union" gegruendet. Es gab kein Wahlrecht fuer Schwarze und fuer Frauen. Die Buren hatten 100 Jahre der Kriege gegen die Englaender, dann gegen die Zulus, Xhosas und Swasis, Sotho und Tswanas, schliesslich wieder gegen die Englaender bis 1903 hinter sich. Es war eine Haltung des "Alle sind gegen uns" entstanden und des "Niemand hilft uns". Diese Isolationshaltung schafft eine Stimmung des "Mit-dem-Ruecken-zur-Wand-Stehens", wie man sie auch im Jugoslawien der 90er Jahre beobachten konnte. Als sich 1912 eine Delegation des SANNC, des South African Native National Congress, einem Vorlaeufer des ANC, nach London aufmachte, um dort gegen den "Land Act" der S.A. Regierung zu protestieren, der ihnen jeglichen Landbesitz ausserhalb bestimmter Gebiete verbot, stiess sie bei den Englaendern auf taube Ohren. Man mischte sich nicht mehr in die Politik S.A.s ein. Damals besassen 10 der Bevoelkerung-Weisse- 90 % des Landes. Staatspolitk wurde die Apartheid 1960. Das Museum zeigt Bilder von Symbolen, die wie aus einem Katalog der Nazis wirken: Armbinden mit hakenkreuzaehnlichen Zeichen, Sprueche wie "Mein Gott, Mein Volk" erinnern fatal an "Ein Volk, ein Reich, ein Fuehrer", schwarze Adlersymbole auf weissem Grund sehen aus wie Teile der Reichsflagge Nazideutschlands. 1961 erfolgte der Ausschluss aus dem Commonwealth. Die Queen war nicht mehr symbolische Herrin ueber S.A. 1960 angeschossen und dann 1966 im Parlament von einem Saaldiener erstochen wurde der Hauptarchitekt der Apartheid John Voster. Die internationale Gemeinschaft isolierte, boykottierte S.A., aber es dauerte ueber 30 Jahre, bis die rassistische Politik zusammenbrach. Der Wechsel erfolgte nicht freiwillig, sondern auf Grund des Boykottdrucks und der Unruhen im Lande. Filmaufnahmen zeigen bizarre, peinliche Interviews, bei denen s.a. Politiker den Rassismus "umerklaeren", verharmlosen. Fotos veranschaulichen die erbaermlichen Zustaende in den Townships. Die Apartheid unterteilte in vier Rassenkategorien: Weisse, Coulered (Mischlinge), Asiaten und Bantu (Schwarze). Chinesen galten als Coulered, Japaner als Asiaten. Es gab separate Parkbaenke und Toiletten fuer Weisse und Schwarze, separate Eingaenge bei Behoerden, Sitzplaetze in Bussen. Eine Behoerde stufte in die Rassenkategorien ein, mit z.T. geradezu laecherlichen Kriterien arbeitend. Es ist wichtig, dies zu sehen und zu versuchen, es zu verstehen. Aber es ist bedrueckend. Draussen geniessen Chistina und ich die untergehende Sonne, atmen durch. Dann fahren wir zurueck nach Pretoria, ins Einfamilienzuhause. geschrieben am 27.6. in Pretoria
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