6/22/2005 Suedafrika / Tshwane
Die Voortrekker
Mafikizolo gegen Beklemmung
(Harald) Zu den Sehenswuerdigkeiten der Hauptstadt zaehlen alle Reisefuehrer das Voortrekker Monument. Ich fahre mit Christina durch die sonnenvertrocknete Graslandschaft huegelaufwaerts. Ueber der Stadt foermlich thronend, steht das wuchtige Gebaeude aus braunem, grob belassenem Stein, weithin sichtbar. An der Auto-Pforte folgende Szene: in unserem Auto laeuft eine CD, Kwaito-Musik der Gruppe "Mafikizolo, Fenster heruntergekurbelt, der Sicherheitsbeamte schwarz, erst ernst und eher gelangweilt, strahlt ploetzlich und ruft zu seinem Kollegen: "Die haben Mafikizolo laufen!" Ich zappel sowieso schon im Auto zur Musik und switche zurueck zum besten Song der Gruppe, fahre die Lautstaerke hoch und das Lachen wird noch breiter da draussen und der Mann faengt mit mir an zu tanzen und gibt mir dann die Hand, dann den Daumen und "schnapp!" ziehen wir unsere Finger uebereinander. Sowas erlebst du in Deutschland nicht, diese Ausgelassenheit, Unbekuemmertheit, das ein Waerter im Museum so lacht und auf der Strasse tanzt und dir die Hand wie zum Dank reicht, als wolle er sagen: du bist richtig Junge. Christina schmunzelt. Mittlerweile hat sie sich langsam an meine Spontaneitaet gewoehnt, mit der ich auf die Leute zugehe. Das muss ich mir zu Hause wohl wieder weitgehend abgewoehnen, denn da denken die Leute sonst, bei dir stimmte was nicht, du waerst auf Droge o.s.ae. Wir steigen eine breite Treppe hinauf, der Blick auf den Quader vor uns gerichtet. Ca 40x40x40 Meter hingestellter Trutzigkeit, ist mein erster Eindruck. Wie ein babylonischer Ziggurat, ein kleiner Turmbau zu Babel. Es ist ein Denkmal, ein Grabmal und eine Botschaft. Die Staette ist heute gut besucht- wie wahrscheinlich jeden Tag. Weisse allesamt, nur alle Waerter sind schwarz. Das Gebaeude wurde zw. 1937 u. 1949 gebaut und soll an die Trecks der ersten Siedler nach Norden erinnern, an ihre Kaempfe und Siege gegen die Zulus. Als die Englaender Anfang des 19. Jh. die Herrschaft ueber die Kapkolonie uebernahmen, mochten sich die bereits seit z.T. 100 Jahren ansaessigen Siedler aus Holland, Deutschland und Frankreich der Kolonialmacht nicht fuegen- wie es in Nordmamerika ganz aehnlich geschah. Militaerisch war nichts gegen die Englaender auszurichten und so begannen Planwagentrecks zwischen 1835 u. 1838 aus dem Gebiet um Graaf Reinet u. Grahamstown/Bathurst Richtung heutigem Zimbabwe und Mosambik zu ziehen, um in der Terra Incognita neue Gebiete zu erschliessen. Das im hier verkauften Propekt genannte Argument, man haette neues Land "gebraucht" ist nicht ganz nachzuvollziehen, wenn man sich anschaut, wie riesig und seinerzeit ungenutzt das Land war. Beklagt wurde lt. Prospekt (der 1986 gedruckt wurde!) auch, man habe keine Arbeitskraefte gehabt. Die Wahrheit darueber ist jedoch die: das naemlich die Englaender kraft ihrer Regierungsgewalt die Sklaverei in der Kapkolonie verboten hatten und dies mit den Vorstellungen der Buren nicht vereinbar war, die Sklaven ja nicht bezahlen mussten und sie viel haerter arbeiten lassen konnten. Nachvollziehbar dagegen ist, dass die Kolonisten ein starkes Gefuehl der Unabhaengigkeit entwickelt hatten. Es waren Menschen, Familien, denen in Europa keine rosige Zukunft gewunken hatte- sei es, weil sie einer religioesen Gruppe angehoerten, die verfolgt oder benachteiligt wurde, wie die Calvinisten z.B., -sei es, weil sie keinerlei Aussicht auf Landbesitz hatten. Und aus Verfolgten, lehrt die Geschichte, werden sehr gerne Verfolger. Der Africaansbegriff "Voortrekker" heisst uebersetzt "Vorzieher", also erste Siedler. Wir betreten das Innere des Denkmals. Einer der groessten Marmorfriese der Welt stellt die Migration, die sog. Trecks dar. Die Planwagen wurden von Ochsen gezogen, statt wie im Wilden Westen, von Pferden. Schafe und Ziegen und Hunde nahm man mit, Musikinstrumente und Farmgeraete etc. Die englischen Siedler, die 1820 im Gebiet um Bathurst angesiedelt wurden, schenkten den Buren eine Bibel. Man war sich im Kampf gegen die einheimische Bevoelkerung, die Xhosa-Staemme, einig geworden. Ein gemeinsamer Feind ist auch heute noch ein probates Mittel gegen Uneinigkeit. Der erste Treck zog acht Monate lang, erreichte am Ende das heutige Maputo, eine portugiesische Kolonie. Die meisten waren bereits an Malaria gestorben, die es in der kuehlen Kapprovinz ja nicht gab. In Maputo erlagen auch der Anfuehrer Louis Trichardt und seine Frau dem Fieber. Der zweite Treck wurde von Hendrik Potgieter und Piet Retrief geleitet. Man traf auf die Staemme der Rolongs und Taungs, deren Haeuptlinge eher erfreut ueber das Erscheinen der Siedler waren, weil ihnen die Ndebele, ein Zulu-Klan, seinerzeit die Hoelle heiss machten und sie sich militaerische Unterstuetzung erhofften. 1836 griffen denn auch 6000 Ndebele den Treck an, raubten alle Ochsen und das Vieh, holten sich aber ansonsten gegen die Vorderlader der Siedler nur eine blutige Nase. Der Prospekt erlaeutert: "Retief zog mit den meisten Voortrekkern in die Richtung Natals, waehrend Potgieter in Transvaal mit den Ndebele abrechnete." Feinfuehlig formuliert, angesichts der Tatsache, dass hier moeglicherweise Ndebele die Eingaenge bewachen, oder dir an der Kasse ebendiesen Prospekt verkaufen. Denn das hatten die frommen Siedler, die stets eine grosse Bibel im Gepaeck hatten, leider vergessen: das Land, in das sie aufbrachen, war bereits besiedelt. Ueber 9 Tage veranstaltete Potgieter mit Hilfe der Rolongs ein froehliches Jagen zu Pferde auf die nur mit Boegen, Speeren und Lederschilden bewaffneten Fusssoldaten der Ndeble, gemaess dem Gebot: "Du sollst nicht toeten"- es sei denn, natuerlich, es handelt sich nur um Afrikaner, Indios, Indianer, Aborigines, Maoris u.a. Nichteuropaeer, denen man auf diese Weise die Liebe Gottes und die Frohe Botschaft der Vergebung nahebringen kann: Liebe deine Feinde. Die Ndebele mussten fluechten, um danach ihrerseits im heutigen Zimbabwe die dortigen Shonas abzuschlachten. Es hatte den Ndebele auch nichts genutzt, dass sie Soldaten auf die Ruecken von Ochsen setzten, um die Pferde aufzuhalten, die sie niederritten. 1000 Planwagen zogen weiter ueber die Drakensberge. Man verhandelte mit Zulu-Koenig Dingane, dem Herrscher der staerksten Armee Afrikas zu jener Zeit. Er hatte kurz zuvor seinem Halbbruder Shaka den Garaus gemacht, um an die Pfruende des Koenigstums zu gelangen. Die Voortrekker trafen eine Vereinbarung mit Dingane, aber dem wurden im Nachhinein neue Nachrichten zugetragen, die ihn zu dem Schluss kommen liessen: wenn ich diese Leute nicht jetzt besiege, dann werde ich es wahrscheinlich nie mehr koennen. Also baute er eine Falle auf. 70 Siedler und 30 schwarze Askari-Soldaten kamen zur Vertragsunterzeichnung in seine Hauptstadt Umgungundvolo. Das Fries zeigt Dingane mit seinen hinter ihm knieenden Generaelen, den sog. Indunas. Er macht seine Kreuzchen unter einen Vertrag, den er nicht lesen kann. Haetten die Siedler sich fuer die Kultur der Zulus interessiert, waeren ihnen andere "Sicherheiten" eingefallen. Jedenfalls werden Potgieter und sein kleiner Sohn und alle 100 Mann erschlagen- mit Knueppeln und Steinen, wie bis 1994 auch Sitte in Ruanda war. Dann griff Dingane mit 10.00 Mann die Trecks selber an, toetete 500 Siedler. Der Prospekt erwaehnt, dass die 12-jaehrige Johanna van der Merwe 21 Speerstiche und Catharina Prinsloo 23 ueberlebten. Da ich ausserstande bin zu glauben, dass die grossen, muskuloesen Zulu-Soldaten nicht in der Lage gewesen sein sollten, eine Zwoelfjaehrige zu toeten, nehme ich an, dass es auch unter den boesen Zulus solche Krieger gab, denen das Massakrieren von Kindern zuwider war und die nur fuer ausreichend Blutfluss sorgten, um die Gnade zu tarnen. Aber das ist meine persoenliche Auffassung. Die Siedler fuehrten eine "Strafexpedition" gegen die ruchlosen Landesverteidiger der Zulus, die es wagten, fuer ihre Freiheit zu kaempfen. Aber die Zulus stellten erneut eine Falle und siegten. Es war eine Frau, Susanne Smit, die dann die Maenner erneut aufstachelte: sie wolle eher zu Fuss ueber die Drakensberge gehen, als wieder unter englischer Herrschaft zu stehen. Haette sies doch nur getan... Andries Pretorius war der Retter in dunkler Stunde (Namensgeber der Haupstadt, die jetzt in Tshwane umbenannt wird). Er war sehr erfolgreich beim Toeten von Xhosas gewesen und wurde der neue Anfuehrer der Siedler. Er baute eine kleine Armee aus 530 Mann auf- einschliesslich wiederum schwarzer Landsknechte, die der Prospekt, wieder geschmackvoll, "Eingeborene" nennt. Jetzt erfolgte das Geluebte, dessen gebaute Folge dieses Denkmal ist: das sie als "Boten des christlichen Glaubens" (Porspekt) mit ihrem Gott einen Deal machen wuerden: wuerde er ihnen den Sieg schenken, wuerden sie ihm ein Denkmal setzen und einen Gedenktag jaehrlich zu seinen Ehren abhalten. Die Voortrekker bauten eine Verteidigungsstellung auf, die dreiseitig von einem tiefen, mit Wasser gefuellten Graben, dem danach benannten Blutfluss umgeben war. Dingane machte alles falsch, was moeglich war. Anstatt nachts anzugreifen, wartete er bis zum Morgen, weil viele seiner Krieger in einem aufgezogenen Nebel die Geister der Ahnen der Voortrekker sahen. Anstatt die Voortrekker einfach im Lager schmoren zu lassen, liess er 12-15.000 Mann gegen die Stellung anrennen- durchs Wasser, einen losen, rutschigen Hang hinauf. Am Ende setzten die 530 Reiter aus der Stellung heraus den fluechtenden Zulus bis in Dinganes Hauptstadt nach. Der Koenig war ein offensichtlich unfaehiger Heerfuehrer und seine Gefolgschaft wurde von Mpande, seinem Stiefbruder, in einem Coup d-etat geschlagen. Er selbst fluechtete und wurde 1840 von den Swasis getoetet. Die Englaender erklaerten sich zunaechst einverstanden mit der Unabhaengigkeit der neuen Buren-Republik "Natalie", annektierten sie jedoch 1843. Die Buren zogen wieder um, gruendeten Transvaal und Oranje, wieder anerkannt von England, wieder annektiert, was 1880/81 zum ersten Freiheitskrieg der beiden Republiken gegen sie fuehrte und 1899/1902 zum zweiten. 1910 vereinigten sich die vier Provinzen Kap, Natal, Transvaal und Oranje Freistatt. 1961 wurde Suedafrika von England unabhaengig- ganz ohne Krieg. Dieses Denkmal sollte ein Mahnmal sein, ist es aber in keiner Weise. Die schwarze Mehrheitsregierung hat diesen Reliquien-Tempel nicht geschlossen, nicht angetastet und den 16.12. eines jeden Jahres, dem Datum der Schlacht am Blutfluss, nicht abgeschafft, sondern zum Nationalen Versoehnungstag erklaert. Diesem Anspruch wird dieses bizarr wirkende Gebaeude, in dessen Untergeschoss ein leerer Sarkopharg stets am 16.12. 12 Uhr mittags von einem 10 cm breiten Loch in der Kuppel einen Sonnenstrahl empfaengt, nicht gerecht. Keine Worte des Bedauerns, der Versoehnung, keine begleitenden Worte fuer die tausenden Kinder, Schulklassen, nur diese beklemmend steife, religioes verbraemte Stimmung. Der Liebe Gott hatte ja auch die schoenen Kinder Afrikas geschaffen und da sie in seinem Garten lebten, musst er sie wohl gemocht haben und duerfte daher Schwierigkeiten gehabt haben zu entscheiden, wen er siegen lassen sollte. Am Ende siegten Pferde, Kanonen und Gewehre, nicht Menschen, keine Goetter. "Das Ende des Krieges kennen nur die Toten". Ich schreibe den Verantwortlichen einen geharnischten Kommentar Marke "Rassismus" ins Gaestebuch, danach ist mir wohler. Als wir aus dem Tor fahren, grinst uns der Waerter zu wie alten Freunden und winkt. Tja, denke ich, was fuer eine Toleranz uebt ihr hier. Davon koennen sich die Rassisten eine Scheibe abschneiden. Die wuerden solch ein Denkmal nie zulassen. geschrieben am 29.6. in Pretoria
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