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Reisetagebuch

6/30/2005   Suedafrika / Polokwhane (Pietersburg)

B.E.E.

Am Ausgangspunkt des letzten Radtourabschnitts

(Harald) Abschied von unseren Vermietern, bei denen wir quasi zur Untermiete gewohnt und deren Privatleben wir geteilt haben. Ian, Trixi und wir haben uns gut verstanden. Daisy, der zitternde Terrier, begleitet den Wagen bis zum Tor. Ian wird seine Verleihfirma weiter betreiben, weiter mit zwei Preisklassen: eine fuer Weisse (weil er mit denen kaum Probleme hat) und die hoehere, zweite, fuer Schwarze, die ihm die Autobatterien oder den Ersatzreifen gegen aeltere austauschen, ihm unsachgemaesse Unfallreparaturen verbergen u.ae. Er wird sich weiter fragen, ob er ein Afrikaner oder ein Europaeer in Afrika ist. Er wird weiter mit seiner Frustration leben, arbeiten, sein Land lieben und sich aergern, dass jetzt, wie er sagt, alles den Bach runtergeht. Und die drei Kinder der Beiden werden das alles hoeren und aufnehmen. Quo vadis S.A.?

Christina setze ich an der Botschaft ab. Schwerer Abschied, was sonst soll ich davon berichten? Christina wird jetzt weiter an ihrem Bericht ueber das B.E.E. arbeiten (Black Economic Empowerment), ein Gesetz, dass die wirtschaftlichen Benachteiligungen der Schwarzen waehrend der Apartheid zu korrigieren versucht. Sie wird weiter zustimmen, dass dies eine richtige, notwendige Initiative ist, aber sich gleichzeitig fragen, ob dass gesetzlich erzwungene Einsetzen Schwarzer nicht ebenfalls rassistisch ist- denn wer ist ein Schwarzer? Der Hellbraune, der Halbinder oder Viertelweisse auch? Und basiert Wirtschaft nicht auf Leistung, durch die man sich qualifizieren muss, anstatt per “Schwarzenqoute” eingesetzt zu werden? Und wird das Gesetz nicht den “Braindrain”, dass Auswandern der Qualifizierten ins Ausland, weiter beschleunigen?

Ich lasse die Backpacker hinter mir, fast ausnahmslos von Weissen betrieben, die weiter um ihre Selbstaendigkeit kaempfen und die per Gesetz keine Schwarzen als Gaeste ablehnen koennen und dies weiterhin tun werden, indem sie vorgeben, keine Betten mehr frei zu haben, weil sie wissen, dass sonst Diebstaehle, Laermbelaestigungen, Zerstoerungen etc. unvermeidlich sind.

Und ich lasse hoffentlich bald die Road-Rage hinter mir, diese Lust am Provozieren, Bedrohen, Bestrafen auf S.A.s Strassen. Auf denen weiter gerast wird wie ueberall in Afrika. Auf denen weiterhin massenhaft gestorben und verkrueppelt wird, obwohl selbst ein armes Land wie Kenia es mit ein paar einfachen Massnahmen geschafft hat, die Zahl der Verkehrstoten binnen eines Jahres um 70 % zu reduzieren und dies im reichen S.A. nicht moeglich sein soll.

Ich bin der einzige Weisse am Busbahnhof, eine bunte Kuh. Ich frage mich zum richtigen Bus durch, der Verantwortliche fuer diese Linie gibt keine klare Auskunft, ob ich samt Rad mitfahren kann. Die grossen Buslinien wie “Greyhound” nehmen keine Fahrraeder mit. Die Bahn ist billig, nimmt Raeder mit, braucht fuer die 270 km aber ueber sieben Stunden und das ueber Nacht. Und jeder warnt dich: “Es ist so gut wie sicher, dass du ausgeraubt wirst.” Und das Rad wird auch nicht unbedingt so ankommen, wie du es an der Gepaeckaufgabe abgegeben hast. Fliegen kostet das Doppelte eines Fluges nach Kapstadt. Also bleiben nur die Taxis.

Und der Kerl laesst mich warten. Ich frage nach dem Fahrer. Der sitzt vorne auf der Motorhaube des Busses und will anscheinend nicht mit mir reden. Ich schiebe mein Rad direkt vor ihn hin und frage ihn, ob er der Fahrer sei. Was ich wolle, fragt er. Ob er der Fahrer sei. Nein. Was ich wolle. Nun, wenn sie nicht der Fahrer sind, will ich von ihnen nichts. Was ich wolle. Ich frage ihn, ob ihm das Spass mache und er das nicht fuer Kinderkram halte. Was ich wolle. Tief Luft holen. Ich frage nach dem Rad. Ja, sei moeglich, ich solle warten. Nun, ich warte bereits eine Stunde auf eine einfache Auskunft.

Und ich warte weitere zwei Stunden, in denen ich der einzige Fahrgast bin, der draussen stehen bleiben muss, alle anderen haben sich die besten Plaetze gesichert. Als ich schliesslich, kurz vor Abfahrt, an der Tuere Platz nehmen darf, dirigiert mich der Fahrer einen Sitz nach hinten “um mein Fahrrad festzuhalten”. Was dann garnicht noetig ist, weil das Rad von Gepaeckstuecken derart eingekeilt ist, dass es den Siztenden bis auf Schulterhoehe reicht. Sinn der Luege war, mich vom guten Platz auf einen schlechten zu verfrachten. Vorne kann man naemlich in den Pausen aussteigen und hat Beinfreiheit. Ich koennte einen Band mit diesen kleinen Geschichten fuellen, in denen heute in S.A. Rassismus in umgekehrter Richtung funktioniert. Wohl eine unvermeidliche Reaktion. Bleibt die Hoffnung, dass dies eines Tages nicht mehr ueblich sein wird.

Die Fahrt dauert drei Stunden. Hip-Hop-Musik aus USA, mein Geschmack durchaus, aber wie immer laut bis zum Lautsprecherplatzen. Ich bitte um Reduzierung, aber das haelt nur eine Viertelstunde vor, dann dreht der Fahrer wieder auf bis es weh tut. Ich stopfe mir Papiertaschentuch in die Ohren.

Beim letzten Halt sagt der Fahrer mir, er fahre mich nicht nach Polokwhane, da er auf dem Weg nach Tzaneen sei. Wie bitte? Ich habe mehr bezahlt als irgendjemand sonst in diesem Bus und soll nun im Dunkeln irgendwo abgesetzt werden? Ich drohe dem Fahrer mit Aerger- eine hohle Drohung, denn was koennte ich wirklich tun, ausser Schreien im Bus?

Ich lande schliesslich doch in der City, weil noch zwei andere Fahrgaeste hierhin wollen. Es ist spaet. Es gibt keine BP in der Stadt. Ich sattle mein Pferd und frage mich durch zu billigen Hotels. Alles belegt oder zu teuer. Irgendwo ausserhalb bitte ich die weisse Rezeptionistin eines piekfeinen Hotels um Hilfe. Sie telefoniert, der Campingplatz ist geschlossen. Sie schickt mich zu Freunden, die mich erst im Garten zelten lassen wollen, dann aber im Kamin-Esszimmer auf einer riesigen Luftmatratze unterbringen. Marlize und Andy, Mitte Dreissig, zuenden ein Feuerchen an, dann kommen Freunde und schliesslich wirds gemuetlich. Marlize sagt, sie sei als Rassistin erzogen worden, wie fast alle Kinder der Apartheidaera. Heute haetten sie sich ein eigenes Bild gemacht. Ob mir aufgefallen sei, wieviel die Menschen, trotz der Armut, lachen wuerden.

Marlize wurde in Joburg geboren. In ihr Elternhaus wurde nach 1994 so oft eingebrochen, dass es niemand mehr zaehlen konnte, trotz aller Sicherheitsmassnahmen. In einem Jahr wurde sechs Mal der Fernseher gestohlen und dann keiner mehr neu gekauft. Ihr Vater wurde fuenf Mal auf der Strasse ueberfallen, mit Schusswaffen bedroht und einmal angeschossen. Eine Tante wurde erschossen…Solche Geschichten, dass wissen meine Leser mittlerweile, hoert man hier ueberall. Ein Horror, den ich nicht aushalten wuerde. “Habe ich auch nicht. Deshalb wohnen wir jetzt hier und nicht mehr in Joburg”, sagt Marlize.

Die Nacht wird unglaublich kalt, ca. 5 Grad. Ich huelle mich in alles, was ich an Kleidung habe, denn das Feuer konnte den riesigen Raum nicht erwaermen.

geschrieben am 11.7. in Masvingo


 


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