7/2/2005 Suedafrika / Louis Trichardt
Ora et labora!
Versuch einer Erklaerung
(Harald) Pierre hat es sich gestern abend nicht nehmen lassen und er laesst es sich auch heute morgen nicht nehmen, mir einerseits viele Fragen zu stellen und sich dann gleich selbst die Antworten zu geben- ein Phaenomen, dass mir in S.A. mehrfach begegnet ist. Ein enges, festgezurrtes Weltbild, in sich geschlossen wie ein Gospel wird da gleichsam verkuendet, in dem es wenig Platz fuer offene Fragen gibt, fuer eingestandene Widersprueche oder Unsicherheiten. Angst ist auch dahinter. Angst, was denn bliebe, wenn man diese Sichtweise aufgaebe. Angst davor, sich eingestehen zu muessen, dass man irrte, dass man Unrecht getan hat. Pierre malt sein Bild: Deutsche Voortrekker: verfolgte Protestanten verschiedener Coleur, Prager Fenstersturz. Hollaendische: fleissige, strengglaeubige Calvinisten. Franzoesische: verfolgte Hugenotten, herumgeschubst, missachtet. Ein religioeses Weltbild fest verinnerlicht, unloeslich vermengt mit Stolz auf eigene Kultur aus Fleiss und Gottesfurcht: Ora et labora! Bete und arbeite. Auswanderungsziel der Tiefglaeubigen: Afrika- in der Zeit zw. dem 16. und 19. Jh. noch abgelegener, noch geheimnisvoller, bedrohlicher, als es Australien oder Amerika war. Hier gab es Malaria, Tsetse-Fliegen, Gelb- und Schwarzwasserfieber, zig-verschiedene Arten von Zeckenfieber, Hepatithis, Lepra, Wundstarrkrampf, Bilharziose, Elefantiasis, Polio, kurz alle Krankheitsschrecken und meist nicht mal eine Erklaerung fuer Ursprung, geschweige denn Heilung. Wer sich hierhin traute, der hatte guten Grund und der hatte sich innerlich gewappnet, stark gemacht gegen alles, was ihn anfechten mochte. Z.B. gegen die zahlreichen Wildtiere, die das Vieh und Gefluegel frassen: Loewen, Leoparden, Hyaenen, Schakale, Geparde, Mangusten, Servale und Karakale. Und gegen Pythons und Giftschlangen: Kobras, Mambas, Puffottern und Baumschlangen u.v.a. Und gegen Elefanten, die ganze Felder in einer Nacht verwuesteten. Pavianhorden und schier unglaubliche Vogelscharen von Webervoegeln, die das Korn pluenderten. Gegen Heuschreckenschwaerme und Termiten. Gegen Trockenheiten und Viehkrankheiten- manche hatte man selbst mitgebracht. Und gegen “feindlich” gesinnte “Eingeborene”, deren Kultur, Sprache, Religionen man weder verstehen konnte, noch wollte. Jedes Verstehen haette zu einem Akzeptieren, Tolerieren gefuehrt, haette einem Aufweichen der eigenen Linien geglichen. Man war ja nicht gekommen, um Krieg zu fuehren, sondern um ungestoert seine Felder zu bestellen und sein Vieh zu zuechten und aus einer Wildniss ein Land zu formen, einen Staat, eine Zivilisation. Die vorher dort nicht existierte. Zivilisation war und ist noch immer das Schlagwort zur Rechtfertigung des groessten Unrechts. Das Aufkommen der evolutionaeren Weltbildes nach Charles Darwin Mitte des 19. Jh. gab den rassistischen Weltbildern nur Auftrieb: die bessere, weil staerkere Kultur soll siegen. Solch eine kleine Einwanderungsgemeinschaft musste fest zusammenstehen, sich gegenseitig helfen mit Leib und Seele. Und grenzte sich automatisch gegen die Aussenwelt ab. Je mehr Widerstand, desto starrer die Abgrenzung. Kampf gegen die Koi-San, die Buschmaenner/ Hottentotten/ Strandlooper, dann gegen die Xhosa, Zulus, Ndebele, Venda u.v.a.- Voelker, die einfach nicht akzeptieren konnten, dass da Fremde einmarschierten und auf das Recht pochten, sich das Land zu eigen zu machen, die Wasserstellen zu belegen und Weideland in Felder zu verwandeln. Voelker, deren Fuehrer stets schon von den Weissen und ihrer Lebensweise gehoert hatten, von den Krankheiten die sie mitbrachten und von den Forts die sie bauten und den Sklaven die sie hielten und die Haeuptlinge wussten: man musste jetzt kaempfen oder nie. Die Englaender kamen um 1800, ein anderes Weltbild im Gepaeck: Gross- und Handelsmacht, ein “Korridor” von Kairo bis Kapstadt ist das Ziel der Kolonialmacht und ein Verbot der Sklaverei folgt. Damit haben die Bauern in S.A. nichts am Hut. Afrikaner waren keine Menschen und wenn doch, dann zweiter Klasse und Sklaverei war ein immer noch weitverbreitetes Relikt (und ist es heute noch in Afrika und z.B. auf der arabischen Halbinsel). Die katholische Kirche hatte 1539 per paepstlichem Dekret erklaert, dass Indianer, Eingeborene, Menschen seien. Aber menschliche Sklaven arbeiteten genauso wie “nichtmenschliche”. Die Buren (Bauern) zogen Auswanderung nach Norden und Osten der englischen Herrschaft vor, fuehrten schliesslich, nachdem die Englaender sie auch dort nicht in Ruhe liessen, zwei erbitterte Kriege gegen die neuen Kolonialherren. Eine kleine Gemeinschaft gegen den Rest der Welt wie es ihnen schien, denn niemand kam ihnen zu Hilfe. Incl. der englischen Siedler machte die europaeisch-staemmige Gemeinschaft schliesslich mehr als 10 % der Population aus und war damit zahlreich und nach so langer Zeit etabliert genug, um einen eigenen Staat aufzubauen, in dem die urspruengliche Bevoelkerung entweder im Weg oder billige Arbeitskraft war. U.a. der fundiert argumentierte Rassimus der Nazis in Deutschland lieferte den geistigen Ueberbau des dann folgenden Apartheidsystems. Nur die Nazis haetten einen rassistischen Staat begruesst und das mag die Sympathie der Buren fuer sie begruenden. Rassismus ist keine deutsche Erfindung. Aber er wurde in Deutschland grauenvoll “perfektioniert”. KZs sind keine deutsche Erfindung. Aber nur in Deutschland wurden sie zur gezielten Massentoetung benutzt. Pierre argumentiert, dass es nicht 6 Mio Tote in den KZs gegen habe, sondern “nur” etwa 60.000. Gaskammern habe es nicht gegeben, denn es waere doch viel einfacher gewesen, “die Gefangenen zu erschiessen”. Und “die Sache mit den Duschen” sei doch auch Quatsch. Und es seien ja keine Lebenden verbrannt worden in den Oefen. Und er lobt die Disziplin der deutschen Soldaten, wie die schon marschiert seien, Tapferkeit und Gehorsam und militaerische Erfolge. Ich halte es kaum noch aus. Ich moechte manchmal bei solchen Reden aufschreien, so einen am Kragen packen und schuetteln: “Wie redest du von MENSCHEN!?” will ich bruellen. Wie kannst du eine Weltanschauung, eine Politik gutheissen, die solche Taten vollbracht hat? Was denn noch? Was muss ein System denn noch an Unfaehigkeit leisten und Grauen verbreiten, bis du es als falsch betrachtest? Haben wir nicht zwei Kriege begonnen in Grossmannsucht und Ueberheblichkeit? Haben wir sie nicht beide verloren, weil wir den Rest der vernunftbegabten, zivilisierten Welt gegen uns hatten? Haben wir nicht gegen jedes Kriegs- und Menschenrecht verstossen mit Gaseinsatz und Gefangenenmord, Folter, Genozid und “medizinischen” Versuchen an lebenden Menschen? Ruehrt dich das nicht an? Beschaemt es dich nicht, dass du, wie auch immer, solches gutheisst und fuer immer noch erstrebenswert haelst? “Was”, moechte man schreien, “was noch?” Sicher, sagt Pierre, im Krieg geschehe immer Boeses auf beiden Seiten und nivelliert so Unrecht herunter. Was fuer eine grauenvolle Welt waere aus einem siegreichen Nazistaat erwachsen? Wer haette in dieser Militaerdiktatur leben wollen? Nur in der Mathematik macht zweimal Minus ein Plus. Das die andere Seite Unrecht tut, hebt dein eigenes nicht auf; jeder ist fuer seines verantwortlich. Pierre spricht vom alten Hass der Africaander auf die Englaender, die zw. 1900 und 1903 28.000 Burenfrauen und -kinder in ihren KZs verhungern und an Krankheiten sterben liessen. Das ist 100 Jahre her und doch nicht vergessen. Was wundert man sich da, dass die Schwarzen Sueafrikaner nach nur 11 Jahren Freiheit den Rassenhass der Apartheid nicht vergessen haben? Das ganze suedliche Afrika hat gegen dieses System gekaempft: Menschen aus Angola, Mosambik, Malawi, Namibia, Rhodesien (heute Zimbabwe), Unterstuetzung kam von ueberall fuer die Freiheitsbewegung der suedafrikanischen Schwarzen: aus Kenia, Tansania, Botswana, Uganda etc. Europa, die USA, viele Staaten der Weltgemeinschaft boykottierten vor 1994 die Apartheidsregierungen in S.A, Und trotzdem: man war im Recht, daran gibt ist es auch heute noch keinen Zweifel. Mir ist in 7 Monaten in S.A. nicht ein einziger Weisser begegnet, der gesagt haette: das war Unrecht, ich habe mich geirrt. Aber mir sind Weisse begegnet, die wg. Ihrer Widerstandshaltung das Land verlassen mussten oder im Geheimen ihren persoenlichen Beitrag zum Sturz dieses Systems leisteten. Was Pierre nicht versteht, ist, dass man eine Religion, eine Kultur kritisieren kann, ohne Rassist zu sein. Das es moeglich ist, vieles kritisch zu sehen, ohne alles zu verdammen, ohne nichts Gutes mehr entdecken zu koennen. Das man damit leben koennen muss, hinzunehmen, oder auch zu akzeptieren, weil man sonst besser nicht in Afrika waere, eine kleine Minderheit mitten in einer so fremdem, andersartigen Kultur und Welt. Ich verabschiede mich erst am Mittag von Pierre und Rina. Freundlich sind sie, hilfsbereit, grosszuegig, ehrlich. Die Spreize zwischen Dankbarkeit, Sympathie fuer diese Menschen einerseits und dem Widerwillen gegen ihren Rassismus andererseits wuerde ich auf Dauer nicht aushalten. Die N 1 ist gerade, manchmal zu gerade. Ein kuehler Wind blaest mir entgegen, aber ich habe mir fuer heute nur 32 km vorgenommen und lasse es langsam angehen. Vor mir erscheint nach einer Stunde Radelns der Hoehenzug der Soutpansberge, an deren Fuss Louis Trichardt liegt, dass jetzt Makhado heisst. Nach und nach benennt die S.A. Regierung viele Staedte des Landes um. Verstaendlicherweise auch diese, die den Namen des ersten der Voortrekker traegt. Louis Trichardt zog seinerzeit hier durch, erlitt eine schwere Niederlage gegen die Ndebele, einen Zweig der Zulus, und wandte seinen Treck daraufhin nach Maputo, wo er, seine Frau und fast der gesamte Rest der Truppe an Malaria starben. Viele Weisse im Land schuetteln den Kopf ueber die Umbenennungen. Pretoria z.B. heisst jetzt Tshwane, Pietersburg Polokwhane. Die Regierung unter Thabo Mbeki sagt in der Presse nicht provokativ: “Wir wollen fuer unsere Staedte keine Namen der ehemaligen Eroberer und weissen Kolonialherren haben, sondern die unserer Helden” (sonst hiesse Praetoria vielleicht “Shaka”), sondern sie waehlt alte Namen, die fuer diese Orte schon vor Ankunft der Kolonisten gelaeufig waren. “Makhado” war nach alten Karten, die ich gesehen habe, ein Dorf etwa 20 km nordoestlich der jetzigen Stadt. Hinter der Stadt geht es gleich bergan und nach 4 km biege ich in die Einfahrt einer Hotelanlage ab. Ein einzelner Waechter in legerer Uniform luemmelt sich im Schatten seines winzigen Holzhaeuschens auf einem Stuhl und wir machen ein paar Scherze. Gleich dahinter umstreunt mich eine Horde von Blauaffen, die ihren Namen der Farbe der Geschlechtsteile der Maennchen verdanken. Diese kleinen, grauen, duennen Affen, mit sehr langem Schwanz und schwarzem Gesicht, sind mir ueberall seit Aethiopien begegnet und mit den Pavianen wahrscheinlich die weitverbreitesten. Ich habe noch ein paar Kekse unter dem Haltegummi hintern Sattel und verteile die Bruchstuecke. Mehrere der Affen kommen langsam zu mir, richten sich auf die Hinterbeine auf und nehmen die Stuecke vorsichtig aus meiner Hand, um sich dann zum Verspeisen zurueckzuziehen. Da ist keinerlei Aggression, kein Kratzen oder Beissen und so habe ich das stets erlebt, wenn man den Tieren ruhig begegnet, sie nicht provoziert, wie ich es leider immer wieder gesehen habe. Wahrscheinlich erhebt es denjenigen irgendwie, der sich ueber die “Dummheit” der Affen amuesieren kann, denen er hinter geschlossener Autoscheibe mit einer Banane winkt und denen es an “Stolz” fehlt, nach solcherlei Provokation das Hingehaltene abzulehnen. Der Manager des “Clouds End Hotel” laesst mit sich handeln. Fuers Campieren ist es in dieser Hoehe viel zu kalt und Regenwolken sind aufgezogen und mein Zelt ist ja nicht wasserdicht. Von 285 Rand landen wir schliesslich bei 100 fuers Zimmerchen mit Fernsehen. Ich sitze am Kamin vorm knisternden Feuer mit einem alten, zimbabwischen Ehepaar, die mich, genauso wie der Manager, fuer “sehr tapfer” halten, dass ich durch das krisengeschuettelte Land auf dem Rad reisen will. Man laedt mich zu Wein ein und die Frau sagt, den Schwarzen fehle irgendein Gen, dass sie befaehigen wuerde, fleissig zu sein, puenktlich, strebsam und organisiert. Nichts funktioniere in ihrer Heimat Zimbabwe. Das werde ich ja sehen! geschrieben am 3.8. in Masvingo
|