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Reisetagebuch

7/8/2005   Zimbabwe / 10 km vor Rutenga

Ayers Rock in Zim

Bei einer zimbabwischen Familie zu Gast

(Harald) Ich hab herrlich geschlafen, trotz harter Unterlage. Nahe Stimmen kuendigen an, dass man mich entdeckt hat, aber niemand kommt zum Zelt.

Ich stecke den Kopf aus dem Reissverschlusseingang und sehe zwei Maenner die Holz schlagen und gruesse sie. Mein Fruehstueck besteht aus den letzten drei Schokokeksen und einem Schluck Wasser, dann gehe ich zu den Maennern. Sie haben nur eine Axt und deren Schneide ist handschmal, weswegen sie nur muesam dicken Baeume damit zerteilen koennen. Also brennen sie diese nach dem Faellen durch- an mehreren Stellen qualmt es.

Weil im Karree gefaellt wird, frage ich, ob hier eine neue Siedlung entstehen soll. Dem sei so, antwortet man mir. In Harare und anderen groesseren Staedten hat Praesident Robert Mugabe, der Mann mit dem Hitlerbaertchen, der von sich selbst sagt, er habe einen Meisterbrief in Gewalt und er sei “der Hitler dieser Zeit”, in den letzten Monaten ueber 700.000 Menschen in den Staedten obdachlos gemacht, indem er ihre Haeuser hat planieren lassen. Die Weltpresse raetselt, was das Ziel dieser Aktion ist. Einerseits sind die Grossstaedte Schwerpunkte der Opposition gegen ihn und wenn es ihm gelingt, die Menschen aufs Land zu jagen, haben die dortigen Aeltesten, Haeuptlinge und strammen Parteigaenger der alleinregierenden Partei ZANU/PF (Zimbabwe African National Union/ Patriotic Front) bessere Kontrolle ueber die Leute. Mir erscheint diese Interpretation zu einseitig, denn es sind durch solche flaechendeckenden Massnahmen auch ZANU/PF-Waehler betroffen. Einer hat bereits versucht, Mugabe zu erschiessen.

In den Staedten gibt es keine Arbeit fuer die Leute, dort ist die Kriminalitaetsrate am hoechsten, dort wird Geld gebraucht, um Nahrungsmittel zu kaufen, die man auf dem Land selbst anbauen kann. Dort wird Elektrizitaet gebraucht, in den Lehmhuetten auf dem Land nicht usw. Die Stadtflucht ist eine der afrikanischen Heimsuchungen, denn die Staedte und ihre Infrastrukturen halten dem Ansturm der Massen nicht stand.

Nach europaeischen Massstaeben sind die Leute hier natuerlich arm. Aber sie haben ihr Leben ehedem als normal und angemessen angesehen, Jahrhunderte lang. Die Haeuptlinge waren reich, Feudalherren halt, aber das waren nur sehr wenige unter Tausenden. Wir haben diese Zeiten in Europa auch erst muehsam hinter uns bringen muessen, bis zu den Bauernaufstaenden, der Aufklaerung und franz. Revolution etc. Afrika aber wollen wir aus dieser Entwicklungsstufe in die Zivilisation katapultiert sehen- die ersten Siedler kamen hier erst vor 95 Jahren ins Land. Da kommen die Menschen nicht mit, es gibt keine Zeit fuer Entwicklung und Anpassung.

In Afrika, auf dem Land, im Dorf, ist das Leben fuer die Menschen einfach ihr Leben. Sie leben gern dort, dort sind ihre Wurzeln, Verwandten, Freunde und sozialen Netze, ihre Heiler und Ahnengraeber, dort kennen sie sich aus und haben sie Wuerde. In der Stadt sind sie entwurzelt, auf bezahlte Arbeit angewiesen, auf oeffentliche Transporte, Supermaerkte und Wohnungen die Miete kosten. Dort wird ihnen hautnah vorgefuehrt, was sie alles NICHT haben: eigene Autos, modische Kleidung, Handys, kuenstliche Nahrung, TV, Versicherungen etc. Und das Rennen beginnt. Die Menschen beherrschen fuer diese Lebensweise nicht unsere “zivilisierten” (“Zivis” = Stadtmensch) Verhaltensweisen, bei denen man in einer ordentlichen Reihe wartet, Uhren traegt und Zeiten einhaelt, rechtzeitig zu einem Arzt geht, weil man sich mit Krankheiten auskennt, Antraege stellt und Verkehrsregeln und feste Arbeitszeiten einhaelt, Geld spart und Kredite zurueckzahlt. Statt der Soehne sollen ploetzlich Versicherungen das Alter sichern, statt eines sichtbaren Oberhauptes hat man es mit Institutionen zu tun. Und der alte Glaube an Natur und Ahnen soll falsch und verboten sein und Extase ist unschicklich, Kinder schiebt man in Wagen vor sich her- die Liste ist lang.

Die christliche Religion der Vergebung hat in Afrika nie wirklich funktioniert, dafuer gab es keine Verwendung. Wenn man hier dem Feind die andere Wange hinhielt, fing man sich noch eine. Das Leben war und ist Kampf, auch in den Staedten. Wer hier vertraut ist schlichtweg dumm und naiv. Wer hier auf Gnade hofft geht unter. Diese Spreize zwischen dem Anspruch des Glaubens und der Religion erzeugt Qual, die sich der ueber den Verlust aller alten Werte hinzuaddiert.

Ahnenkult, der Glaube dass man im Frieden mit dem Willen der Verstorbenen, d.h. der Weisesten und Gesegnesten der Gemeinschaft leben muss, sicherte deren Unterstuetzung und Wohlwollen. Lehnt man sich nach diesem Glauben gegen den Willen der Ahnen auf und veraergert diese, kommt Unheil ueber das Volk, denn die Ahnen haben die Macht Flueche auszusprechen, Wetter und Ernten und Viehkrankheiten zu beeinflussen. Auf diese Weise wurde und wird eine Kontinuitaet gewahrt, die Tradition und somit Stabilitaet. Die Zauberer haben die Macht mit den Ahnen zu kommunizieren und deren Zeichen zu interpretieren, die diese geben, da sie als Tote nicht direkt sprechen koennen. Auch in amerikanischen Fernsehshows treten Leute auf, die angeblich mit verstorbenen Angehoerigen des im Studio sitzenden Publikums sprechen und Seancen, also das Herbeirufen der Geister Verstorbener, ist in unserer Zivilisation noch verbreitet. Der christliche Glaube an die reale, stoffliche “Wiederauferstehung des Fleisches” ist nichts anderes, als eine andere Auslegung des selben Glaubens: die Toten sind nicht endgueltig tot. Unsere schnelllebige Kultur des ewigen “Fortschrittes” hat jedoch kaum mehr Platz fuer Kontinuitaet, Stabilitaet, also Werte die durch Alter, Weisheit und Ruhe der Alten verkoerpert werden. Heute fragt sich wohl kaum noch jemand: “Was haetten meine (verstorbenen) Grosseltern dazu gesagt?” Die haetten sich ja garnicht in “Modernen Zeiten” ausgekannt und ihr Rat waere stets unangemessen, da uninformiert, “hinter der Zeit”.

Ich zitiere aus einem Buch, dass in Erstausgabe 1895 in Zimbabwe, damals Rhodesia, erschien: “Bis jetzt hat es niemand gewagt sich Reichtum anzueignen oder reicher zu erscheinen als sein Nachbar, weil irgendein neidischer Zauberdoktor ihn sicher als Hexer identifizieren wuerde; er wuerde einer Scheinverhandlung unterzogen, fuer schuldig befunden und dann samt aller Familienmitglieder und selbst seinen Hunden abgeschlachtet werden, wobei sein ganzer Besitz beschlagnahmt wuerde, um ihn zwischen dem Koenig, dem Zauberdoktor und den Richtern aufzuteilen…Es gibt viele andere grausame Gebraeuche ausser der Zauberei, die frueher einen Mann davon abgehalten haben, jemals irgendeinen Grad von Wohlstand oder Komfort zu erlangen. Alles im Land war praktisch Eigentum des Koenigs…”

Herrschte der Koenig/Haeuptling schlecht oder war er zu schwach, wurde er i.d.R. getoetet. Wohlstand war nicht fuer alle vorgesehen. Ich will nicht sagen, dass dies ein besseres Konzept als das westliche ist, aber es war ein in Afrika funktionierendes und es erklaert z.T., warum Diebstahl bei als reich angesehenen Opfern (wie z.B. Touristen) so weitverbreitet ist und Betteln als “Anspruch” gesehen wird und das Rueckzahlen von Darlehen selten funktioniert. Die Sicherung von gleich grossem Besitzstand war Garant fuer Stabilitaet und unsere Zivilisation der Akkulumierung ist das voellige Gegenteil davon. In den USA z.B. besitzen 2 % der US-Familien 20 % allen Landes, 50 % aller privaten Aktien, 70 % aller unversteuerlichen Schuldverschreibungen und 1 % der Bevoelkerung 33 % allen Privatvermoegens. Lt. “Forbes” kontrollierten schon 1985 in den USA 400 reiche Leute (wie Fords, Ghettys, DuPonts, Mellons etc.) aus nur 82 Familien 2.213 Billionen! (=2213 Milliarden), d.h. ueber 40 % allen privaten, fluessigen Kapitals- und seitdem hat die Konzentration zugenommen.

Die Wahl eines Haeuptlings erscheint uns archaisch, aber in den USA ist seit 70 Jahren kein Praesident mehr mit mehr als etwa ein Drittel der Stimmen aller Stimmberechtigten gewaehlt worden, was bedeutet, dass es nie bewiesen wurde, dass ein Praesident mit einer Mehrheit gewaehlt wurde. Bush sen. wurde 1988 mit weniger als 27 % der Stimmen gewaehlt, weswegen man in Afrika auch von “Wahlzettelfetischismus” der angeblich so demokratischen Staaten spricht. Gegen die Wahlmanipulation der vorletzten Wahl in den USA macht sich ein Robert Mugabe wie ein Taschendieb aus. Soweit zur westlichen "Ueberlegenheit".

Ich fahre durch das Buschland des sog. “Lowveld”, Africaans fuer “Niederland”, auf der alten, 2 m breiten Strasse, vorbei an den Kraals und Huetten, passiere vereinzelt Fahrradfahrer, Frauen die Feuerholz tragen, Jungs in zerrissener Kleidung die Ziegen hueten. Die Gehoefte sind meist sehr sauber, aller Boden um die Huetten wird jeden Morgen mit einem kleinen Reisigbesen im Buecken muehsam gefegt. Die Frauen sitzen unter den Strohdaechern der Kuechenstellen, d.h. einer Feuerstelle ueber der an den Balken des Sonnendaches Toepfe und Loeffel haengen. Ueberall magere, raeudige Hunde voller Floehe und Zecken, Esel, deren Fell von unsachgemaessem Geschirr blutig-durchgescheuert ist. Das Zaumzeug besteht aus alten Schlaeuchen oder Reifen, die mit groben, rostigen Drahtresten oder Naegeln verheftet sind. Ich sehe voellig verwachsene Hufe, die seit Monaten haetten gefeilt oder geschnitten werden muessen, Esel die in voellig seitlich gekippter Haltung laufen muessen, weil das ganze Geschirr falsch aufgesetzt ist usw. Keine Gnade fuer die Kreatur, wobei es so einfach waere, mit etwas Sorgfalt, solche Missstaende zu vermeiden. Wie man sich monatelang eine immer weiter fortschreitende Missbildung anschauen kann, ohne etwas zu aendern, ist mir unbegreiflich. Wenn ich Mitleid mit den Tieren zeige, aeussert man Amuesiertheit, lacht unter sich und zeigt Befremden: “Typisch weicher Europaeer”, denke ich dann selbst oft.

Ueberall heisst es “How are you?” Die Leute sind durchweg sehr freundlich, hoeflich, ich fuehle mich sicher und willkommen.

Die alten Bruecken sind saemtlich eingestuerzt, weggeschwemmt waehrend der saisonalen Fluten, dann endet die Str. im Dornenbusch, im Sand und ich muss schiebend das Flussbett durchqueren. Im Wind, ohne Wasser und einen Behaelter, ist das Finden eines Loches im Schlauch fast unmoeglich und so kommt was kommen musste: ein Platten den ich nicht reparieren kann. Ich pumpe also einfach auf und fahre weiter.

Ein Fussballspiel, Maenner winken an einem Feuer mit Tellern voller “Sahza”, wie Maisbrei in Zim heisst. Ich setze mich zu ihnen, es sind die Lehrer der Kinder die hier ein Turnier spielen. Ich bekomme eine Art Quark und Sahza und wir essen alle mit den Fingern. Nach dem Waschen der Haende mit klarem Wasser formt man den festen Brei mit der rechten Hand (die linke ist unrein, wie ueberall in Afrika) zu ovalen Fladen, wie mit Knetgummi, und greift dann damit loeffelartig in den Quarktopf.

Es wird viel gelacht, so ist das ueblich, ich erzaehle etwas Witziges oder moeglichst Interessantes, dass ist meine Gegenleistung fuer die Gastfreundschaft. “Lass nie ein Lachen aus!” ist ein afrikanischer Wahlspruch. Wenn ein Spass gut war, wird laut gelacht, man schlaegt sich gegenseitig ausgelassen in die Haende das es knallt, schnippt auch mal die Daumen aneinander: “Guter Joke!”

Immer mehr Kinder kommen und schauen dem Weissen zu, der die Lehrer so ausgelassen macht und der mit den Fingern isst wie sie selbst. Die Lehrer sind Mitte Zwanzig bis Mitte Dreissig und sprechen gut Englisch, einer kennt sich in Europa besser aus als ich.

Ich lobe das gute Englisch und die Lehrer sagen: “Ja, die Kolonialsprache…Aber die Vergangenheit ist vergangen und Realitaet. Wir leben damit.” Die Zims haben es einfacher als die Suedafrikaner mit deren 11 Amtssprachen, denn hier wird fast nur Shona und Ndebele gesprochen.

Man bringt mir Wasser und einen aufgeschnittenen Kanister und ich kann den Platten reparieren, dann gebe ich etwas Geld fuer den Brei und fahre weiter. Es ist seit Tagen bewoelkt, immer wieder droht Regen, mal nieselt es. Erste kleine Berge tauchen auf, steil und mit Baeumen und Bueschen bestanden und dann, bei der Ortschaft Runde, die erste Bergkette, die Nyoni-Range. Noch 105 km bis Masvingo.

Eine Total-Tankstelle ohne Benzin, verlassen. Aber das Restaurant ist sehr gut und ich esse bis zum Wehtun. Die Inhaber sind Weisse und sagen: “Der Spur an der Grenze wurde von Schwarzen gemanaged und musste schliessen. Der Wimpy dagegen wird von einem Weissen und funktioniert immer noch. Und so ist das auf der ganzen Strecke bis Harare” (ich finde spaeter heraus, dass das stimmt).

Ich war mir dem Speditionsfahrer im Dezember schon einmal hier. Das dicke Steak mit Salat, einer Waffel mit Eis und zwei Cold-Drinks kostet gerade mal 3,50 EU. Auf der Toilette ist selbst das Toilettpapier mit einem Schloss gesichert.

Ich kaufe Wasser, Kekse, fahre weiter. Wenig Vieh ist zu sehen, obwohl dies Land ideal fuer die Viehhaltung scheint.

Neben der Strasse sehe ich mehrmals verbrannte und verwuestete Curio-Staende. Junge Maenner bieten so unter freiem Himmel alle Arten von Holzschnitzeien und Specksteinbildhauerei an. Zimbabwes Kuenstler sind in ganz Ost- und im suedlichen Afrika fuer ihre guten Arbeiten bekannt und fast alles Derartige, was in z.B. Kenia angeboten wird, stammt von hier.

Wer die Staende verbrannt hat, erfahre ich spaeter. Reste von verkohlten Nilpferden und Masken liegen hier, zerbrochene, aber auch intakte Steinfiguren. Wieso hat das niemand aufgesammelt? Selbst Backsteingebaeude sind eingerissen, die Daecher verbrannt, die Fensterrahmen und Tueren herausgerissen, wie in einem Buergerkrieg.

Die Sonne geht unter und ich beschliesse die heutige Nacht bei einer Familie zu verbringen. Am Fusse eines gewaltigen Monoliten, der dem Ayers Rock Konkurenz machen koennte, steht ein Kraal aus fuenf Huetten. Ich spreche eine Frau an, ein Maedchen kommt, dann die alte Mutter, dann die uralte Urgrossmutter, die Brueder, ein Vater ist nicht zugegen und ich frage nicht “Warum”, weil das ein heikles Thema sein koennte. “Jawasch, Jawasch” denke ich und “Pole,Pole”- langsam, langsam. Haende schuetteln, ein bisschen Konversation, ein paar Fragen: Wer ist das? Was will er? “Wie ist er?” ist die Frage die dahintersteckt. Die Pruefung faellt zu meinen Gunsten aus und ich kann mit drei Jungs, die sich auf einer Decke auf dem glatten Betonboden eines kleinen quadratischen Vorratshaeuschens zum Waermen aneinanderquetschen, die Nacht verbringen.

In der grosszuegigen Kuechenrundhuette, die aus grau-braunen Lehm besteht und blitzsauber und aufgeraeumt ist, sitze ich mit der ganzen Familie am Feuer. Die nackten Fuesse werden fast in die Flammen gehalten, es gibt Sahza und ein Stueck Fleisch, ich teile meine Kekse. Gesprochen wird nur wenig, der Tag klingt aus und war offensichtlich anstrengend. Man gibt mir zwei Decken und in mehrlagiger Kleidung und mit Wollmuetze habe ich eine warme, gute Nacht.

geschrieben am 7.8. in Masvingo


 


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