7/15/2005 Zimbabwe / Chivu
Fast Food
Murungu!
(Harald) Es geht mir besser, aber ich bin muede. In diesem Haus wird vor jeder Mahlzeit ein kurzes Gebet gesprochen. Wir fassen uns dazu an den Haenden. Der Sohn des alten Farmerehepaares ist beim Fruehstueck zugegen, ein Kerl wie ein Klotz, er koennte nicht mehr nach einem burischen Farmer aussehen, wie man ihn sich klischeehaft vorstellen mag. Es gibt gebratene Eier, Speck, Wuerstchen, heisse Tomatensosse- darin sind die Buren sehr englisch. Ansonsten ist des Buren Hauptmahlzeit reichlich Fleisch, Rind und „Game“, also das was wir als Wild bezeichnen: Kudu, Strauss, Impala etc. Speziell Letzteres wird manchmal als „das McDonalds des Buschs“ bezeichnet, weil es noch fast ueberall vorkommt, die haeufigste Antilopenart, und weil es „Fast-Food“ ist, denn es rennt sehr schnell. In der Werkstatt hinter dem flachen Farmhaus stehen Traktoren und mehrere Transporter. Ich oele die Kette, die Farmersfrau hat mir Kudu-Biltong eingepackt, ein paar kleine Bananen, die ganz suesse Sorte, eine Wegbeschreibung zum naechsten Verwandten und Medikamente steckt sie mir auch zu. Ein perfekter Morgen nach einer kalten Nacht. Die Sonne faellt schraeg durch die fast kahlen Akazien und laesst das ockergelbe Gras leuchten, Pferde und Kuehe grasen still, ein paar Glocken leuten leise, der Wind rauscht sanft durch die Laubbaeume, deren Blaetter in Gelb-, Rot- und Brauntoenen zeigen, dass jetzt Trockenzeit ist, waehrend andere Ueberlebenskuenstler selbst jetzt noch sattgruenes Laub haben. Hornvogelpaerchen kraechzen, schwarz-weisse Kraehen, so gross wie bei uns die Raben, rufen ihr trockenes „Raah-Raah“, winzige Finken, so flink, dass das Auge ihnen nicht folgen kann- Mensch, mir gefaellt dieses Land. Kein Autofahrer greift mich mehr an, jeder gruesst zurueck, man ist freundlich, die weissen Farmer sind hilfsbereit- all das laesst einen schnell vergessen, wie es um dieses Land bestellt ist. Der Wind dreht allmaehlich auf 15-16 Uhr, ich fliege fast dahin. Von etwa 1200 m ueber NN faellt das Land jetzt in langen Wellen leicht ab. Maechtige Paviane kreuzen die Strasse oder sitzen in den Bueschen neben der Strasse, Blauaffen richten sich misstrauisch auf ihre Hinterbeine auf und zeigen ihr leuchtendblaues Geschlecht dabei. Die Idylle weicht der zweiten Realitaet in Zim, als neben der Strasse eine verbrannte und zerstoerte Curio-Siedlung auftaucht. Hier wurden fuer die Touristen Holzschnitzereien und Steinmetzarbeiten angeboten und vor kurzem wurde das alles in einer ueberfallartigen Aktion vernichtet, dass reinste Buergerkriegsszenario. Dahinter steckt die Partei und hinter ihr Mugabe und seine willfaehrigen „Veteranen“, seine „Freiheitskaempfer“, die sich wie die „arbeitslos“ gewordenen Kollegen in vielen Teilen der Welt vor allem aufs Zerstoeren verstehen. Der tatsaechliche, militaerische Terror/Freiheitskampf (je nach Lesart) dauerte 1973 bis 1979, aber die Rueckkehr zur Gewalt faellt diesen Genossen der Partei nicht schwer. Zwei Maenner sind in der Naehe aus einem der Minibusse ausgestiegen, einer ruft mir „Murungu“ zu, was soviel wie „Weisser“ bedeutet und sehr unhoeflich ist. Ich rufe also zurueck: „Hallo Schwarzer!“ So weiss er, dass ich ein paar Brocken Shona kenne und verschaffe mir etwas Respekt. „Murungu“ ist sehr wahrscheinlich von „Muzungu“ abgeleitet, dem Kisuaheli-Wort. Da Kisuheli eine arabisch iniziierte und beeinflusste Handelssprache ist und die Araber auch hier Handel mit Elfenbein und Gold betrieben, liegt die Wortverwandtschaft nahe. Ich fahre zu den Maennern hinueber und frage, was hier passiert sei. Es sei „aufgeraeumt“ worden. Ja, sage ich, es saehe jetzt richtig schoen aufgeraeumt aus, bestimmt viel besser als vorher. Und warum wurde „aufgeraeumt“? „Die Amerikaner und die Englaender bemaengeln ja staendig, dass es in Zimbabwe kein Law and Order gibt und die Regierung zeige jetzt, dass sie diese jetzt schafft.“ Ich frage den Mann, ob er also die USA und England fuer diese Zerstoerung verantwortlich machen wolle. Eine Polizei sollte auf Basis der gueltigen Gesetze ihre Pflicht erfuellen eben diese Gesetze zu erhalten und nicht Parteimarodeure begleiten und schuetzen. Aber eine Diskussion ist sinnlos, es geht mir nur darum, die Leute wissen zu lassen, dass es einen Touristen interessiert, was vorgeht und das er das nicht sehen moechte, was er ansehen muss. Es wird immer sonniger. Ich erreiche nach 80 km Chivu (sprich Tschiwu) und lenke mein Rad ueber eine staubige Nebenstrasse zu einem schoen weissen Haus, vor dem zwischen Autos und Traktoren Stefannus steht, ein Mittdreissiger. Bei ihm sind sein Vater, Stephannus, und ein Nachbar, der in Namibia geboren wurde und ausgezeichnet Deutsch spricht. Ich werde mit kraeftigem Handschlag begruesst und bekomme ein grosses Zimmer zugewiesen. Der Deutschsprechende erzaehlt, wie ihm seine Farm weggenommen wurde und das er seitdem in einer Art Altenheim wohnt. „Sie kommen aus Krefeld? Ich hab da 2 Jahre auf der Goethestrasse gewohnt!“ Man fasst es nicht. Das erinnert mich an eine alte Nonne, die ich 1998 bei Hermanus traf und die fast 50 Jahre vorher in Oppum wohnte und immer noch in der Lage war, meinen leichten Einschlag von Krievelsch Platt herauszuhoeren. Die beiden alten Maenner klingen eher resigniert, denn wuetend. Sie sind zu alt, um nochmal von vorne anzufangen. Auch Stephannus hat seine Farm verloren, aber aus ihm stroemt nicht mehr der brennende Hass, den die Generation der Soehne noch in sich traegt. Dieser Hass, die Wut ueber die ungesetzliche und gewaltsame Landenteignung durch die Partei und die Veteranen, die von ihr benutzt werden, verschafft den juengeren Farmern zusaetzliche Energie, um mit der bedrueckenden Situation fertig zu werden. Ich dusche, setze mich auf die schattige, riesige Terrasse im Kolonialstil, Stefanus setzt sich zu mir. Eine junge, huebsche Haushaelterin umsorgt uns und ich beobachte Stefanus, wie er sie anschaut. Die Frau hat noch kein Kind wie leicht zu erkennen ist und ich frage mich, was diesen Mann bewegt eine quaelende, gewalttaetige Beziehung mit einer hoffnungslosen Trinkerin zu fuehren, wie er mir freimuetig und deprimiert erzaehlt, anstatt sich fuer dieses huebsche Geschoepf zu erwaermen, die ihn freundlich und hoeflich umsorgt, seine Waesche waescht, sein Bett macht und sein Klo reinigt, ihn bekocht und hinter ihm hersaeubert. Aber die weisse Community wuerde ihn wahrscheinlich verstossen, wenn er eine Schwarze heiratete. Aus dem Radio erklingt Toto, „Africa“, ich springe auf und die Haushaelterin strahlt: „Das ist auch mein Lieblingslied!“ Am Liebsten wuerde ich mit ihr tanzen, aber der gesellschaftliche Rahmen laesst das nicht zu. Im Schein der letzten Sonnenstrahlen wird aufgetischt, Huhn, French Fries und Salat. „Sehen sie diesen Schnitt hier an meiner Kehle? Das war meine Freundin, mit einem Messer ist sie auf mich losgegangen.“ Es klingt wie eine Frage oder Bitte um Rat. Spaeter ruft diese Frau an, dass endlose Wiederholen von pathetischen Entschuldigungen und winselnder Reue des Trinkers klingt aus dem Hoerer und Stefanus sinkt in sich zusammen und hat wieder verloren. Dann, als ich partout nichts sagen will, fragt er mich direkt: „Was soll ich machen?“ Ich rate ihm zu dem, was man allen Co-Alkoholikern in der Welt raet: Lass sie fallen, weil sie sonst nie aufhoeren wird zu trinken. Sie ist nicht wuetend auf dich, sondern auf sich selbst und laesst es an dir aus und du laesst es dir gefallen. Aber das ist deutlich sichtbar nicht das, was er hoeren wollte, er seufzt und laesst die Schultern sinken und wiederholt seine Klagen. Ich schliesse meine inneren Ohren und bringe das Gespraech auf Erfreulicheres. Aber das Bedrueckende laesst sich nicht wirklich ausblenden. Stefanus ist Spediteur, aber die Wirtschaftskrise hat sein Geschaeft zerstoert. „Wie soll ich ohne Diesel transportieren?“ fragt er resigniert. geschrieben am 15.8. in Harare
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