7/20/2005 Zimbabwe / Victoria Falls
Victoria Falls
Luegen, Luegen, Luegen
(Harald) Morgens nach einer kalten Nacht im Durchzug kalt zu Duschen- das ist eine der grossen Herausforderungen. Sowas wie ein Bunjeejump mit Landung im Handtuch. Rubbeln brauchst du da nicht, dir zittert die Hand auch so schon genug. Christina laesst ihre Sonnenbrille fuer ganze 60 Sekunden unbeaufsichtigt in der Dusche. Da sie die einzige Frau im Waschraum ist und nur der Elektriker in der Naehe ist, ist sofort klar, wer die Brille genommen hat. Der Kerl ist sehr schlau und legt die Brille lediglich auf eine 2 m hohe Mauer, so dass er verfolgen kann, wie sicher sich Christina ist, die Brille hier liegengelassen zu haben, ohne sich des Diebstahls schuldig zu machen. Das zeugt von Routine. Als mir Christina die Szene wiedergibt, gehe ich zu dem Kerl und sag ihm meine Meinung. Er macht sich erst gar nicht die Muehe sein Ansinnen zu leugnen. Auf dem Campinggelaende nur eine einzige Touristengruppe mit Safariwagen, alle in Khaki wie sichs gehoert. Wir warten eine halbe Std. auf Terry, aber niemand kommt. Ich will schon nach 15 Min gehen, aber Christina mag nicht glauben, dass wir einfach versetzt werden. Hey, that`s Africa! Zuverlaessigkeit ist hier ein Sonderfall. Wir fruehstuecken in einem kleinen Restaurant. Die Besitzerin ist eine Weisse und auch die Gaertnerin, ihre Freundin. Sie sagt einem Thekenkellner, dass es auf dem Damenklo kein Toilettpapier gaebe, keine Seife und kein Handtuch. Der Mann reagiert erstmal gar nicht. („O.K., du hast jetzt gesagt was du sagen wolltest.“) Sie fragt ihn, ob er das Fehlende ersetzen werde. Er antwortet es gaebe keine Seife, auch keine zu kaufen. Ob es auch kein Handtuch gaebe, fragt sie weiter. Nein, gaebe es nicht. Sie fragt, ob es nur ein einziges Handtuch gaebe. Ja. Natuerlich wieder gelogen. Waehrend sie mit dem Mann spricht, geht sein Kollege hinter ihm vorbei und die beiden beginnen sich ungeruehrt, mitten in ihre Saetze hinein, auf Shona zu unterhalten und auch ohne Uebersetzung wird klar, dass sie nichts Erfreuliches ueber die Frau sagen, die danach aufgibt. Ich spreche sie an. Ob es wirklich keine Seife zu kaufen gaebe? Es gaebe zwar eine Knappheit an Treibstoff, Zucker, Kochoel, Gemuese und Milchprodukten, aber Seife sei kein Problem. „Was wir hier reichlich haben sind Luegen, Luegen, Luegen. Und Luegen. Und ausserdem Luegen. Und noch mehr Luegen." Sie laesst offen, ob sie nur den Kellner meint, oder auch die Regierung. Die Frau etwa Mitte Fuenfzig erzaehlt, sie habe tagelang versucht Milch zu bekommen und als sie diese endlich kaufen konnte, war die Milch sauer und sie waere dem Weinen nahe gewesen. „Schon meine Grosseltern sind hier geboren und alle meine sieben Enkel leben hier. Ich kann hier nicht weg, verstehen sie?" Dann dreht sie sich um, irgendwie hat sie Mut gefasst und mit lauter Stimme ordert sie den Kellner an, sofort das Fehlende zu kaufen und der gibt klein bei und fuegt sich. Wir gehen 2 km zum Eingang der Viktoriafaelle. Der Eintritt kostet stolze 16 Euro. Das Tosen der Faelle und rauchartige Gischt ueber den Baeumen zeigt uns die Richtung. Ein erster Blick durchs Gebuesch. Der Zambezi fliesst rechts von uns, etwa 1 km breit, sehr flach und traege durch zahlreiche Steine und kleine, buschige Inseln auf seine Faelle zu, dann verengen sich zwischen grossen Steinen die Stroeme, werden tief und weiss und schnell und dann, ploetzlich, eine harte Kante, ueber den das Wasser 100 Meter senkrecht in die Tiefe faellt, auf der ganzen, leicht gewundenen Breite, eine gigantische Kaskade, selbst jetzt zur Trockenzeit, stuerzt in eine enge Schlucht, die wie ein Riss das Land durchtrennt, schwarz und voller Gischt und sich vor uns im Dunst verliert, drunten alles weisses Wasser, tosend und schwarze Felsen, ewig, die dieseitige Felswand kantig und schwarz, manchmal mit Gras durchsetzt, senkrecht. Mein Herz schlaegt wie wild, ich starre gebannt, gefesselt auf dieses Spektakel. Es verschlaegt dir den Atem, es treibt dir Traenen in die Augen, es haut dich um. Die Schlucht ist nur ca. 50 Meter breit und dort unten muss es wie im Eingang zur Hoelle sein. Es bruellt, donnert, macht dir deine Nichtigkeit klar, deine Endlichkeit. Ich schaue zu Christina, muss gluecklich grinsen, als ob ich erfolgreich einen Streich ausgeheckt haette: „Haettste nicht gedacht was?“ Wir fassen uns an den Haenden, umarmen uns. Ein einziger, schmaler, betonierter Fussweg windet sich durch den dschungelartigen Busch und bietet immer wieder neue Stichwege in den Regenfall der Gischtwolken hinein, hin zur diesseitigen Kante. Viele Voegel tummeln sich ausgelassen in den Baeumen, ueber die Faelle fliegen Gaense und grosse Hornvoegel, Papageien kreischen. In der Schlucht ein riesiger Regenbogen, der erste, den ich tief zu meinen Fuessen sehe. Und ein zweiter Regenbogen spannt sich neben dem ersten- auch sowas sehe ich zum ersten Mal. Drueben, mitten in den Faellen, steht ein einzelner Angler alleine an der Bruchkante. Ich frage mich: wissen die Fische von dem Fall? Oder stuerzen sie samt und sonders hinunter? Und wenn ja, sind sie tot wenn sie 100 m tief fallen? Und wenn ja, warum sammelt die toten, frischen Fische dann niemand auf? Japaner, in ihrem nie zu kritisierenden, zeitlosen Chic gekleidet, tadellos geschminkt die Frauen, immer hoeflich bis zur Peinlichkeit, Fotoorgien im Stil: Mann/Frau vor Faellen. Die Faelle zaehlen zu den Sieben Natuerlichen Weltwundern und gehoeren zum Weltnaturerbe. Ueber uns kreisen Hubschrauber. Christina steigt ueber den niedrigen Dornenheckenzaun, setzt sich ins Gras, 10 m vor der Kante und nimmt einen 30-Minuten-Blick tief in ihre Seele auf. Eine zweite Schlucht biegt im rechten Winkel mitten in den Faellen von der ersten ab und hier entflieht der Strom der Enge, wird gruen und glasig und tief. Hier ueberspannt eine Bruecke die Tiefe, auf der anderen Seite liegt Zambia. Von der Bruecke stuerzen sich Bunjeejumper, 110 m tief, zehnmal federn sie auf und nieder, bis man sie aus ihrem Kopfunter erloest. Unten ein Motorboot, man kann hier Raften, jeder Schwierigkeitsgrad wird geboten. Man kann sich abseilen und Jetski fahren. Wir bleiben den ganzen Tag, warten auf den Sonnenuntergang. Dann gehen wir zurueck. Unser Reisefuehrer warnt vor den vielen Strassenhaendlern die die Touristen belaestigen, aber denen hat das Regime Mugabe den Garaus gemacht und viele Touristen sind hier eh nicht mehr anzutreffen. Auf der zambischen Seite der Faelle tummeln sich allerdings erheblich mehr Touristen. Wir gehen nochmals zum „Spur“ und schlemmen am Salatbuffet. Den Rueckweg durch die Nacht haetten wir in Pretoria nicht gewagt, aber hier fuehlen wir uns sicher. geschrieben am 15.8. in Harare
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