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Reisetagebuch

7/21/2005   Sambia / Livingstone

The Mighty Zambezi

Warum Afrika?

(Harald) Wecken um fuenf Uhr. Wir wollen die Faelle bei Sonnenaufgang sehen und sind deshalb um sechs Uhr an der Grenze. Es ist dunkel und kalt und die Grenze ist geschlossen. Wir fragen ein paar Leute, die neben dem, mit einem grossen Vorhaengeschloss und Stahlkette gesicherten Tor, im Gras auf ihrem Gepaeck sitzen. Doch, ja, eigentlich oeffne die Grenze um sechs Uhr, aber eben manchmal erst um halb sieben.

Ein PKW voller froehlicher Leute erscheint um 6.20, der Verantwortliche, in weissem Hemd und Krawatte, hat die Haende in den Taschen und es ueberhaupt nicht eilig. Drinnen im Wachgebaeude wird erstmal ein lautes Schwaetzchen gehalten, der Chef schmeisst den Dienstcomputer an, auf den er sich Musik geladen hat. Ich klopfe ans Fenster. Der Chef findet den Schluessel zur Voerdertuer nicht- Aufregung. Endlich im Gebaeude, frage ich den Chef, ob die Grenze nicht um sechs aufmache. Natuerlich ignoriert er mich und der Schalterbeamte sagt, er wisse nicht wovon ich rede. Und weil ich mich ueber den trotz aller Muehe verpassten Sonnenaufgang aergere, lasse ich mich hinreissen: „Dies ist die Grenze des Staates Zimbabwe und kein Kaufmannsladen, den man nach Belieben oeffnen kann.“ Haette ich mir schenken koennen, denn der Chef starrt wort- und ausdruckslos. Feigling! denke ich aufgebracht. Aber erst eine offensichtlich missbrauchte Macht zeigt eben in Afrika wirklich wer der Big Boss ist. Und um Macht dreht sich in Afrika alles. Und um Neid auf die Macht des Anderen und die Privilegien die daraus erwachsen.

Das zambische Visum kostet 8 EUR. Morgengrauen, die letzten Sterne verblassen und der Vollmond hat schon der Sonne Platz gemacht, die hinter den Akazien aufgeht, orangerot und waermend. Hinter der Scheibe des Grenzhaeuschens halten die Beamten gerade einem Pavianweibchen eine Apfelkitsche hin. Die Aeffin weiss jedoch genau was Glas ist und versucht die Maenner zu ignorieren. Ich verfuettere ein paar Kekse. Diese Paviane sind sehr gross, haben aufgerichtet etwa die Groesse eines 2-3-jaehrigen Kindes. Christina lacht ueber den roten Hintern der Weibchen, der stets anschwillt, wenn sie fruchtbar werden und damit ein weithin sichtbares Signal fuer die Maennchen geben. Ich knie auf Augenhoehe vor dem Weibchen. Sie gaehnt, weil sie unsicher ist und mir ihre Zaehne zeigen will. Dann richtet sie sich auf und waehrend sie mir direkt in die Augen und ins Gesicht schaut, nimmt sie vorsichtig den Keks.

Der Ort heisst hier Livingstone und dem beruehmten Missionar hat man hier ein Denkmal im wilhelminischen Stil errichtet. Eine Metallplatte listet die Namen der Gefallenen des 1. Weltkrieges auf. Der 107 gefallenen Askaris, also der indigenen Soldaten, gedenkt man nicht auf derselben Platte. So war das in Kenia, in Tansania usw. Man sollte denken, dass seitdem genug Zeit vergangen ist, um dies nachzuholen, aber die weissen Communities haben sich nie dazu beflissen.

Dr. Livingstone entdeckte als erster Weisser die Faelle und gab ihnen den Namen seiner Koenigin.

Ein kurzer Weg durch den Busch und wir stehen am anderen Ende der Faelle und vor uns breitet sich ein atemberaubendes Panorama aus. Von rechts fliesst der Zambezi murmelnd heran wie ein anderthalb km breiter Bach und stuerzt dann in endlosen, weissen Fahnen in die Schlucht, deren Haenge hier dschungelartig bewachsen und mit einem praechtigen Regenbogen ueberkront sind. In meiner Brust wird es eng, ich muss tief durchatmen, meine Haende sind feucht, ich verliere mich in diesem Anblick, ich muss schlucken. Guetiger Himmel, was fuer unbegreifliche Schoenheit die Natur uns geschenkt hat. In dieses Wasser zu schauen ist wie der Anblick lodernder Flammen, eine instinkthafte Furcht, uralt, tief verwurzelt wird da wach und muss mit Ratio niedergekaemft werden. Ich kann voellig verstehen, dass Menschen vor dem Zeitalter der Ratio solche Wunder vergoettlicht haben. Um einen Abglanz dieser Gefuehle zu wecken, mussten wir Kathedralen und Wolkenkratzer, Pyramiden und Tuerme bauen.

Es sind diese tiefgehenden Gefuehle die Afrika ausloest, die die Touristen hier suchen: Faszination, Furcht, das Leben spuerbar zu machen, es statt gekocht, roh zu spueren. Und seinen Koerper, den Boden, seine Haut. Seine Gefuehle endlich mal einer Lotterie auszusetzen, die durch unberechenbare Erlebnisse bewegt und unkontrollierbare Ergebnisse herbeifuehrt wird: Begegnungen im Busch, Pannen und Krankheiten, unvorhersehbare Reaktionen, Hitze und Staub. Endlich mal raus aus der Windel des Lebens, aus diesem butterweichen Paeppeln, diesem doppelten Netz der Zivilisation, in der das Nichtgelungene Einraeumen eines neuen Besenschrankes mit den alten Utensilien zur Katastrophe wird und zu Traenen fuehrt, in der fast unsichtbare Kratzer auf dem neuen Moebelstueck zur Gerichtsklage fuehren, in der ein falsch geparktes Auto in einer Schlaegerei endet. Der Bus kommt zwei Minuten zu spaet, an der Kasse hat sich jemand vorgefudelt, mein Auto hat nen Kratzer... Jaa! schreit Mama Afrika, jaaa! Gebt mir eure Probleme! Bitte!

Unser sehnsuechtiges Streben nach der Gefahrenlosigkeit, nach den nie endenden Vorraeten, nach der unumstoesslichen Gewissheit und dem kaufbaren Respekt und Selbstwertgefuehl endet im Bunjeesprung, damit wir endlich mal nen Kick haben und uns spueren, lebendig sind. Wir brauchen ab und zu ein Feuerchen, in das wir hineinschauen, einen unebenen Boden, den wir beim Gehen spueren koennen, statt der dicken Wollteppiche, eine brutale Temperatur, nichtrechtwinklige Raeume, gebrochene Schatten, Wind auf dem Gesicht im Schlaf, die Sterne ueber sich sehen, wenn man nachts aufwacht, mal Durst leiden und wirklich Hunger haben. Wir muessen uns mal Fremden anvertrauen, deren Sprache wir nicht mal sprechen und die uns fremd in allem sind, um wieder einfaches, unkompliziertes Vertrauen zu erkennen.

Christina und ich wandern auf die andere Huegelseite, steigen in die Schlucht hinab, 100 m durch eine dschungelartige Idylle aus grossen Baeumen mit Lianen, Bananenstauden, tausenden von bunten Voegeln: Hornvoegel, Ibisse, Bienenvoegel und Sunbirds, die wie Kolibris aussehen und Bluetennektar trinken. Paviane ueberall, wir verteilen Kekse, sitzen mitten unter ihnen, die Jungen turnen in den Kronen, stiegen die duennen Staemme hinauf, Chrstina und ich versuchen auch unser Glueck - mit zweifelhaftem Erfolg. Die Affen bellen, raunzen sich zu, wir steigen weiter hinab bis zur engen Schlucht, ueber schwarze Granitbrocken entlang des Ufers, bis es nicht mehr weitergeht. Rechts sehen wir durch die Schlucht ein Stueck der Faelle, um uns die gruenen und gelben Haenge, vor uns der gruen-glasige Zambezi, der sich dick und gewaltig durch die Schlucht entfernt. Dies ist der "Kochtopf", wie dieses fast runde Tal im Volksmund heisst, weil hier das Wasser zu kochen scheint.

Wir sizten zusammen auf einem der grossen Felsen, still. Dann muessen wir zurueck, durch den Dschungel, ueber Steine klettern, durch Matsch stapfen, mit den Haenden Halt finden. Durch Rodung wird diesem Idyll gerade der Garaus gemacht und wir sind mit die letzen, die es noch fast erhalten erleben koennen.

An der Grenzbruecke ueber die Schlucht heisst es Abschied nehmen vom grossen Fluss und den Faellen, ein letzter Blick.

Salatbuffet im "Spur", dann Nachtruhe in unserem "Chalet". Morgen fliegen wir zurueck.

Uebrigens:Der Drahtzieher der Anschlaege vom 7.7. in London ist gerade hier an der Grenze in Sambia festgenommen worden. Vor den Anschlaegen war er in S.A.

geschrieben am 16.8. in Harare


 


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