08.03.2006 - Rede anlässlich der Heimkehrfeier am 8.3.2006 bei Aktion Medeor

Harald Radtke
Als ich vor über zwei Jahren in Addis Abeba war, bat mich der WDR um ein Radiointerview. Die erste Frage des Redakteurs war: "Mit dem Fahrrad durch ganz Afrika - Herr Radtke, sind sie ein bisschen bekloppt? Der Krefelder hätte wohl gefragt: "Böss du dull?
Ich kann diese Frage mit einem eindeutigen "Jein" beantworten.
Selbstverständlich ist es nicht normal, solch ein Unterfangen durchzuführen. Wer macht so was schon? Und sicher ist es gefährlicher, als in Deutschland zu bleiben.
Und, ja! es ist zunächst sogar etwas unvernünftig, seinen Gutbezahlten Job aufzugeben, zumal mit Mitte 40. Ja, man muss schon etwas verrückt sein. Und wäre es so einfach, würden es ja viele machen.
Warum also, bin ich wohl mehr als 100 Mal gefragt worden, macht man so was?
Ich kann immer noch nicht klar antworten. Ich war 1998 in Kapstadt und wollte noch mal dorthin. Ich war auf den Geschmack gekommen eine größere Radtour zu unternehmen, als ich 1997 eine Tour nach Marseille unternahm. Soweit die Idee.
Nun, ich hatte dies schöne Geschäft liebevoll aufgebaut und löste es mit meinen eigenen Händen wieder auf. Heute sind Menschen hier, die wissen, wie schwer mir dies fiel. Aber ich war im Geschäftsleben gestresst, unzufrieden, schlief schlecht und bewegte mich zuwenig. Das Tempo, der Termindruck, Sorgen...
Eines Tages beschloss ich, die vier Jahre zuvor aufgekommene Idee in die Tat umzusetzen. Jetzt oder nie. Soweit der Entschluss.
Aber was gab mir die Energie durchzuhalten? Lassen sie mich erzählen.
Klar war von Anfang an, dass ich auch eine neue berufliche Perspektive gewinnen wollte. Ich stehe noch am Anfang einer Neuorientierung. Aber wissen sie was? Es ist letztlich nicht wichtig, ob sich alles so ergibt wie erträumt. Wichtig ist manchmal nur, dass man es versucht hat.
Ich verbesserte meine Sprachkenntnisse, kaufte Ausrüstung und verwarf die Idee, mir einen Sponsor zu suchen und habe das nie bereut, denn nur so war ich unabhängig.
Im Juli fuhr ich mit meiner damaligen Freundin los. Wie sich bald herausstellte, waren unsere Vorstellungen, was der Inhalt einer solchen Unternehmung sein sollte, gänzlich verschieden. Sie suchte das Abenteuer und wollte schöne Dinge erleben. Für mich war die Reise ein Projekt- es gab Visitenkarten und eine mit viel Mühe gestaltete Internetseite. Meinem Freund Thomas Schmidt danke ich für die vielen mühsamen Stunden vor dem Computer.
Ich bin ein neugieriger Mensch, will sehen, anfassen, selbst hören. Ich hinterfrage kritisch, will verstehen, ergründen und dauernd etwas lernen. Und in Afrika z.B. gibt es jede Menge zu lernen, wahrlich.
Trotz aller Pannen, Verletzungen, Schmerzen, Krankheiten, Verlusten: Himmel, was hab ich alles für Wunder und Wunderbares gesehen!
Endlose Wüsten, versunkene Kulturen, ich umfuhr ein Meer. Ich erlebte, wie aus mir bis heute unerfindlichen Gründen, ein einziger Hund unter tausenden denen ich begegnet bin, sich in Sekunden entschloss mir zu folgen, tausende von Kilometern lang.
Ich habe erlebt, wie eine wilde, scheue Haselmaus, die nie ein Mensch berührt hatte, sich derart in mich verliebte, dass sie ohne mich nicht mehr schlafen wollte.
Ich habe die Pyramiden gesehen und mir verschlägt es, trotz aller begriffenen Erklärungen, die Sprache, wenn ich diese unbegreiflichen Wunder anschaue. Ich habe mehr Ehrfurcht gelernt.
Es gab soviel Leid zu erfahren, vor allem in den Städten und Krankenhäusern und ich lernte das Leid anderer auszuhalten. Ich sah Menschen sterben und habe erkannt, was wirkliche Probleme sind und relativierte meine eigenen.
Ich sah das Rift Valley und die Nilschlucht, schaute wilden Löwen aus nächster Nähe in die Augen, hielt Servalkätzchen im Arm, fütterte Löwenbabys. Eine frei lebende Giraffe legte ihren Kopf wieder und wieder in meine Hände, ein Gepard biss mir zärtlich in den Arm.
Ich lernte zu töten und verhalf einem Lamm zur Geburt, trank Blut und überwand Angst und Ekel. Ich aß, was ich bekommen konnte, was alle anderen aßen, las den Koran und spürte Hass zwischen den Menschen. Und da war Gastfreundschaft, so oft und so groß, wie ich es mir nie hatte vorstellen können. Die Länder, die am exotischsten scheinen, sind heute meine Reisetipp: Syrien und Sudan.
Ich erlebte Rassismus und lernte meinen eigenen dadurch zu bearbeiten.
Ich sah doppelte Regenbögen und Auren um die Sonne, gigantische Wasserfälle, Hagelkörner groß wie Walnüsse, giftige Schlangen und Skorpione.
Ich fand Freunde unter Menschen, die unterschiedlicher zu Deutschen nicht sein könnten, tanzte fremde Tänze und lernte Sprachen, von denen ich zuvor nie gehört hatte.
Vor mir erschien Schnee am Äquator und Sandstürme bliesen mir fast das Zelt weg.
Und überall waren es die Kinder, die mich zum Lachen brachten, ihre Lebensfreude und ihr Optimismus. Nie im Leben habe ich soviel gelacht wie unterwegs.
All das gab mir die Energie durchzuhalten.
Mit vielen, denen ich unterwegs begegnet bin, verbindet mich bis heute Freundschaft, rund um den Globus.
Ich wollte unterwegs Menschen helfen. In Äthiopien war es "Menschen für Menschen", in Kapstadt "HOKISA". Den Kontakt dorthin hatte Dr. Menn hergestellt, der mich beim Gesundheitsamt Krefeld geimpft hatte. Dr. Menn ist Vorstandsmitglied beim heutigen Gastgeber, der "Aktion Medeor", die wiederum "HOKISA" fördert.
Meine frühere Grundschule "Grotenburg" organisierte einen Spendenlauf und es kam soviel Geld zusammen, dass all meine Träume übertroffen wurden. Das war mir eine besondere Freude und Ermunterung. Nochmals "Danke", Herr Mevisssen.
Ich werde auch oft gefragt: wie soll man helfen? Nachdem was ich über politische und gesellschaftliche Verhältnisse in Afrika gelernt habe, sage ich heute, dass staatliche Entwicklungshilfe in vielen Ländern die Korruption fördert. Soviel Geld inmitten solcher Verhältnisse ist verführerisch. So dürfte die Schweiz mit ihrem anachronistischen Nummernkontosystem mittelbar der weltgrößte Empfänger von Entwicklungshilfe sein.
Afrika muss und wird seinen eigenen Weg finden und die reichen Länder müssen sie darin unterstützen. Dies sollte jedoch großen Teils über Hilfsorganisationen geschehen, die ständigen Kontrollen unterliegen.
Hilfe wird von denjenigen, denen geholfen wird, oft überhaupt nicht passend zugeordnet und geschätzt: WER hilft? Solche Hilfe verfehlt wesentliche Ziele: die Menschen einander näher zu bringen, indem Sympathie erzeugt wird und Verständnis entsteht. Während ihre Fahnen verbrannt werden, zahlen Nationen weiter Entwicklungshilfe für die Menschen, die ihre Fahnen verbrennen. Wie viele Afrikaner wissen schon, wie viel Geld z.B. Deutschland an ihr Land zahlt? Nichts kann den persönlichen Kontakt ersetzen. Hilfe sollte stets auch persönlich sein, Effizienz muss man auch zwischenmenschlich verstehen.
Am Ende meiner Reise von 3 Jahren, drei Monaten und drei Tagen, fiel mir das Heimkehren schwer und gleichzeitig war ich des Reisens müde.
Ob ich nochmals aufbreche? Vielleicht SO nicht mehr. Aber irgendwann- wer weiß?
Ich danke meinen Freunden für die Unterstützung, namentlich meiner Mutter Inge Diochon, sowie Dagmar Vyskocil, Günter Beier, meiner Freundin Christina, den Eheleuten Karrenberg und allen anderen.
Um Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen, muss man seinen Standort ändern. Von Afrika aus sieht Deutschland anders aus.
Um mit Henning Mankell zu sprechen: "Ich glaube, Afrika hat mich zu einem besseren Europäer gemacht."
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